Update von Geflüchteten, Version 2.01

Migration Update von Geflüchteten, Version 2.01 ist eine Metapher, die darauf abzielt, den Wandel des Phänomens der "Massenmigration" durch den russischen Angriff auf die Ukraine zu beschreiben.

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Update von Geflüchteten, Version 2.01 ist eine Metapher, die darauf abzielt, den Wandel des Phänomens der "Massenmigration" durch den russischen Angriff auf die Ukraine zu beschreiben.

In dem Artikel befinden sich einige Beispiele für die Haltung einiger Länder zu den Geflüchteten. Bei der Auswahl der Länder wurden folgende Kriterien verwendet, um damit die Hintergründe des Phänomens zu verdeutlichen: Länder, die einen leichteren Zugang zur globalen Weltpresse haben und in denen die soziale Sensibilität zu den Geflüchteten immer schärfer und härter vorkommt. Es sollte nicht zu der Schlussfolgerung führen, dass die Länder, die nicht in diesem Artikel vorkommen, nicht im Blick sind oder sich damit nicht auseinandersetzen. Zum Beispiel Deutschland, das die höchsten sozialen und kulturellen Brüche und Auseinandersetzungen in Bezug auf Geflüchtete in Europa aufweist, verdient es, ein Thema des Artikels zu sein.

Unsere Welt leidet in den letzten Jahrzehnten unter wachsenden Migrationen. Millionen von Menschen, die vor Kriegen in Asien und Afrika fliehen, insbesondere aus Ländern des Nahen Ostens, verändern weiterhin die Demografie, Wirtschaft und Kultur der Länder, in die sie auswandern. Wir wissen, dass Menschenhändler aus den Mittelmeeranrainerstaaten Geflüchtete per Boote nach Europa transportieren, dass diese Boote, die weit mehr Menschen befördern, als sie tragen können, sinken, dass sie von Schiffen der Küstenwachen beschossen werden, dass die Leichen von Babys, die vom Meer angespült werden, eine Flut von Emotionen und Reaktionen in den sozialen Medien auslösen. Aber all dies bleibt weltweit für die Sozialpolitik unwirksam. Die Tageszeitung The Guardian [i] berichtete über die Erfahrungen von Hanad Abdi Mohammad, einem 28-jährigen somalischen Staatsbürger, der eines der “Tötungsboote” überlebte. Bekanntlich ist die kurze, aber oft gefährliche Seereise von der Türkei zu den griechischen Inseln seit langem ein wichtiger Einstiegspunkt nach Europa für Menschen, die vor Krieg, Armut und Verfolgung in Afrika, Asien und dem Nahen Osten fliehen. Als die Menschenhändler, die das Boot steuerten, mit dem Mohammad fuhr, in die griechischen Hoheitsgewässer eindrangen und sich dem Ufer näherten, übergaben sie die Kontrolle über das Boot an ihm und dann flohen sie. Das Boot unter Mohammad, der zum ersten Mal in seinem Leben segelte, kenterte, darauf ertranken zwei Menschen und die Überlebten wurden von der Küstenwache gefangen genommen. Mohammad befindet sich seitdem in einer Zelle in einem Gefängnisgebäude auf der griechischen Insel Chios. Wir verstehen, dass die griechische Polizei oder die Küstenwache jeden, der am Ruder des Schiffes steht, zum Kapitän des Bootes erklärt.Diese Menschen werden wegen sehr schwerwiegender strafrechtlicher Vorwürfe strafrechtlich verfolgt. Niemand bezweifelt, dass der Griechenlands Haltung die Absicht zugrunde liegt, neue Geflüchletete einzuschüchtern. Menschenrechtsanwalt Alexandros Georgoulis: “Leider sind unsere Gefängnisse voll von ihnen,die Jahre in Gefängnissen verbringen und darauf warten, dass ihre Berufungen gehört werden. Fast jedes Boot, das auf unsere Inseln kommt, erleidet das gleiche Schicksal.“ The Guardian berichtet, dass Asylbewerber, die wegen Menschenhandels verurteilt wurden, die zweitgrößte Kategorie von Gefangenen in Griechenland darstellen.Der linke Parlamentsabgeordneter Stelios Kuloglou von der Oppositionspartei in Griechenland: “Was passiert ist, ist völlig unfair, es ist empörend, dass die Behörden versuchen, Asylbewerber abzuschrecken, indem sie Menschen auf diese Weise ins Visier nehmen. Weder Mohammed noch die Afghanen hatten das Meer je gesehen, bevor sie an Bord dieser Boote gingen." Aber es hilft Mohammad nicht. Ihm drohen 50 Jahre Gefängnis nach einem Plädoyer, das nur eine Minute dauerte.

Geflüchtete aus der Ukraine in Polen

Während sich die vierte Woche der russischen Offensive gegen die Ukraine dem Ende zuneigt, hat die Zahl der Geflüchteten 3 Millionen überschritten. Polnische Behörden berichten, dass zwei Drittel der Geflüchteten in Polen Zuflucht gesucht haben und 2 Millionen die Grenze überquert haben, seit dem Einmarsch Russlands am 24. Februar in die Ukraine [ii]. Menschen in Polen scheinen sich vorerst nicht über die Situation zu beschweren. Krzysztof Chawrona, ein 41-jähriger polnischer Staatsbürger, gehört zu denen, die ihre Häuser für Flüchtlinge geöffnet haben. Chawrona, ein Vater von vier Kindern, sagte der Zeitung Al Jazeera: "Mein Sohn wohnt bei seiner Tante, weil ich meine Wohnung acht Flüchtlingen gegeben habe, und meine zweite Wohnung, die ich früher an eine Firma vermietet habe, beherbergt sieben Personen auf 40 Quadratmeter. Sie sind dankbar, eine Unterkunft zu haben." Aber Konrad Pędziwiatr, Professor an der Abteilung für internationale Beziehungen an der Wirtschaftsuniversität Krakau in Polen, der zu denen gehört, die befürchten, dass der Zustrom von Geflüchteten anhalten wird, sagte, dass das Gebiet, in dem sie umgesiedelt werden, schrumpfen würde und die Zahl der Menschen, die die Ukraine verlassen, 10 Millionen erreichen könnte[iii].

In Großbritannien

Großbritannien, eines der Länder mit der härtesten Haltung gegenüber Geflüchteten in Europa, wirkt überraschend.Der Bischof von St. Edmundsbury, Martin Seeley, und seine Familie laden ukrainische Geflüchtete, die aus ihrem vom Krieg zerrütteten Land fliehen, in ihr Haus ein. Bischof Seeley forderte die Briten auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ukrainischen Geflüchteten zu helfen, und sagte: "Wir als Familie haben beschlossen, unser Zuhause für Geflüchtete zu öffnen, die aus der Ukraine fliehen, wir erwarten, sie so schnell wie möglich in unserem Haus willkommen zu heißen“[iv].

Eine andere bemerkenswerte Nachricht aus Großbritannien kommt vom ehemaligen britischen Premierminister David Cameron. Er transportiert humanitäre Hilfsgüter für ukrainische Geflüchteten in Polen[v]. Camerons "Liebe" zu Geflüchteten lässt ihn in einem Hilfslastwagen nach Polen fahren. Darüber hinaus schickte er während der gesamten Reise Nachrichten von seinem Twitter-Account [vi].

In Norwegen

Norwegen ist eines der Länder, in denen Geflüchtete aus der Ukraine Zuflucht gesucht haben. Regierungsbeamte haben erklärt, dass sie bereit sind, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Geflüchtete bestmöglich aufzunehmen und 5.500 Menschen unterzubringen. Norwegens König Harald besuchte sie im Osloer Hotel Helsfyr, das in ein Aufnahmezentrum für Geflüchtete umgewandelt wurde und Platz für bis zu 1.000 Menschen bietet. Journalisten stellten fest, dass der König während des Besuchs sehr bewegt war. Norwegens Kronprinz Haakon gab ebenfalls eine Erklärung ab, die sich an diese Menschen richtete: Es ist ein Krieg in Europa, Menschen werden getötet und Menschen fliehen. Aber gleichzeitig gibt es viele, die kämpfen und Widerstand leisten. Es ist wichtig, dass wir uns umeinander kümmern, dass wir unsere Menschlichkeit schützen. Sowohl das ukrainische als auch das russische Volk sollten sich in Norwegen sicher fühlen [vii].”

In Irland

Irland wollte auch im Rennen um die Neuansiedlung von Geflüchteten nicht zurückfallen. Etwa 6.000 Menschen in Nordirland haben sich freiwillig gemeldet, um Menschen unterzubringen, die vor der russischen Besatzung ihres Landes fliehen. Der erste Konvoiwird voraussichtlich innerhalb weniger Tage eintreffen [viii]. Unterdessen sagte die irische Senatorin Maria Byrne, dass geflüchtete Frauen und Kinder das Ziel sexueller Ausbeutung sein könnten. Senator Byrne wies auf die Schwierigkeiten hin, mit denen Nicht-Muttersprachler konfrontiert sind, wenn sie der Polizei sexuelle Gewalt melden, und dass Frauen, die vor dem Krieg fliehen, anfällig für Missbrauch sind [ix].

In Japan

Japan, eines der reichsten Länder der Welt, verfolgt eine sehr restriktive Politik gegenüber Geflüchteten und Asylbewerbern. Seit Japan 1982 Gesetze zur Aufnahme von Geflüchteten verabschiedet hat, haben 85.429 Menschen den Geflüchtetenstatus beantragt und nur 841 wurden akzeptiert. Die Zahl der im Jahr 2020 aufgenommenen Geflüchteten beträgt nur 47. Japan hat seine Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukranie angekündigt, ein Schritt, der sowohl mit seinen traditionellen als auch mit seinen administrativen Regeln bricht.Einer der Gründe für diese ehrgeizige und dramatische außenpolitische Verschiebung ist die Sorge, dass China von Russland ermutigt wird, in Taiwan einzumarschieren, worauf Japan Ansprüche erhebt. Japans Entscheidung zielt darauf ab, seine Reaktion auf Russland auf die stärkste Weise zu demonstrieren [x]. Während es verständliche Gründe für Japans radikalen Politikwechsel gibt, lohnt es sich, über die Haltung der Tokioter Regierung zu diskutieren, die bisher gleichgültig gegenüber Geflüchteten war, die vor den Kriegen in Afrika und Asien flohen.

Geflüchtete

Während die russische Besatzung und Geflüchtete aus der Ukranie ganz oben auf der Weltagenda stehen, hat kürzlich der "Internationale Tag gegen Rassismus"[xi] mit Protesten (21. März), die leider nicht viel Aufmerksamkeit erregt haben, stattgefunden. Die Proteste, die von Stand Up To Racism (SUTR) organisiert wurden, zeigten die Diskriminierung zwischen Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern. Sabby Dhalu, Co-Sekretär der SUTR, sagte, die europäischen Regierungen hätten sich geweigert, ihrer Pflicht nachzukommen, Flüchtlingen, die vor Kriegen in Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen, Äthiopien und Sudan fliehen, Schutz zu bieten.Dhalus Erklärungen lassen es uns wie Schuppen von den Augen fallen: „Die britische Regierung hat ihrenBürgern 350 Pfund pro Monat angeboten, um Menschen unterzubringen, die vor dem Ukraine-Krieg fliehen. Warum gab es dann keine solche Hilfe für afghanische oder syrische Geflüchtete? Die Doppelmoral während der Ukraine-Krise offenbarte die langjährige rassistische Haltung der Regierung gegenüber afrikanischen, südasiatischen und arabischen Geflüchteten/Asylbewerbern [xii] .„

Migranten aus asiatischen und afrikanischen Ländern, die um ihr Leben bangen, versuchen, in den entwickelten Ländern zu überleben. Sie werden von europäischen Gesellschaften und Regierungen gewaltsam verdrängt. Um ins „Menschenbild“ der europäischen Kultur aufgenommen zu werden, müsste man mindestens Osteuropäer noch dazu Kaukasier und Christ sein. Ukrainische Geflüchtete bieten Europa die Möglichkeit an, die Definition von Geflüchteten radikal zu aktualisieren. Und damit auch die Definition vom Rassismus im weitesten Sinne.

Update von Geflüchteten, Version 2.01

Unsere Welterlebt den Aufstieg eines rassistischen Populismus, der in den letzten Jahrzehnten von rechtsradikalen politischen Bewegungen provoziert wird. Ich muss sagen, dass diese rassistisch-populistische Bewegung, die sich hinter dem wirtschaftlichen/kulturellen Konformismus versteckt, zu einem Verteidiger des Nationalstaates und des nationalistischen Patriotismus wird und auch die Massen des Mitte-Rechts- und sozialdemokratischen politischen Spektrums miteinbezieht. Mit den Geflüchteten aus der Ukraine atmet der europäische Teil dieser Bewegung erleichtert auf. Denn die "guten Menschen", die Verteidiger dieser Bewegung, die sichmit dem Renaissance-Humanismus und der protestantischen Moral schwer tun, habendie Gelegenheit, zu beweisen, dass sie ihre menschlichen Gefühle doch nicht verloren haben, Eine halbherzige Antikriegsrheorik zur sauberen Distanzierung des Individiums von Kriegen auf der ganzen Weltreicht ihnen diesmal doch nicht, sie wollen als Menschen der Tat auftreten, indem sie den „Opfern“ persönlich helfen. Das Phänomen der durch Kriege aufgezwungenen Massenmigration, eines der grausamsten und rücksichtslosesten Instrumente der Ausbeutung, erhält ein neues Update mit der Haltung gegenüber ukrainischen Geflüchteten. Der globale Imperialismus im Schatten von Nükleerwaffen steht einem massiven Paradigmenwechsel entgegen. Ich kann nicht verbergen, dass ich das “Update von Geflüchteten, Version 2.01” als Vorbote dieses Paradigmenwechsels sehe und pessimistisch auf die Entwicklungen in der nahen Zukunft blicke.

Geschrieben von Doğan Alpaslan Demir

Übersetzung von Sevda Demir

Fussnote:

[i]https://www.theguardian.com/global-development/2022/mar/18/greek-court-to-hear-appeals-on-life-sentences-for-refugees-accused-of-steering-dinghie

[ii]https://www.thefirstnews.com/article/polands-doors-wide-open–but-for-how-long-28917

[iii]https://www.aljazeera.com/news/2022/3/18/polish-cities-running-out-of-capacity-to-help-ukraine-refugees

[iv]https://www.itv.com/news/anglia/2022-03-19/bishop-opens-home-to-ukranian-refugees

[v]https://en.interfax.com.ua/news/general/815723.html

[vi]https://twitter.com/David_Cameron

[vii]https://royalcentral.co.uk/europe/norway/king-harald-visits-ukrainian-refugees-in-oslo-174083/

[viii]https://www.itv.com/news/utv/2022-03-18/6000-people-in-northern-ireland-volunteer-to-house-ukrainian-refugees

[ix]https://www.limerickpost.ie/2022/03/19/limerick-senator-concerned-about-sexual-exploitation-of-refugees/

[x]https://www.washingtonpost.com/world/2022/03/19/japan-ukraine-refugees/

[xi]Am 21. März 1960, als die Polizei das Feuer auf friedliche Demonstranten eröffnete,wurden in Südafrika 69 Menschen getötet, die sich gegen Rassismus einsetzten. 1966 wurde der 21. März von den Vereinten Nationen zum "Internationalen Tag gegen Rassismus" erklärt.

[xii]https://leftfootforward.org/2022/03/un-anti-racism-day-calls-to-provide-sanctuary-to-all-refugees-escaping-war/

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Geschrieben von

Doğan Alpaslan Demir

Geboren 1961, Mediziner, Autor.

Doğan Alpaslan Demir

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