Alles nur ein Märchen?

Der Sportsfreund Die Siegesstory des englischen Fußballklubs Leicester zeigt, dass im Fußball alles möglich scheint und dass man genauer hinsehen sollte. Im Guten wie im Schlechten
Ausgabe 19/2016
Eines der Geheimnisse für Leicesters Erfolg: gutes Karma
Eines der Geheimnisse für Leicesters Erfolg: gutes Karma

Bild: Christophe Archambault/Getty Images

Wir Sportjournalisten lieben gute Geschichten. Wie unsere Leser. Aber die Frage ist, ob wir alles einfach so abkaufen müssen. Wenn eine Story zu gut klingt, um wahr zu sein, dann ist sie oft auch: nicht wahr. Dann ist man einem Märchen aufgesessen. Leicester City zum Beispiel. Der englische Fußballverein hat in seiner 131-jährigen Geschichte 27 Auf- und Abstiege erlebt, nie etwas Großes gewonnen und wäre vergangene Saison um ein Haar wieder in die zweite Liga abgestiegen. Nun, ein Jahr später, ist der Verein englischer Meister geworden. In der umsatzstärksten Liga der Welt hat ausgerechnet der Club mit dem zweitkleinsten Budget die Spitzenteams aus London, Liverpool und Manchester hinter sich gelassen.

Über Leicester, „Läster“ ausgesprochen, lästert jetzt niemand mehr in England. Ein großes Drama aus der Heimatstadt von Richard III., das auch Shakespeare nicht besser hätte schreiben können. „Es ist ein Märchen, das den Zauber des Fußballs belegt“, schwärmte Gianni Infantino, Präsident des Weltverbands FIFA, der sonst eher für Horrorstorys und faulen Zauber steht. Leicester zeigt: Alles scheint möglich im Fußball. So eine Wohlfühlgeschichte gefällt nicht nur der FIFA. Die Medien berichteten daraufhin von vielen Erfolgsstorys, wie von einem Leicester-Fan, der fünf Pfund auf die Meisterschaft gewettet hatte und damit 25.000 Pfund gewann. Oder von einem buddhistischen Mönch, den der thailändische Teambesitzer als Glücksbringer einfliegen ließ.

Der wahre Ursprung der Erfolgsgeschichte liegt wirklich in Thailand, aber nicht bei Mönchen. Bei einem Trainingslager dort hatten sich drei Leicester-Spieler beim Sex mit einer Prostituierten gefilmt, die sie dabei auch noch rassistisch beleidigten. Keine gute Idee, vor allem wenn der Boss Thailänder ist. Weil einer der Spieler der Sohn des Trainers war, flog der gleich mit raus. Der Club war also gezwungen, sich neue Stars zu suchen, auf die kein anderer gekommen wäre. Einer von ihnen war Jamie Vardy. Der Stürmer spielte vor fünf Jahren noch in der achten Liga, und das nach einer Kneipenschlägerei zeitweise mit elektronischer Fußfessel. Vardy musste stets vor 18 Uhr ausgewechselt werden, um nicht gegen die Bewährungsauflagen zu verstoßen. Er hüpfte dann über einen Zaun zu seinen Eltern, die ihn nach Hause fuhren. Nun schießt der 29-Jährige Tore in Serie für Leicester und für das englische Nationalteam. Nicht nur auf der Insel in England lieben sie gewiefte Helden, Robin Hood hat ja auch geklaut, aber es war ja für die gute Sache. Das Problem sind nur die ganzen Haken an der Geschichte, über die kaum jemand spricht.

Als Leicester noch Zweitligist war, ließ der thailändische Eigentümer dem Club über komplizierte Sponsorendeals offenbar mehr Geld zukommen, als er eigentlich durfte. Und ein englischer Arzt zählte in einer öffentlichen Beichte Leicester zu den Vereinen, die er angeblich mit Dopingsubstanzen versorgt haben will. Demnach hätte sich Leicester sein Märchen mit unlauteren Mitteln erschlichen. Das ist natürlich keine gute Geschichte, so etwas will niemand hören, die Medien nicht, die Fans nicht, erst recht nicht die FIFA. Von Untersuchungen in der Sache ist jedenfalls nichts bekannt. Womöglich ging auch alles mit rechten Dingen zu, und Leicester war wirklich nur ein bisschen cleverer als andere. Das Beispiel zeigt jedenfalls, dass im Fußball alles möglich scheint und dass man genauer hinsehen sollte. Im Guten wie im Schlechten. Alles andere sind Märchen.

Dominik Bardow schreibt in seiner Kolumne für den Freitag regelmäßig über sportives Privatvergnügen

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Geschrieben von

Dominik Bardow

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