Herthas Prinzip Hoffnung

Eventkritik Voller Verzweiflung verpflichtet der Bundesligaletzte Hertha neue Spieler auf Pump. Der Klub gleicht einer Fondsgesellschaft, die Angst hat, dass die Blase bald platzt

Vor dem Berliner Olympiastadion, dieser alten Nazi-Schüssel, steht ein gigantischer Weihnachtsbaum im Schnee. Das Geschenk eines Sponsors, 22 Meter hoch, 120 Jahre alt. Ein Superlativ an dem Hertha BSC sich aufzurichten versucht – in Zeiten der absoluten Tiefpunkts. Der Verein ist abgeschlagen Tabellenletzter in der Fußballbundesliga. Die zweite Liga droht, wie in den Achtziger und frühen Neunziger Jahren, als sich nur zwei-, dreitausend Hartnäckige in dem riesigen Rund des Olympiastadions verloren.

Am Mittwoch dieser Woche war es schon ein wenig wie damals, ein Spiel gegen Sporting Lissabon, Europapokal sogar. Aber gerade einmal 14.000 Zuschauer zitterten mit, 60.000 Plätze blieben frei, ein kalter Wind pfiff durch die Leere. Am nächsten Tag wollte gerade einmal ein Dutzend Unerschrockender dem Training zusehen. An guten Tagen kamen weit über 100 Fans, aber mittlerweile verlieren in Berlin auch die härtesten Hertha-Fans den Glauben.

Der Trainer und Manager trotzen der Kälte mit Durchhalteparolen, "dieses Mal sind wir endlich dran, drei Punkte zu holen", sagt Manager Michael Preetz vor jedem Spiel. Keiner nimmt die Floskel mehr ernst. Seit 15 Spielen hat Hertha nicht mehr in der Bundesliga gewonnen, zuletzt Anfang August. Da schien noch die Sonne.

Funkel steht bald 20 Jahre ganz unten

Jetzt ist tiefster Winter, der Trainer ist mittlerweile gewechselt: Friedhelm Funkel, ein Mann, der sich mit Situationen wie diesen auskennt. Seit fast zwanzig Jahren trainiert er Teams, die dort stehen, wo Hertha steht: ganz unten.

Nach den Spielen lobt Funkel auf Pressekonferenzen schon mal mühsame Unentschieden als Erfolge, weil auch er nicht mit Hertha gewinnt, und vor den Spielen fordert er immer das Gleiche: "Wir müssen hinten kompakt stehen." Funkel steht immer kompakt, oder besser: er sitzt in den Pressekonferenzen kompakt, vornüber gebeugt auf seinem Stuhl, vor sich das Mikrofon und die Journalisten. Dann redet er in monotonem rheinischen Singsang von Laufbereitschaft und Kampf.

Doch an diesem Donnerstag ist es anders, es ist der Morgen nach dem Spiel gegen Lissabon. Hertha hat nicht nur das in der Bundesliga Unvorstellbare geschafft – nämlich gerade so 1:0 zu gewinnen –, sondern Funkel und Preetz haben vor den versammelten Presseleuten noch ein Weihnachtsgeschenk hervorgezaubert: Der Tabellenletzte holt einen Stürmer vom Tabellenersten aus Leverkusen, Theofanis Gekas, bestätigen sie. Weitere Spieler sollen folgen. Die 33 Millionen Euro Schulden, wegen der Hertha im Sommer die besten Kicker abgeben musste, stören jetzt nicht mehr.


Der Verein nimmt noch einmal für drei bis dreinhalb Millionen Euro neue Schulden auf, für neue Spieler, für die Hoffnung. Denn ein Abstieg in die zweite Liga würde noch mehr Kosten. So gleichen die Hertha-Verantwortlichen Fondsmanagern, die sich mit Spekulationen verzockt haben und nun noch mehr Kredite aufnehmen müssen, um die Spekulationsblase weiter am Leben zu halten – denn das Platzen wäre ihr Ruin.

Funkel und Preetz strahlen, der bärtige Trainer hat sich zur Feier des Tages sogar einmal rasiert, er nennt Gekas einen "exzellenten Stürmer". Der Grieche steht zwar hinten nicht kompakt, macht dafür aber Tore. 20 waren es mal, vor zweieinhalb Jahren. Letzte Saison waren es nur noch zwei, dieses Jahr hat er noch gar nicht getroffen.

Doch das ist der Hertha egal, sie haben wieder einen, an dem sie sich aufrichten können. Gekas ist war nicht 22 Meter hoch und 120 Jahre alt, sondern nur 1,79 Meter klein und 29 Jahre jung, aber immerhin. In München, beim Branchenriesen FC Bayern, bei dem Hertha am Samstag im letzten Spiel 2009 antritt, wird Gekas noch nicht dabei sein, ist ja noch nicht Weihnachten. Dafür hat Funkel aber schon ein Konzept für das Spiel: hinten kompakt stehen.



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Geschrieben von

Dominik Bardow

Autor des Freitag

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