Nach Gras riecht es, wenn man das „Woodstock“ in Christiania betritt. Der Qualm der vielen Zigaretten und Joints legt sich wie ein Schleier über die Bar, in der sie schwer betrunken Karten und Würfel spielen, laut lachen und johlen. Der Kellner drängelt sich gestresst durchs Lokal. Es ist ein früher Montagabend, könnte aber auch jeder andere Tag in der Woche sein. Die Kneipe liegt auf der berühmten Pusherstreet in Christiania, der autonomen Freistadt in Kopenhagen. Schwarz gekleidete Männer mit dunklen Sonnenbrillen verkaufen Marihuana, Hasch und Kifferzubehör an ihren kleinen Ständen auf der Straße. Es gibt Lemon Haze, Jamaica Kush, Dansk Super Pot und viel mehr. Rap-Musik dröhnt einem in den Ohren. Ein Tourist umklammert
Hasch, Häscher
Kopenhagen Mit einer neuen Null-Toleranz-Strategie sollen die Drogen aus Christiania vertrieben werden

Fotos: Gerhard Leber/Imago
n Tourist umklammert besorgt die Hand seiner kleinen Tochter, als hätte er nicht gewusst, was sie beide hier erwartet.Es ist, wie es immer war in Christiania. Hastig stürzt einer der Dealer die letzten Reste seines Milkshakes herunter und wirft den leeren Becher neben sich auf den Boden. „Wanna buy something?“, fragt er die Vorbeigehenden, „wollen Sie was kaufen?“ Ein Gramm kostet hundert dänische Kronen, ungefähr 13 Euro. „Christiania ist in dieser Hinsicht wie jede andere Stadt auch: Im Zentrum sind die Leute, die Geld verdienen wollen“, erklärt der Mitarbeiter eines Cafés. Doch mit dem ungestörten Geldverdienen soll es bald vorbei sein.Der dänische Staat versucht seit Jahren mehr oder weniger erfolgreich, das Drogengeschäft einzudämmen (obwohl eine der wenigen Regeln, die sich die Bewohner hier gegeben haben, lautet: Keine harten Drogen!). Vor Kurzem beschlossen die „Christianiter“, wie man die Ansässigen hier nennt, dann selbst, die Dealer aus ihrem Freistadtidyll zu verjagen. Doch statt das Problem friedlich lösen zu lassen, rückt die Polizei seitdem bis zu fünf Mal am Tag teils brutal in Christiania ein. Im Mai dieses Jahres wurde die Pusherstreet geschlossen, weil die Revierkämpfe um den Cannabishandel eskaliert sind.Alte Hippies, neue HärteGleichzeitig bildet sich in Dänemark zunehmend eine breite politische Koalition gegen die Kriminalisierung von Marihuana. Diese reicht von der linken Einheitsliste, Sozialisten, der rot-grünen Alternative bis zu Liberalen, wie der in der Regierung als zweitgrößte Partei agierenden Liberalen Allianz. Und auch in der Sozialdemokratie bewegt sich immerhin etwas: Der bekannte Politiker Henrik Sass Larsen, Fraktionsvorsitzender im dänischen Parlament, setzt sich in einem unlängst erschienenen und viel diskutierten Buch nicht nur für die Legalisierung von Marihuana ein, sondern für die Entkriminalisierung aller Drogen in Dänemark. Das hat eine Debatte über die Null-Toleranz-Politik, die Larsen ein „humanitäres Desaster“ nennt, im Land ausgelöst. Und das in dem Moment, in dem die neue Law & Order-Strategie mit aller Gewalt auch in Christiania durchgesetzt werden soll.„Die ganze Sache hat damit angefangen, dass wir glaubten, dass ein paar Gangster andere Leute erpressen, um sie dazu zu kriegen, Drogen für sie zu verkaufen“, erklärt der Maler Marios Orozco. „Also haben wir die Pusherstreet drei Tage dichtgemacht. Und seitdem ist die Polizei ständig hier.“ Der Künstler, der seinen kreisrunden Haarausfall geschickt unter einer Baseballkappe versteckt, steht hinter der Theke seiner „Christiania Art Gallery“, einem bunt bemalten Haus, das direkt an der Hauptstraße liegt. Seine Bilder an den Wänden zeugen von der Liebe zur „Fristad“. Manche zeigen Menschen, die entspannt über die Pusherstreet schlendern. Auf anderen sind uniformierte Frauen zu sehen, die das Emblem der Freistadt, eine rote Flagge mit drei gelben Punkten (die drei i-Punkte in Christiania) darauf, vor sich hertragen. Marios Orozco ist Lokalpatriot. Ab und zu versorgt er hereinkommende Touristen mit Stadtplänen. Bereits 1981 ist er aus den USA nach Christiania gekommen.Er mag „Gesellschaften nicht, die nicht aufeinander achtgeben“, sagt er. Deswegen lebe er hier „mit den alten Hippies“, an einem Ort, an dem größeres Privateigentum nicht existiert, an dem jeder nur zur Miete wohnt und sich gut um seine Unterkunft zu kümmern hat, an dem die Nachbarn mitentscheiden dürfen, wer neben ihnen einzieht, und an dem sie ein Vetorecht haben, falls ihnen der Nachmieter nicht passt.Christiania, das ist jene alternative Wohnsiedlung auf einem ehemaligem Kasernengelände im Kopenhagener Stadtteil Christianshavn, die der Journalist Jacob Ludvigsen 1971 in einem Manifest zum „Land der Siedler“ ausrief, in dem „alle und jeder für sich für das Wohlergehen der gesamten Gemeinschaft verantwortlich ist“.Die Gemeinde sollte autonom regiert und offen für alternative Lebensstile sein, für Aussteiger, Hippies, Utopisten und Künstler.Früher hätte die Polizei sie in Ruhe gelassen, erinnert sich Orozco. „Damals hieß es: Lass die Hippies doch dahin gehen und kiffen, dann können wir den Haschischmarkt im Auge behalten.“ Heute scherten sich die Dealer nicht mehr um die Qualität ihrer Produkte, zu unsicher sei das Geschäft geworden, seit man ständig damit rechnen müsse, von der Staatsgewalt hochgenommen zu werden. Diese sei zu gewalttätig, besonders seit sie täglich mehrfach hier aufkreuze. „Ich habe schon mit eigenen Augen gesehen, wie Polizisten Dealer auf den Boden geworfen, ihnen Handschellen verpasst und sie dann trotzdem noch geschlagen haben. Das ist unzivilisiertes Verhalten“, sagt Orozco. Erfolgreich gegen einen Beamten vorzugehen, ist kaum möglich, da in der Beschwerdestelle ebenfalls ehemalige Polizisten sitzen. Das macht die Christianiter nur noch wütender. Marios Orozco genügt ein Wort, um die Atmosphäre im Freistaat zu beschreiben: „angespannt“. Das liege auch an zunehmenden Bandenkriegen. Der Handel mit den Drogen werde mehr und mehr von Dealern beherrscht, die außerhalb von Christiania lebten. „Vor ein paar Jahrzehnten hast du Hasch ohne großen Gewinn verkauft, weil es die Polizei und die Politiker nicht wirklich gekümmert hat. Wenn du erwischt wurdest, hast du vielleicht mal 20 Tage im Gefängnis gesessen. Heute bekommt man mindestens drei Monate oder sogar noch mehr.“ Die Einsätze der Polizei aber können das Problem nicht lösen, daher plädieren nicht wenige für eine Entkriminalisierung des Cannabishandels. Der ist ein großer Wirtschaftsfaktor, mit bis zu 130 Millionen Umsatz im Jahr.Jedes Mal, wenn man restriktiv gegen Christiania vorgegangen sei, habe sich der Drogenhandel danach über ganz Kopenhagen ausgebreitet und dort für Ärger gesorgt, weil sich bewaffnete Gangs in der Folge in der gesamten Stadt bekämpft hätten. „Die Politiker, und die Polizei als ihr Werkzeug, machen die Situation also nur noch schlimmer.“Eine Frau läuft friedlich über die Straße, verhält sich unauffällig. Alles an ihr strahlt Gefahrlosigkeit aus – dann stürmt ein Polizeibeamter auf sie zu und schubst sie so heftig, dass sie in ein hinter ihr liegendes Fahrrad stürzt. Orozco zeigt das Video, auf dem das zu sehen ist. Es wurde vor wenigen Wochen bei einem der zahlreichen Polizeieinsätze in der Freistadt aufgenommen. Der Maler redet von einem „Krieg gegen Christiania“, den die Politik schon seit den neunziger Jahren gegen die Freistadt und die Drogenhändler dort führe. Nun aber immer härter. „Und sie wollen Christiania noch immer schließen.“ Doch es ist ein Mekka für Touristen.Minderwertiges MistzeugUnd es ist wegen der großen öffentlichen Unterstützung für die Freistadt kaum möglich. Um das unkontrollierte Ausbreiten von minderwertigen Drogen, diesem „Mistzeug“, wie Orozco sagt, in Kopenhagen zu verhindern und zu einem friedlichen Miteinander zwischen Christiania und dem dänischen Staat zurückzukehren, schlägt er vor, Cannabis zu legalisieren und den Dealern auf der Pusherstreet Lizenzen für den Verkauf zu geben.Die Christianiter müssen von diesem Vorschlag nun nur noch die drei größten dänischen Parteien überzeugen. „Am besten wäre ein Modell wie in den Vereinigten Staaten“. Da ist Cannabis in einigen Staaten wie Kalifornien legal und der Staat verdient Geld damit. Amerika aber ist hier weit weg. „You are now entering the EU“, steht auf einem Schild am Ausgang.