Robin Hood vom Rhein tritt ab

SPD Norbert Walter-Borjans hört als Vorsitzender auf. Den Sozialdemokraten stellt sich jetzt die K-Frage: Kevin Kühnert oder Lars Klingbeil?
Norbert Walter-Borjans meint, jetzt sollten mal die Jüngeren ran
Norbert Walter-Borjans meint, jetzt sollten mal die Jüngeren ran

Foto: Omer Messinger/Getty Images

Im Mai konnte man Mitleid mit Norbert Walter-Borjans haben. Da saß der SPD-Vorsitzende im Spiegel-Spitzengespräch und bekam von Kollege Markus Feldenkirchen ein Blatt Papier mit einem Zeitstrahl darauf hingehalten. Dieser reichte bis zur Bundestagswahl im September und er solle doch mal bitte mal die Umfragekurve der Genossen darauf einzeichnen: Wann genau „zündet die SPD-Rakete“ und aus der 14-Prozent-Partei wird ein echter Kanzlerverein, also einer, der um die 25 Prozent an den Wahlurnen erreicht? Als „Nowabo“ den Stift zur Hand nahm und eine kontinuierliche Auffwärtskurve malte – weit rauf bis zur magischen 25-Prozent-Marke –, dachte man: Der Mann hat jeglichen Bezug zur Realität verloren. Wie soll die völlig zerrütte SPD in wenigen Monaten dermaßen viel dazu gewinnen, wo doch der Trend eher in die andere Richtung geht, also abwärts, immer weiter abwärts?

Am Ende kam es so, wie vom Parteichef prognostiziert: Die SPD holte 25,7 Prozent bei der Wahl und wird mit Olaf Scholz an der Spitze einer „Ampel-Koalition“ wohl die nächste Regierung anführen. Gerade zu diesem Zeitpunkt wirft der langjährige NRW-Finanzminister, der sich um die Bekämpfung von Steuer-Raubzügen der Reichen à la Cum-Ex verdient gemacht hat, hin: Er werde sich beim Parteitag im Dezember nicht zur Wiederwahl stellen, sagte Walter-Borjans am Freitag der Rheinischen Post (RP): „Für mich war mit dem Vorsitz von vorneherein keine weitere Karriere-Planung verbunden, sondern das Ziel, die Partei auf Kurs zu bringen und zu zeigen, dass es ohne Alphatier-Gehabe besser geht.“ Im Duo mit Saskia Esken sei es ihm gelungen, die Voraussetzungen für den aktuellen Erfolg der SPD zu schaffen und mit Scholz „den richtigen Kandidaten für die nächste Kanzlerschaft“ zu installieren. Jetzt aber sollten „die Jüngeren ran.“

Wie geht es weiter für die linken Sozis?

Doch wer sind diese „Jüngeren“? Zum einen wird innerhalb der SPD schon länger über Lars Klingbeil, den Generalsekretär, als möglichen Parteichef diskutiert – allerdings unter der Prämisse, dass dieser kein Ministeramt übernimmt. Die Strategie für die Rolle als Regierungspartei scheint zu sein, dass die Parteivorsitzenden nichts am Kabinettstisch zu suchen haben: „Die SPD-Führung darf nicht als Sprecherin der Koalition fungieren, sondern muss sozialdemokratische Impulse in die Regierung senden“, so Walter-Borjans weiter im RP-Interview. Jetzt wird Soldaten-Sohn Klingbeil zwar hin und wieder als potentieller Verteidigungsminister ins Spiel gebracht. Aber dass er mit der Vorstellung, Chef der Genossen zu werden, prinzipiell sympathisiert, zeigt ein Blick in die Vergangenheit: 2019 bewarb er sich vor allem deswegen nicht um deren Vorsitz, weil er keine politische Partnerin fand, mit er es zu 100 Prozent passte – damals war die Idee der Doppelspitze aber schon so weit gediehen, dass man nur im Duo antreten konnte.

Jetzt werden die Karten neu gemischt. Wird es wieder eine Doppelspitze geben? Und welchem Lager wird diese angehören? Scheint alles offen zu sein. Denkbar ist, dass der frisch in den Bundestag gewählte Kevin Kühnert nach der Macht greift. Dem Freitag hatte er noch vor einiger Zeit gesagt, dass er nur „einfacher Abgeordnter“ werden wolle – ist das regierungsfern genug? Walter-Borjans hatte auf Kandidatur für den Bundestag verzichtet, Saskia Esken gehört diesem weiter an. Dass Kühnert und Klingbeil gut miteinander können, ist kein Geheimnis. In der Politik müsse man „einigen Menschen wirklich vertrauen“ hatte Kühnert in einem Zeit-Interview im vergangenen Jahr gesagt und hinzugefügt: „Lars Klingbeil ist für mich einer dieser Menschen.“

Am Ende geht es darum, ob die SPD ihr Erfolgsrezept für die Bundestagswahl beibehalten wird: Linke Parteispitze und Realos an der Macht. Damit kann sie es vielleicht schaffen, ihre guten Umfragewerte beizubehalten – den innerparteilichen Konflikt kann sie damit nicht wegzaubern. Der könnte sogar wieder hochkochen, sobald die Genossen in Regierungsverantwortung sind. Spielen wir das mal durch und stellen uns vor, Klingbeil zöge bald tatsächlich im Bendlerblock, dem Sitz des Verteidigungsministeriums, ein: Dann säße da nicht nur ein konservativer Spargelfahrt-Genosse vom Seeheimer-Kreis, sondern auch ein Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik und Proponent eines höheren Wehretats – zudem einer, der als Befürworter der Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr gilt; diese Frage dürfte ohnehin bald wieder virulent werden, wenn es darum geht, welchen Kurs die Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung einschlagen. Und abends sitzen dann zwei linke Parteichefs (Esken und Kühnert?) in der Talkshow von Markus Lanz – und sagen was? Floskeln à la „Jetzt geht es um die Einheit der Partei“ werden kaum ziehen, wenn die realiter durchgesetzte Politik der eigenen Parteifreunde gerechtfertigt werden muss.

Norbert Walter-Borjans kann das dann egal sein. Der geht nun in Rente und kann sich einem seiner liebsten Hobbys widmen – der Bildhauerei.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Grünes Wissen“, „Social Media“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlichte er längere Reportagen u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

Dorian Baganz

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