„…und ich sach noch Baby, Baby sach ich, pass mit dem Rotwein auf!“ Babys Begleiter trägt weiße Schiebermütze, weißen Leinen-Anzug, weiße Lackschuhe und steht etwas abseits der babyblauen Dixie-Toiletten an der St. Michaelis Kirche, kurz dem Michel. Auch wenn ich Baby nicht persönlich kenne, weiß ich, sie trägt weiß und hat nicht mit dem Rotwein aufgepasst. Oha.
Weiß, eine Farbe von starker Symbolkraft: in der Vergangenheit, Gegenwart und bestimmt auch in der Zukunft. Weißer Sport, Hochzeit in Weiß, weiße Zahnpasta-Tuben, weiße Zähne sowieso. Weißes Haus, weißer Rauch, weiße Spitz-Kapuzen, weiße Tauben, Weißer Hai. Die Farbe steht zudem für Frieden, Jungfräulichkeit, Reinheit, Konterrevolution, Unsterblichkeit und ein Massen-Picknick am Michel.
Weiß Dinnieren am Michel
Die Gazetten werden schreiben, dass es 5.000 weiße Menschen sind, die am heutigen, zugegebener Weise lauschigen, Samstagabend die Fläche zwischen Michel und Verlag Gruner und Jahr mit Tischen, Kerzenständern, Sektkühlern, Picknick-Körben und kalten Platten okkupierten. Eine unpolitische, unkommerzielle Veranstaltung, so wird immer wieder betont. Jeder ist willkommen. Nur weiße Kleidung von Kopf bis Fuß, ist Pflicht. Schick gern gesehen.
Die Geschichte des Weißen Dinners führt ins Paris der 1980er zurück, wo ein betuchter Bewohner der Stadt, Francois Pasquier, seine an Gästen ausufernde Gartenparty in den nahe gelegenen Park „Bois de Bologne“ verlagerte. Das Erkennungsmerkmal: Weiße Kleidung. Diese ursprüngliche Oberschichten-Variante von „Occupy“ wiederholt sich seitdem jedes Jahr in der französischen Hauptstadt, an einem bis zuletzt geheim gehaltenen Ort, der dann mit Tischen samt aufwendiger Dekorationen, Dandy-Anzügen, großen Hüten und sonstigen Accessoires gestürmt wurde.
Gespeist wurde auf diese Weise bereits auf dem Place de la Concorde, der Avenue des Champs-Élysées und im Innenhof des Louvre. Geduldet, aber nicht genehmigt. Der Polizei wedeln beim Erscheinen Abertausende schneeweiß-gestärkte Servietten entgegen, als Zeichen der Versöhnung. Das wollte die Organisatorin des Hamburger Abendmahls auch. Seit drei Jahren wird jetzt auch in Hamburg gewedelt, jedoch ausschließlich als Zeichen der Freude, die Veranstaltung ist genehmigt, die Straße zum Michel gesperrt worden. Die Polizei benötigt somit keine Friedens-Servietten.
Wunderkerzen und Carpaccio
Auf der sogenannten „Michel-Wiese“ und den hellgrauen Steintreppen zum Michel hinauf riecht es nach Wunderkerzen und Carpaccio. Mitgebrachte Tongeräte spielen „Just a Gigolo“ und „Mein kleiner grüner Kaktus“. Alternativ finden sich weiße Liederkreise zusammen, die „Marmor, Stein und Eisen bricht“ interpretieren. Etwas aus der Entfernung betrachtet, erinnert das weiße Treiben am heutigen Abend an eine Mischung aus „Kokospralinen“-Werbung und eine Massen-Hochzeit der Moon-Sekte. Ab halb zehn mit Wunderkerzen.
Ganz oben, direkt auf dem Kirchhof des Michels hat sich eine Tafel positioniert, an der ein Kind mit Engelsflügen aus Entendaunen sitzt. Etwas gelangweilt steckt es seinen Kopf durch einen weißen Rettungsring mit goldenen Lettern: „Moet Chandon“. Milieu-Forscher wären aufgeschmissen. Kopie? Fälschung? Persiflage? Oder ernst gemeint? Die Engelsmutter trägt ein keckes weißes Hütchen und hochhackige Kreppsohlen, die sich gefährlich auf dem Pflaster des Kirchhofs biegen. Vor dem Tisch wurden drei leere Magnum-Champagner-Flaschen prominent positioniert. Papa im weißen Seidenhemd raucht Zigarre. Am anderen Ende des Tisches begleitet ein Gourmet auf seinem weißen Roland-Synthesizer eine Arie, die gewollt spontan von einer Frau mit Hut vorgetragen wird. Tischdecken, soweit das Auge reicht. Weiß, soweit das Auge reicht. Passanten hauchen Adjektive wie „zauberhaft“ und „traumhaft“ in die weiche Abendluft.
Ich, die heute grau-grün mit Jeans trägt und Leergut in einer bunten Tasche durch den weißen Reigen schleppt, fragt sich: Warum? Ist es das optische Gesamtwerk, eine gespielt oder ernst gemeinte Abgrenzung durch Uniformierung? Eine Persiflage des Großbürgertums oder etwa der Traum nach dem selbigen? Dreimal wurde ich heute fast überrannt. Gibt es noch diese Reflektoren-Teddys, die man zum Schulanfang geschenkt bekommen hat? Die würden im Schein dieser Parallelwelt helfen.
Eine Menge inszeniert sich auf den Spuren des Pariser Großbürgertums der 1980er. 5.000 mit Tisch auf Wiese dank Mund zu Mund-Propaganda und Facebook. Ist jedoch eine Abgrenzung durch Uniformierung wirklich unpolitisch? Im Schatten der Wunderkerzen verschwinden weiße Schiebermützen und Dandy-Anzüge hinter der Hecke zum Spielplatz. Auch Gigolos müssen mal. Aber Schwamm oder besser Sand drüber. Hauptsache Babys Rotweinflecken sind herausgegangen.
Jeden zweiten Dienstag setzt Doris Brandt, Freitag-Autorin und Community-Mitglied, ihren Rundgang durch Hamburg fort und zeichnet so ihr ganz eigenes Stadtbild. Zuletzt machte sie sich auf die Suche nach dem Occupy-Camp.
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