Die Außenalster trägt. Und zwar richtig, nicht nur so halb wie vor zwei Jahren. Lokale Radiosender schickten in der vorletzten Woche stündlich ihre Praktikanten zum Eismessen an die Außenalster um zu verkünden, dass Hamburg nur noch Zentimeter vor einem großen offiziellen Alstereisvergnügen stünde. Vergangenen Montag wurde Hamburg zum ersten Mal erlöst, die Alster wurde freigegeben. Vergangenen Mittwoch wurde Hamburg zum zweiten Mal erlöst. Dieses Wochenende fand erstmals seit 15 Jahren ein offizielles Alstereisvergnügen statt.
2010 trug das Alstereis auch. Knackblauer Himmel, eine fast jungfräulich wirkende Schneefläche, auf der sich nach und nach Langlauf-Ski, Schlitten-Kufen und rutschfeste Sohlen bewegten. Ich stand damals
chlitten-Kufen und rutschfeste Sohlen bewegten. Ich stand damals auch auf der Alster, genoss das Panorama ohne Angst haben zu müssen, von Alsterdampfer oder Ruderachter über den Haufen gefahren zu werden. Ich ging einfach umher, hielt meine Nase in die Wintersonne, genoss die Ruhe. Die Alster war auch vor zwei Jahren freigegeben, nur das offizielle Vergnügen mit den Buden blieb aus. Am darauf folgenden Wochenende wurde es wärmer und das Eis entsprechend dünner. Diese Szenerie noch in meinem leicht erkälteten Kopf umkurve ich also die Wochenend-Shopper zwischen Neuem Wall und Poststraße. Ich bin verabredet. Auf der Alster. Auch wenn sich der Himmel von seiner steingrauen Seite zeigt, eine feuchte Kälte langsam in mir hochsteigt, freue ich mich auf das Eis. Noch. Meinen persönlich letzten Budenzauber auf der Alster hatte ich in einem mintgrünen Mickey-Maus-Schneeanzug erlebt und wurde auf einem Schlitten hinter meinem Kotletten-verzierten Vater gezogen. Nachdem ich zahlreiche Tütenberge auf zwei Beinen abgewehrt habe, erreiche ich die Binnenalster. Vier Touristen stehen am Schiffsanleger und essen – Eis.Einer der Vier zeigt mampfend auf die glucksenden vor sich hin dümpelnden Eisschollen. Kann man schon, aber ob das dann jedoch ein Vergnügen wird?Ich werde schneller, versuche die große Menschentraube zu überholen.Irgendwann zwischen Unterführung der Lombardsbrücke und einer Verkehrsinsel wird es mir klar. Ich gehöre zu den Menschen, die ich bisher stets verurteilt habe. Eltern, die mit Kinderwägen auf Großveranstaltungen gehen. Ich stehe mitten drin."Nich mit Kinners"Rechts neben mir ein Relikt aus den 1980ern: blond-gestränte Igelfrisur über einer Helmut-Kohl-Gedächtnisbrille. Sie trägt eine Mc Laren Mercedes – Formel 1 – Jacke, Schnauzer und Eishockey-Schläger: „Mit Kinners würde ich hier nich hingehen.“ Ich auch nicht, aber nun ist es zu spät. Links neben mir ein sehr akkurater Herrenhaarschnitt mit vegetarischem Wrap in der einen und einem Heißgetränk im persönlichen Starbucks Thermobecher aus Edelstahl in der anderen Hand. Souverän schaut er in die Runde. Er hat englischsprachigen Besuch mitgebracht. „Sis is a very special event for hamburg. And stuff like sät.“ Das fehlende „th“ versucht er mit nicht angebrachten amerikanischen Füll-Phrasen zu kompensieren. Das „r“ spricht er so übertrieben aus, dass es sich alternativ auch um eine Magen-Darm-Grippe handeln könnte und ich mir bereits Gedanken über die Qualität seines Wraps mache. Warum müssen Fremdsprachen immer so laut herausgebellt werden? Durch die Lautstärke wird der Wortschatz auch nicht besser. Vor mir eine ältere Dame in altrosafarbenen, etwas zu engen Kunststoffhosen. Ihr ist kalt. Sie beherrscht Lockerungsübungen der Gesäßmuskulatur.So stehe ich da, eingepfercht zwischen Kunststoffhosen, Igelfrisuren und Wraps, die unschöne Töne hervorrufen. Stillstand im Reich der Grausamkeiten. Über die Lombardbrücke hinter mir rattern abwechselnd ICEes und S-Bahnen. Vor mir dröhnen Krankenwagen mit Menschen, die scheinbar bereits auf dem Eis gewesen waren, im Minutentakt. Neben mir ein Auto mit heruntergelassener Scheibe. Ein Autoradio quäckt nach draußen: „Dieses Wochenende werden auf der Hamburger Außenalster eine Millionen Menschen erwartet.“ Ja, ich habe es begriffen. „Yes, let’s go guys on se ice, and grab a hot wine! “ Ich verspüre das starke Verlangen, mir den Zahnungs-Beißring meiner Tochter auszuleihen. Die Wrap-Kunststoff-Igel-Karawane kommt einige Zentimeter voran. Warum tue ich mir das überhaupt an? Die Hamburger Presse wird sowieso am Montag berichten. Ich sehe es schon vor mir. Panoramabild der Million auf zugefrorener Alster, versehen mit der Überschrift: Hamburgs Eisparty, Hamburg on the rocks oder was auch immer. Unter dem Panoramabild dann Portraits von Henni aus Farmsen, Karlheinz aus Rahlstedt und Gundl aus Traunstein, die sich so sehr freut, gerade an diesem Wochenende in Hamburg zu sein.Ich habe es bis zur Verkehrsinsel geschafft und erhasche einen Blick. Einen Blick auf die Rückseite einer grün-weiß-gestreiften Plane, die anscheinend zu einer Event-Bude gehört. Irgendwo plärrt DJ Ötzi. Und da, ganz schemenhaft eine weiße Fläche mit schwarzen Punkten. „So jetzt haben Sie es ja auch geschafft mit Ihrer Karre.“ Ein kurzes verschwörerisches Zublinzeln durch eine Helmut-Kohl-Gedächtnisbrille, bevor ich den Kurs wechsle. Auf einmal wünsche ich mir den Alsterdampfer samt Ruderachter herbei. Und am Montag beim Bäcker werde ich mir die einschlägigen Blätter mit Panoramabild kaufen.