Nach zwei Jahren Coronapandemie in den Urlaub fliegen? So einfach wird es wohl nicht. Die Flughäfen ächzen unter dem Mangel an Mitarbeiter*innen, die während der Pandemie entlassen wurden. Es klingt einfach: Den Fachkräftemangel an den Flughäfen plant die Bundesregierung mit einem Anwerben von Personal aus anderen Ländern zu beheben. Sven Bergelin von der Bundesfachgruppe Luftverkehr der Gewerkschaft verdi spricht über die Pläne der Bundesregierung.
Der Freitag: Laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sollen an deutschen Flughäfen Arbeitskräfte aus dem Ausland befristet angeheuert werden. Von etwa 2000 Menschen aus der Türkei und den Balkanstaaten ist die Rede. Wie finden Sie die Idee?
Sven Bergelin: Grundsätzlich finden wir als verdi alles gut, was zu einer Entlastung der Kolleginnen und Kollegen an den Flughäfen beitragen kann. Wir haben aktuell eine Krankenquote von 20 Prozent an den Flughäfen, ein Ausdruck dieser extremen Überlastungssituation.
Was sind denn aus Ihrer Sicht die Gründe für den Personalmangel?
Der Personalschwund ist durch die Pandemie noch einmal offenkundig geworden. Wir hatten ähnliche Chaossituationen auch schon in den Jahren 2017 bis 2019, allerdings nicht ganz so dramatisch wie jetzt. Nochmal 20 Prozent Personal wurden während der Pandemie abgebaut. Das rächt sich total, weil an einzelnen Tagen jetzt schon das Passagieraufkommen höher ist als 2019, mit weniger Personal und der hohen Krankenquote.
Welche Vorteile hätte das denn, Menschen aus dem Ausland hier schnell zur Reisewelle einzusetzen?
Die Bedingungen dafür sind aus unserer Sicht, dass die Sicherheitsstandards die gleichen sein müssen wie für alle anderen. Alle neuen Kräfte müssten sogenannte Zuverlässigkeitsüberprüfungen vorweisen, damit Sie dann direkt mit den Passagieren und an den Flugzeugen arbeiten dürfen. Darüber hinaus muss man sich sprachlich verständigen können. Gegebenenfalls sollten die Arbeitgeber auch schon wegen der Sicherheitsfrage Sprachkurse anbieten. Und es darf kein Unterlaufen unserer tariflichen Standards an den Flughäfen geben. Mit dem Bundesarbeitsministerium sind wir dafür auch schon im Gespräch über ein Entsendegesetz, um die entsprechenden Tarifverträge auszuweiten auf diesen Personenkreis.
Jede Form von Sozialdumping und Ausbeutung solle ausgeschlossen werden, sagte Hubertus Heil. Ist das denn in der Praxis wirklich machbar?
Über das Entsendegesetz können wir den bestehenden Tarifvertrag ausweiten und sicherstellen. Die Zusage gibt es eben vom Bundesarbeitsminister und der Bundesregierung. Das war eine Bedingung von uns, dass wir dem zustimmen. Da sind wir guter Dinge, dass das auch gelingt.
Warum wirbt man die Arbeitskräfte, die vor der Pandemie auf den Flughäfen arbeiteten, nicht wieder an?
Es rächen sich 20 Jahre Lohndumping. Wir haben eine Situation, dass ungefähr ein Fünftel der Beschäftigten an den Flughäfen von der Anhebung des Mindestlohns profitiert. Die haben heute knapp über 10 Euro Mindestlohn pro Stunde. Das ist der Personenkreis, der in der bis zu 20 Monate andauernden Kurzarbeit überwiegend keine Aufstockung ihrer Arbeitgeber bekommen haben. Die waren quasi gezwungen, sich anderweitig zu orientieren. Die kommen auch nicht mehr zurück. Die Arbeitsbedingungen sind so unattraktiv auf den Flughäfen geworden, dass man mit den anderen Branchen nicht mehr Schritt halten kann.
Trotzdem fordert die Union, den Engpass mit inländischen Arbeitskräften zu sichern.
Das geht nach hinten los. Die Branche sucht händeringend und das ist einfach aus der Luft gegriffen. Ich musste lachen, als ich das heute Morgen gehört habe.
Also doch Fachkräfte aus dem Ausland.
Wir wissen vom Flughafenverband ADV und vom Arbeitgeberverband der Bodenverkehrsdienstleister ADL, dass sie in Istanbul mit Partnerunternehmen Gespräche führen. Notwendige Unterlagen und Sprachkenntnisse werden vorab gecheckt, sodass es schneller gehen könnte. Aber die Zuverlässigkeitsüberprüfungen durch die Luftfahrtbehörden dauern lang. Und da haben wir ein massives Nadelöhr bei den Verfahren. Vor der Pandemie betrug die Genehmigungsdauer 14 Tage, nun liegt sie zum Beispiel in Hessen bei bis zu 10 Wochen.
Warum das?
Auch in den Behörden ist Personal ausgedünnt worden aufgrund der Pandemie. Wir fordern, dort massiv Personal aufzustocken – weil 10 Wochen nützen nichts, dann ist der Sommer vorbei. Diese Zuverlässigkeitsüberprüfung ist eine der Voraussetzungen dafür, dass die Menschen hier arbeiten können.
Was wird bei diesen Zuverlässigkeitsüberprüfungen abgefragt?
Dafür müssen eine Fülle von Dokumenten und Nachweisen vorgelegt werden, wie zum Beispiel über die letzten Arbeitgeber, Wohnsitze oder polizeiliche Führungszeugnisse.
Gibt es bei Einsätzen von befristeten Kräften Bedenken aus Gewerkschaftssicht?
Haben wir grundsätzlich nicht, wenn die Voraussetzungen erfüllt werden. Eingesetzt werden die Menschen nicht bei den Sicherheitskontrollen, weil das im Auftrag der Bundespolizei erfolgt und da sind weitergehende Schulungen erforderlich. Aber in der Gepäckabfertigung, beim Gepäcktransport oder in der Begleitung von Passagieren ginge es.
Schulungen, Sprachkurse und Überprüfung der Unterlagen: So schnell wird es dann doch nicht gehen, mit dem Einsatz von Aushilfen, oder?
Wie gesagt, das Nadelöhr ist diese Zuverlässigkeitsüberprüfung ...
Also 10 Wochen.
10 Wochen im schlimmsten Fall. Aus unserer Sicht leistbar in den nächsten vier Wochen, sodass in den Sommerferien in einigen Bundesländern Personal einsatzfähig wäre.
Fliegen Sie eigentlich in den Urlaub?
Ich fliege viel, aber aktuell nicht in den Urlaub. Ist mir zu stressig.
Allerdings.
Im Moment ist es an den Flughäfen, gerade an diesen chaotischen Tagen, extrem emotional. Ist ja klar, wenn viele Leute stundenlang angestanden haben und dann noch den Flieger verpassen, sauer sind. Wir erleben zunehmend psychische und physische Gewalt gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die die Passagiere begleiten. Mir ist noch wichtig zu betonen, dass die Menschen bitte nicht ihren Frust am Personal auslassen, die unter wirklich hohen Belastungen ihr Menschenmögliches tun.
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