Hoffen auf die argentinische Justiz

Martín Villa Der Fall wirft Licht auf den beklagenswerten Zustand des spanischen Rechtsstaats und der spanischen Politik
Rodolfo Martín Villa, 2000
Rodolfo Martín Villa, 2000

Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP/Getty Images

Schon wieder eine peinliche „Einheitsfront“: Die Medien berichten von einem Brief, unterzeichnet von allen lebenden Expräsidenten: Felipe González, José María Aznar, José Luis Zapatero und Mariano Rajoy. Er ist an die argentinische Richterin María Servini gerichtet, die nach jahrelangen Ermittlungen 2014 einen internationalen Haftbefehl gegen Martín Villa wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen hatte, zusammen mit weiteren 19 Verantwortlichen für Verbrechen der Franco-Diktatur. Sie berief sich diesbezüglich auf das „universale Recht“, auf dem ja auch die Verfahren des Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte“ in Den Haag gründen. Die Unterzeichner betonen das makellose Verhalten und die politischen Verdienste von Martín Villa, Führungsfigur des Franco-Regimes.

Spanien verweigerte seinerzeit die Verhaftung und Auslieferung der 20 Angeklagten an die argentinische Justiz und berief sich dabei auf das Amnestiegesetz von 1977, das allen Verbrechern der Franco-Diktatur Straffreiheit garantiert. Nach langem Ringen der Richterin mit Spanien und der eigenen argentinischen Justiz blieb nur noch die Anklage gegen Martín Villa übrig, und nach Aufhebung des Haftbefehls nach Zahlung einer Kaution gestattete Spanien ein Verhör per Videokonferenz von der argentinischen Botschaft in Madrid aus. Termin 3. September.

Der Vorgang wirft einmal mehr Licht auf den beklagenswerten Zustand des spanischen Rechtsstaats und der spanischen Politik: Trotz mehrfacher Ermahnungen seitens der Vereinten Nationen seit dem Jahr 2009 ist dieses Amnestiegesetz nach wie vor in Kraft. Ja mehr noch: Auf seiner Basis wurde seinerzeit dem Richter Baltasar Garzón der Prozess gemacht, weil er sich erdreistete, bestimmte Verbrechen der Franco-Diktatur zu untersuchen.

„Knüppel des demokratischen Übergangs“

Eine weitere Peinlichkeit ist die erwähnte „Einheitsfront“ und ihre Verfestigung. In ihr intervenieren inzwischen, immer wenn es um den Versuch geht, die „Kloaken“ des spanischen Staats etwas auszumisten, alle „elder statesmen“, von rechts bis links. Protagonist ist dabei der ehemalige sozialistische Präsident Felipe González. Sein letzter Auftritt war erst kürzlich: Mit anderen politischen „Mumien“ unterschrieb er ein Manifest zur Ehrenrettung des geflüchteten spanischen Ex-Monarchen Juan Carlos I, in dem seine unauslöschlichen historischen Verdienste gepriesen werden und gegen seine „Beschmutzung“ protestiert wird. Unter den Unterzeichnern eine Riege bekannter Figuren wie Alfonso Guerra (ehemaliger Vizepräsident unter González) oder Esperanza Aguirre (ehemalige Präsidentin der Region Madrid und Rechtsaußen des Partido Popular), denen gemeinsam ist, dass sie strafrechtlichen „Dreck am Stecken“ haben. David Torres spricht anlässlich dieser Lobpreisung des Ex-Monarchen in publico.es vom Club der „lameculos“ (Arschlecker), ein anerkanntes Amt am britischen Königshaus bis ins Jahr 1901.

Diese „Einheitsfront“ hat sich im aktuellen Fall Martín Villa auf verstörende Weise erweitert um ehemalige Gewerkschaftsführer und um Josep Borrell, Veteran der sozialistischen Partei PSOE, für die Außenpolitik der EU zuständig, und als Katalane bekannt für seinen gnadenlosen Kampf gegen die Unanhängigkeitsbefürworter. Immerhin hat sich die Gewerkschaft UGT umgehend von ihren früheren Vorsitzenden distanziert und der argentinischen Richterin für ihre Standfestigkeit gedankt.

Die Martín Villa vorgeworfenen Straftaten beziehen sich interessanterweise auf die Zeit nach Francos Tod im November 1975, also die Periode des sogenannten „demokratischen Übergangs“. Martín Villa war unter Franco Minister für „Gewerkschaftsbeziehungen“ und nach seinem Tod von 1976 bis 1979 Innenminister. Später stieg er in der Regierung von Calvo Sotelo sogar zum Vizepräsidenten auf. Seine Zeit als Innenminister war durch das Fortführen einer blutigen Repression gekennzeichnet, was ihm den Spitznamen „Knüppel des demokratischen Übergangs“ einbrachte. Drei Verbrechen aus dieser Zeit sind Gegenstand der Anklage in Argentinien.

Wichtiges Beweismaterial blieb spurlos verschwunden

Ein erstes am 3. März 1976: In Vitoria (Baskenland) umzingelt die damals so genannte „bewaffnete Polizei“ eine Kirche, in der sich 4000 streikende Arbeiter versammelt hatten. Als diese nach Tränengaseinsatz in Panik aus der Kirche flüchten, wird mit scharfer Munition auf sie geschossen: 5 Tote. Die Ermittlungen der Justiz werden schnell eingestellt.

Ein zweites Verbrechen fand am 23. Januar 1977 statt. Faschistische Banden schießen im Zentrum von Madrid auf Demonstranten, die Amnestie für die immer noch eingesperrten politischen Gefangenen fordern. Sie erschießen Arturo Ruíz García. Der Mörder, Fernández Guaza, wird identifiziert und flüchtet mit Hilfe der Polizei ins Ausland. Keinerlei Fahndung, keinerlei Haftbefehl. Die Ermittlungen werden mehrfach eingestellt, und im Jahr 2000 wird der Mord schließlich vom Nationalen Gerichtshof (Audiencia Nacional) für verjährt erklärt.

Ein drittes Verbrechen: Am 8. Juli 1978, während der berühmten „Fiesta“ San Fermín (Hemingway) in Pamplona, entrollt eine Gruppe in der ebenfalls berühmten Stierkampfarena ein Transparent, auf dem Amnestie für die immer noch einsitzenden politischen Gefangenen gefordert wird. Die Polizei schießt mit scharfer Munition: 10 Personen mit Schussverletzungen, ein Toter. Ein aufgefangener Polizeibefehl: „Schießt soviel ihr könnt. Tote spielen keine Rolle“. Einige Tage später ein weiterer Toter durch Schüsse der Polizei in San Sebastián. Auch hier wieder wurden die Ermittlungen bald eingestellt. Ein Detail am Rande: Die Fernsehübertragung des Geschehens (das Fernsehen liefert regelmäßigausführliche Berichte der „Fiesta“), wichtiges Beweismaterial, blieb spurlos verschwunden.

Das alles unter Martín Villa als verantwortlicher Innenminister. Es ist nicht zu erwarten, dass die Video-Vernehmung strafrechtliche Folgen für Martín Villa haben wird. Der spanischen Justiz geht es wohl eher darum, ihr international angeschlagenes Image etwas kosmetisch aufzuhellen.

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