In Spanien ist die zweimonatige Sommerpause zu Ende gegangen, die sich traditionsgemäß über die Monate Juli und August erstreckt – auch in der Politik. Was in diesen Monaten in den Medien erschienen ist, könnte eigentlich als eine politische Erfolgsgeschichte der von Pedro Sánchez angeführten linken Regierungskoalition aus der sozialistischen Partei PSOE und der alternativen Linkspartei Unidas Podemos gewertet werden: in Sachen Pandemie eine erstaunlich erfolgreiche Impfkampagne mit über 75 Prozent vollständig geimpften Bürgern; eine gerade verabschiedete Erhöhung des Mindesteinkommens um 15 Euro auf 965 Euro; grünes Licht aus Brüssel für das aus EU-Geldern finanzierte Wiederaufbauprogramm nach dem durch die Pandemie verursachten wirtschaftlichen Einbruch; geschätztes Rekordwachstum der Wirtschaft in diesem Jahr um 6,3 Prozent (verglichen mit prognostizierten 3,7 Prozent in Deutschland); nicht zuletzt ein ziemlich reibungsloser Regierungsumbau nach dem Ausscheiden von Pablo Iglesias: die von ihm empfohlene Nachfolgerin Yolanda Díaz fällt durch ihre ruhige und konstruktive Arbeit auf und bietet selbst den regierungskritischen Medien kaum Angriffspunkte.
Ein besonders akutes Thema sind die dramatisch steigenden Energiepreise: Die Regierung traute sich am Ende sogar, gegen diese explodierenden Strompreise vorzugehen: im August im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um 44 Prozent. Dieser Anstieg hat, befeuert durch einige von der rechten Vorgängerregierung geerbte Gesetze, zu einer Energiekrise geführt, die die im Rest der EU noch übertrifft. Aufgrund eines dieser Gesetze, zur sogenannten „Sonnensteuer“, kassierte der Staat für den durch private Photovoltaikanlagen generierten Strom bei den Erzeugern sogar noch ab, anstatt die eingespeiste Energie zu vergüten. Ein anderes absurdes Element des spanischen Energiemarkts ist, dass der täglich wechselnde Verbraucherpreis pro Kilowattstunde sich nach der teuersten Energiequelle richtet, und das ist seit Längerem Gas. Die Folge: Die Hersteller von Atomstrom und hydroelektrischer Energie streichen für ihre seit Langem amortisierten Anlagen zusätzliche Milliardengewinne ein. Insgesamt kommt nach Berechnungen der europäischen Agentur Eurostat der spanische Energiesektor auf eine Gewinnspanne von 18,2 Prozent, im Vergleich mit einem europäischen Durchschnitt von 10 Prozent.
Konzernen Paroli bieten
Nach der Ankündigung von Pedro Sánchez, die durch die absurden Regeln der Preisfestsetzung entstehenden Extragewinne bei den Erzeugern von Nuklear- und Wasserenergie wieder abzuschöpfen, drohten die Betreiber der Kernkraftwerke mit deren Abschaltung. Es gehört Mut dazu, gegenüber den multinationalen Energiekonzernen (z.B. Endesa) standhaft zu bleiben. Die Rechtspartei läuft derweil Sturm gegen die Regierung und ihre „Konfiszierung“ von Privateigentum...
An einer anderen Front blockiert die Rechtspartei PP unerbittlich die Erneuerung der obersten spanischen Justizbehörde CGPJ, die die Richterstellen der obersten spanischen Gerichte besetzt. Deren Mandat ist seit Jahren abgelaufen. Alle Kampagnen gegen diese Blockade, darunter landesweite Unterschriftensammlungen, blieben bisher ohne Erfolg. Die rechte Richtermehrheit bis hin zum Verfassungsgericht nutzt die Situation für einen gnadenlosen juristischen Kampf gegen die Politik der Linksregierung. Nach deren Verurteilung wegen ihrer Pandemie-Maßnahmen hat das Verfassungsgericht gerade die Klagen der faschistischen Partei Vox gegen das Abtreibungsgesetz und der Rechtspartei PP gegen das kürzlich verabschiedete Euthanasiegesetz zugelassen.
Auf Rechtskurs
Und wie reagiert der spanische Wähler auf diese Situation, eine seine Gesundheit und seinen Geldbeutel schützende Regierungspolitik auf der einen Seite und das destruktive Vorgehen gegen diese Politik durch die Opposition auf der anderen Seite? Es wiederholt sich das Phänomen, das die Wahlen zuletzt am 4. Mai in der Autonomen Region Madrid und den damaligen Siegeszug von Isabel Ayuso kennzeichnete: nicht nur einen Zuwachs der Anhänger der Rechten zeigen die Umfragen, sondern es wachsen – jetzt landesweit – die Sympathien für Isabel Ayuso und ihren Flirt mit den Faschisten. Die Kräfte in der Rechtspartei, die eine Ablösung des gegenwärtigen Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten Pablo Casado, trotz seiner täglichen Ergüsse gegen die „sozialkommunistische“ Regierung, durch Isabel Ayuso betreiben, werden stärker. Nach jüngsten Umfragen wäre das Egebnis bei Wahlen in diesem Moment eine bequeme Regierungsmehrheit aus Rechtspartei und Faschisten. Die Medien betonen erfreut, dass es sich um eine stabile Regierung handeln würde.
Armes Spanien. Die einzige Hoffnung ist, dass die gegenwärtige Regierung bis zum nächsten regulären Wahltermin Ende 2023 durchhält und die Demenz des Wahlvolks sich bis dahin abschwächt.
Kommentare 6
"die Demenz des Wahlvolks", das ist nun eine wohlfeile "Erklärung" für den wahrscheinlich gewordenen Rechtsruck. Wer ist DAS Wahlvolk? Das Volk, der große Lümmel? Anscheinend werden die Politik der Rechten, die Demagogie, die Angstmacherei, die Versprechungen an die einen, die Drohungen an die anderen nicht als Ursache dieser Entwicklung angesehen, sondern - die Demenz des Wahlvolks eben. Gegen Demenz ist noch kein Kraut gewachsen. Wozu also überhaupt darüber schreiben?
Nach dem linken Guapo also dann die junge Guapa von rechts. Von Chamberi aus, um Isabel II daheim, lässt Isabel ihren Solgan in die Welt tönen:"Wenn sie mich Faschistin nennen, dann stehe ich auf der richtigen Seite der Geschichte!" Die Falange hat Madrid / Castilla La Mancha fest im Griff. Für die Klimawandel-Zukunft Spaniens sieht es, nach dem Weltklimarat, düster aus. Andalusien wird Wüste, Andaluz! Katalonien will die Unabhängigkeit. Und das Baskenland steht immer in seinen Startlöchern, auch wenn die ETA z.Zt. scheinbar tod ist. Dazu ein schwaches, angeschlagenes Königshaus. Olé!
Gegen die Demenz des Artikelschreibers scheint auch kein Kraut gewachsen.
Erstens liest man ja diese Tage von einem kommenden Vakzin gegen Demenz. Ausserdem sollen Demente eine verkürzte Lebenserwartung haben. Im übrigen ist - glaube ich - "Demenz" (wie "Schwachkopf") ironisch gemeint, falls Sie das Wort kennen.
"in Sachen Pandemie eine erstaunlich erfolgreiche Impfkampagne mit über 75 Prozent vollständig geimpften Bürgern"
Warum ist das so? Weil Spanien eine staatliches Gesundheitssystem hat und vor allem die Impfkampagne zielführender organisisert wurde. Man hat die Bürger nicht dazu genötigt, sich wie hierzulande mühsam via Internet einen Impftermin zu besorgen, sondern sie zeitlich nach Priorität gestaffelt per Anschreiben zu einem festgesetzten Impftermin eingeladen.
Als mich im Herbst letzten Jahres ein Freund danach fragte, wie das mit dem Impfen bei uns wohl vonstatten gehen könnte, sagte ich ihm, dass das m. E. n. nur so funktionieren könne: Personenstands-, Melde- und Gesundheitsdaten zusammenführen und dann gezielt anschreiben. Aber inzwischen wissen wir ja, dass die Inkompetenz des verantwortlichen politischen Personals zu flächendeckendem Organisationsversagen geführt hat.
Ja – leider werden die Rechten allgemein immer stärker. Und speziell leiderleider auch in Anbetracht einer Pandemiebekämpfungsstrategie, die dort, wie sie einigermaßen stringent zum Zug kommen kann, langsam Erfolge zeitigt. Im Grunde ähneln diese Leute randalierenden Patienten im Krankenhaus – wobei die Randale nicht nur dem Unwillen geschuldet ist, sich selbst behandeln zu lassen. In ihrem düsteren Gothic-Weltuntergangstrip wollen sie darüber hinaus, dass auch ALLE ANDEREN nicht behandelt werden.
Nichtsdestotrotz verläuft die aktuelle Frontlinie in Germany – jedenfalls für uns. Deadline für Sieg oder Niederlage ist der 26. September. Das wichtigste Hauptziel liegt dabei auf der Hand: die Schwarzen müssen von der Macht weg; die Hardcore-Neoliberalen, Corona-Leugner sowie Rechtsaußen-Anhänger davon ferngehalten werden. Wie eng das Bündnis speziell zwischen dem Unions-Kanzlerkandidaten und der mittlerweile teils in den Terrorismus abdriftenden Querdenker-Szene ist, hat sich erneut unter Beweis gestellt anlässlich des Mordes an einem Tankstellen-Kassierer, den ein Querdenker in Idar-Oberstein verübte. Was meint der Kanzlerkandidat der Union? Ein offizieller Wahlwerbespot der CDU zeigt Kanzlerkandidat Armin Laschet, wie er mit Thomas Brauner, einem Querdenker-Aktivisten der Reichsbürger-Szene diskutiert. O-Ton CDU-Spot: »Wir müssen diskutieren. Gerade mit denen«.
Die Zukunft liegt so auf der Hand: Armin Laschet möchte als Bundeskanzler – ähnlich wie Donald Trump – nicht nur seinen windfähnchenhaften Wirtschaft-first-Schlingerkurs in der Pandemiebekämpfung fortsetzen. Anstatt sich klar für die Anwendung der Gesetze bezüglich rechten Demokratiefeinden auszusprechen, will er lieber mit diesen »diskutieren«. Zu dem im CDU-Wahlwerbespot auftauchenden Thomas Brauner: Bekannt wurde der – in diesem friedensdemowatch-Beitrag portraitierte – Busfahrer dadurch, dass er Kinder im Bus aufforderte, die Masken abzunehmen.
Dass gerade solche Leute von der Union gehypt werden, ist einerseits ein Skandal – insbesondere in jenen CDU-regierten Ländern in abgelegenen Ecken der Republik, wo der Skandal längst zum tristschwarzblaubraunen Dauerzustand mutiert ist und sogar Mordaufrufe zwischenzeitlich von Gerichten als legal eingestuft werden. Andererseits zeigen derartige Zustände deutlich den zutiefst reaktionären Charakter der christdemokratischen Partei. Wobei sich das Reaktionäre nicht allein auf die in dem Milieu quasi traditionelle Wirtschaftsfreundlichkeit beschränkt, sondern schneller als man denkt in tiefsten Irrationalismus übergehen kann. Gott will, dass ihr krank werden sollt – warum stellt ihr euch Gott entgegen?
In fünf Tagen können die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger über diese Sorte Politikverständnis abstimmen. Ebenso wie über den demokratisch zweifelhaften Charakter, welchen speziell der Kanzlerkandidat der Union nunmehr bereits zu verschiedenen Anlässen an den Tag gelegt hat.