Die Nachricht dieser Woche: Kein Springer-Tribunal. Also „kein familientherapeutisches Unternehmen unter dem Vorsitz von Mathias Döpfner“, dem Vorstandsvorsitzenden der Springer AG, wie drei der eingeladenen 68er (Bernhard Blanke, Peter Schneider und Daniel Cohn-Bendit) in einem Statement formulieren.
Allen noch lebenden antiautoritären Aktivisten jener fernen Zeit dürfte bei dieser Nachricht ein Seufzer der Erleichterung entfahren sein. Niemand konnte sich ganz sicher sein, ob nicht Selbstinszenierungslust, Geltungsdrang oder Publicity-Sucht bei dem einen oder anderen Protagonisten der Revolte über Denkschärfe und Aufrichtigkeit gesiegt hätten.
Die Begründung der Absage der Drei ist teilweise rührend („Die versprengten Aktivisten von einst sind inzwischen um die 70 und haben sich nach Kräften individualisiert“). Auch spricht aus ihr wohlkalkulierte Zurückhaltung, wie sie diesen Personen durchaus nicht immer eignet. Keiner von ihnen „kann oder will als Gesamt-68er im Hause Springer Rede und Antwort stehen.“ Die durchdachte Selbst-Relativierung vereitelt schon einen Teil der Peinlichkeit, die mit einer Zusage an das Haus Springer notwendig verbunden gewesen wäre: Die antiautoritäre Bewegung kann sich heute nicht mehr artikulieren – sie kann nur von Einzelnen analysiert werden.
Insgesamt ist die Absage-Erklärung nicht gerade von großer analytischer Schärfe. Sie macht nicht ausreichend deutlich, warum die Liebe zu Aufklärung und Dialog nicht auf Seiten der Einladenden zu suchen ist, sondern bei denen, die der Einladung nicht zu folgen bereit sind. Allerdings hätte auch eine hellsichtigere Entlarvung des Spinger-Angebots nicht verhindert, dass der Konzern nun alle Register des Hohns und der Häme zieht. Ganz der Ton, den man aus alten Zeiten kennt. Das Image-Surplus bei einer möglichen Absage durch die 68er werden sich die Herren schon frühzeitig ausgerechnet haben. Aber verfrüht, wie sich zeigen könnte.
Die Offerte aus dem Hause Springer war bei Licht besehen nichts anderes als ein vergleichsweise charmantes zeichenpolitisches Scharmützel in einem Schachspiel, dessen Figuren längst umgefallen sind – in einem semiotischen Krieg, über dessen Gräber seit langem der Wind weht. Springers Geheimwaffe in diesem überraschenden Nachgefecht war der Schachzug, das „Tribunal“ im eigenen Hause stattfinden zu lassen – unter eigener Federführung, mit selbstbestimmter Besetzung und unter Ausschluss anderer Medien. Die 68er als Gäste bei Springer, Fotoleisten in seinen Blättern von Gemeinsamkeiten am Buffet, beim Ausbringen von Trinksprüchen, Eingeständnisse von beiden Seiten, wobei keine das Gesicht verliert. Kein Argument, whatsoever, der Linken hätte an diese Signifikate herangereicht. Ein wohlverdientes Trauma des Verlags wäre auf diese Weise in Verwesung übergegangen.
Dem gegenüber steht ein Vorschlag, wie ihn Günter Wallraff kürzlich formuliert hat, und wie er auch im Freitag gemacht wurde: Eine Tagung zu dem Verhältnis zwischen Springer und APO auf neutralem Boden, unter der Leitung einer dritten Instanz, die von beiden Seiten akzeptiert wird, und selbstverständlich unter Beteiligung wissenschaftlicher Fachleute und aller interessierten Medien. Ein solcher Vorschlag klingt auch in dem erwähnten Statement zur Absage an Springer an: Für „Erkenntnisgewinn“ und „mehr Wissen übereinander“, welche die Springer AG nun ersehnt, sei, so schreiben Blanke, Cohn-Bendit und Schneider, „ein von unabhängigen Köpfen bestelltes und geleitetes Symposium unter einem neutralen Dach geeigneter.“
Passende Räume wären sicherlich in der Freien Universität, in der Technischen Universität oder bei der evangelischen Studentengemeinde zu finden – Orte, die in den früheren Kämpfen eine Rolle gespielt haben. Auf Seiten der Linken wären Journalisten wie Otto Köhler, Günter Wallraff oder Manfred Bissinger sachkundige Zeugen, während dem Verlag mit Thomas Schmid und Götz Aly zwei selbstkasteiende Spätachtundsechziger und mit Kai Diekmann ein smarter ausgewiesener 68-Basher zu Diensten stünden.
Erste Rückzugs-Signale von Seiten des Verlags liegen schon länger vor: In einem offenen Brief an Wallraff schreibt Thomas Schmid: „Wir haben nicht vor, uns einem wie immer zusammengesetzten Gremium zur allfälligen Aburteilung zu stellen.“ An Instinkt mangelte es dem Verlag noch nie. Bei einer Tagung außerhalb der eigenen Mauern und der eigenen Regie hätte er nichts zu lachen. Aber der Vorschlag ist da. Der Trapper tappt in die selbstgestellte Falle. Geht Springer nicht auf das Angebot ein, dann wird endgültig deutlich werden, wes Geistes Kind das projektierte neue „Springer-Tribunal“ war, und wie gut die 68er daran taten, nicht auf diese zeichenpolitische Geisterstunde hereinzufallen.
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