Nirgends offenbart sich die (christliche) Leitkultur unbarmherziger als im Umgang mit Ausländern
Jetzt, da der Vorsitzende der Christlich Sozialen Union noch einmal und ein für allemal in Granit gemeißelt hat, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, ist die logische Konsequenz: Sollen doch die anderen schauen, wie sie zurechtkommen. Griechenland ist gemeint, das kürzlich nach Frontex gerufen hat oder Italien, alle die Länder und deren Menschen, die an einer leicht erreichbaren EU-Außengrenze leben; wo der physische Zugang zur Europäischen Union geographisch bedingt schwer kontrollierbar ist. Mehr eine Frage des Zufalls (oder der Auskundschaftung neuer Routen) ist es, welcher Bereich gerade mal wieder ins Visier rückt.
Politische Versprechen und das Bundesverfassungsgericht
Aber Granit kann ebenfalls brechen. Einer der Knackpunkte könnte die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylrecht sein, genauer: zur Abschiebepraxis Deutschlands Richtung sog. „sichere Drittstaaten“, dem eine Grundgesetzänderung vorausgegangen war. Bis zum 30. Juni 1993 lautete die einschlägige Bestimmung in Art. 16 Absatz 2 Satz 2 schlicht und einfach: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Er wurde abgeändert in den eigenen Artikel 16a und mit vielen wenn und aber versehen; wie diese konkret lauten, kann jeder selbst nachlesen.
In einem bemerkenswerten Beitrag für die Evangelische Akademie Bad Boll hat Wolfgang Grenz (stellv. Generalsekretär von Amnesty International Deutschland) den Ursprung des Grundrechts auf Asyl so beschrieben: „Als bisher einziger Staat in der Welt hatte sich die Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz selbst die Verpflichtung gesetzt, politisch Verfolgten ohne Unterschied und Einschränkung Asyl zu gewähren. Grund war die Verfolgung und Flucht Hunderttausender von Menschen unter dem Terror des Nationalsozialismus.“ Grenz katalogisiert minutiös den Werdegang dieser Errungenschaft bis zum heutigen Zustand wirtschaftlicher Opportunität nach.
An dem Punkt ist nun auch das Bundesverfassungsgericht angekommen. Denn die bequeme Ausflucht, das deutsche sei nur Ausfluss europäischen Rechts, steht insgesamt auf dem Prüfstand, nicht nur dem juristischen. Die Bedeutung des Falles mag sich alleine daraus erschließen, dass bereits weit vor der mündlichen Verhandlung das Gericht eine ausführliche Pressemitteilung ins Netz gestellt hat. Ob sich der Verhandlung vom vergangenen Donnerstag bereits eine Tendenz ablesen lässt, sei dahin gestellt. Zutreffender ist mit Heribert Prantl („Das Grundrecht dritter Klasse“) zu verdeutlichen, dass die Restriktionen des deutschen Asylrechts beispielgebend gewesen und immer noch sind für das, was innerhalb der EU, aber auch der einzelnen Mitgliedstaaten geschieht.
Etwa für die italienische Praxis,an den Grenzen der Territorialgewässer Boote abzufangen und die Menschen an Bord ungeachtet ihrer Provenienz nach Libyen zu expedieren. Das beschäftigt seit über einem Jahr öffentliche Meinung, UNO und die Kirchen, ohne dass sich etwas geändert hätte. Im Gegenteil: Wohl angeregt vom italienischen Beispiel ist es nun an Griechenland, die Hilfe von „Frontex“ anzufordern. Mitverantwortlich für diesen sog. Hilferuf ist aber gerade die deutsche Praxis, auf dem Weg die Menschen, den sie zur deutschen Grenze hin genommen haben, wieder zurück zu schicken. Womit wir wieder beim Bundesverfassungsgericht wären: Es befasst sich mit einem irakischen Asylbewerber, der über Griechenland gekommen war und dorthin wieder abgeschoben wurde.
Vom großherzigen Versprechen aus leidvoller Erfahrung zum Verwendbarkeitsprofil
Wie intolerabel diese Handhabung ist, erschließt sich aus Reportagen und Bildern, die wir hierzulande eher selten zu sehen bekommen: Malta, nella trappola dell’isola (Malta, in der Falle der Insel); Così la Libia imprigiona i profughi (So sperrt Libyen die Flüchtlinge ein). Der Freitag hat sich nun ebenfalls dieses Themas angenommen mit einem sehr plastischen Artikel von Tom Mustroph („Ertrunken vor Marina di Palma“). Die ORF-Reportage „Griechenland – Flucht ins Nirgendwo“ vom vergangenen Mittwoch (via sibiuaner.de, „Glücksspiel Internierung“) mag das Bild abrunden.
Eine Nuance ist jedoch hinzuzufügen: Erst die Restriktion des Asylrechts unter den Ausschlussbegriff der „Wirtschaftsflüchtlinge“ hat es in den vergangenen Jahrzehnten erlaubt, den erlauchten Kreis derer, die deutschen Boden betreten sollen dürfen, noch enger zu fassen. Die politische Diskussion, die in den 1990ern zur Veränderung im Grundgesetz geführt hat, hat die Wahrnehmung für Menschen, die von außerhalb nach Deutschland kommen wollen, blank und frei auf ihren Nutzwert reduziert: Nur was Deutschland frommt, darf auch herein. An der Qualität dieser Aussage ist seit Seehofers Exploit nicht zu zweifeln. Unter solchen Präjudizien lässt es sich sodann fein gegen „Gemüseverkäufer“, „Kopftuchmädchen“ und sogar deren genetische oder religiöse Befindlichkeiten streiten. Das Versprechen einer Großherzigkeit, die eigener Erfahrung geschuldet war, ist so zu seinem Gegenteil pervertiert worden, zur unbarmherzigen Selektion. Asyl und Zuwanderung hängen, es wird noch einmal deutlich, untrennbar zusammen.
Morgen ist Allerheiligen, ein Tag für das große C im Namen von zwei Parteien, die heute Teile der Bevölkerung als „muslimische Mitbürger“ im pejorativen Sinne ansprechen. Der Feiertag ist dem heidnischen Gedenken an die Toten aufgepfropft. Die Toten im Mittelmeer sind keine Heiligen, sie sind auch keine Märtyrer. Aber es lohnt sich, ihrer zu gedenken, denn sie sind Opfer von Politik, die sich simpelster Wurzeln ihrer eigenen, hoch gelobten Kultur nicht entsinnen will: Pietas et Caritas.
Startseitenfoto: Dierk Schaefer / Flickr
Kommentare 14
Na, wenigstens Einer, der trotzdem lacht.
!
Zur Einführung des Artikels 16a sollte auch nicht vergessen werden, was genau dazu führte. Nämlich die Brandanschläge gegen Einwanderer in Mölln und Solingen, gipfelnd in den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. Zum Nachlesen darüber wie über die hahnebüchene juristische Aufarbeitung 'Das Sonnenblumenhaus' www.christoph-koch.net/2007/10/26/das-sonnenblumen-haus/ und 'Ich war Teil der Meute' www.zeit.de/2002/25/Ich_war_Teil_der_Meute?page=all
Beim Zusammenhang zwischen dem CDU/CSU-Gehetze von 'Das Boot ist voll' und dem nachträglichen Versuch von ebenda, das geänderte Asylgesetz als Maßnahme gegen künftige Pogrome zu verkaufen (vom feigen Einknicken der SPD zu schweigen), kräuseln sich mir bis heute die Magenschleimhäute.
Beeindruckender Beitrag, dem ich voll zustimme, obwohl mir klar ist, dass das eigentlich viel zu wenig ist!
"Die Toten im Mittelmeer sind keine Heiligen, sie sind auch keine Märtyrer. Aber es lohnt sich, ihrer zu gedenken, denn sie sind Opfer von Politik, die sich simpelster Wurzeln ihrer eigenen, hoch gelobten Kultur nicht entsinnen will: Pietas et Caritas."
Selten so was Beeindruckendes gelesen!
„In einem bemerkenswerten Beitrag für die Evangelische Akademie Bad Boll hat Wolfgang Grenz (stellv. Generalsekretär von Amnesty International Deutschland) den Ursprung des Grundrechts auf Asyl so beschrieben: „Als bisher einziger Staat in der Welt hatte sich die Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz selbst die Verpflichtung gesetzt, politisch Verfolgten ohne Unterschied und Einschränkung Asyl zu gewähren. Grund war die Verfolgung und Flucht Hunderttausender von Menschen unter dem Terror des Nationalsozialismus.“ Grenz katalogisiert minutiös den Werdegang dieser Errungenschaft bis zum heutigen Zustand wirtschaftlicher Opportunität nach.“
Was als so genannte politische Opportunitätsbegriff damals mit dem Grundgesetz 1949 überwunden, trabt nun als der Amtsschimmel so genannter „wirtschaftliche Opportunität“ daher.
Anstatt für Griechenland u. a. Länder an den Außengrenzen die Grenzen nach innen aufzumachen, werden nun Aktionen der „Frontex“ mobilisiert.
Was ist an solchen Tagen wie der gestrige Reformationstag, heute Allerheiligen noch dran, wenn nicht die Religionsfreiheit als Reichtum kultureller Vielstimmigkeit durch Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit im Namen einer wahrhaften Globalisierung allerorten unterfüttert wird
Nirgends offenbart sich die Verlogenheit einiger Linker hierzulande mehr als im Umgang mit Ausländern. Da wird eine regelrechte Klientelpolitik unter dem Banner der Menschlichkeit betrieben: Politische Flüchtlinge, Wirtschaftsflüchtlinge, Kriegsflüchtlinge, Importbräute, Kriminelle Banden, Terroristen - Hauptsache, es kommen viele. Hauptsache, das Wohlstands- und Demokratiegefälle bleibt zementiert. Hauptsache, man hat überhaupt noch ein Thema, mit dem man in die Schlagzeilen kommt. Über ein Szenario, in welchem die Grenzen nach Europa tatsächlich offen wären, möchte man lieber nicht nachdenken. Braucht man auch nicht, wenn man keine politische Verantwortung zu tragen hat.
Das lassen Sie mal besser nicht bei UNHCR hören. Oder noch besser beim CEI, der italienischen Bischofskonferenz; bei "links" werden die immer ganz wuschig. Auch der Hinweis auf die evangelische Akademie im Text sollte Ihnen etwas sagen: Dass alleine die Gleichsetzung "politische Flüchtlinge", "Kriegsflüchtlinge" mit "Terroristen" bei Ihnen im Kommentar die Wirkung eben dieses Zungenschlages über Jahrzehnte hinweg Wirkung zeigt. Nicht die Beste, will mir scheinen.
Man könnte es evtl. zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, was ein Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit meint, wenn er sagt, natürlich müssten deutsche Interessen bei der Entwicklungshilfe ein Ziel sein. Förderte man tatsächlich „Hilfe zur Selbsthilfe“ statt lokale Potentaten mit Blick auf deren Rohstoffe, gäbe es in diesem Bereich ein effektives Controlling statt ein Jahr Touristik fast Erster Klasse im Projekt „weltwärts“ der damaligen Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (Kosten rund 70 Mio Euro), gäbe es, mit anderen Worten: Ein Anliegen, die Lage in den „Auswanderungsländern“ so zu gestalten, dass sich das Bleiben lohnte, dann gäbe es viele Probleme weniger. Das sind auch "deutsche Interessen", finde ich.
Allerdings jammere ich nicht, sondern beklage es, und die Toten klagen an. Dass Sie das als hohes Niveau erachten, ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.
Klar werden die Bischöfe bei "links" immer ganz wuschig - hier geht's schließlich um Stimmvieh und die eigene Daseinsberechtigung. Wenn Macht und Einfluss im Land schwinden, muss man sich die Gefolgschaft eben an der Grenze abholen.
Die Kirche hatte noch nie Interesse, irgendetwas an den Armutsverhältnissen in der Welt zu ändern. Die Mullahs auch nicht. Nur wer leidet, ist ein guter Gläubiger. Der "Linken" würde ich das so nicht unterstellen - sie leidet eher unter der Kausalität, mit welcher ihre Macht an ärmliche Verhältnisse gekoppelt ist.
PS: Lassen Sie sich mal den Unterschied zwischen Aufzählung und Gleichsetzung erklären.
Mit "Hauptsache, es kommen viele" haben Sie selber die gleichsetzende Klammer gesetzt. Wenn Sie tatsächlich meinen, mit neckischen Spielchen den Leser für dumm verkaufen zu können, nur weiter so.
Vielen Dank für diesen hervorragend geschriebenen Beitrag zu einem sehr ernsten und wichtigen Thema!!!
Von mir bestehen keine Einwände. Sie könnten von Ihrem Forum aus auch hierher verlinken :)
Wer schreibt denn von "unbarmherziger Selektion"? Wer will denn keinen Unterschied zwischen Asyl und Zuwanderung machen? Dann überlegen Sie noch mal, wer die "Klammer" setzt.
@dame.von.welt
"vom feigen Einknicken der SPD zu schweigen" ....
Korrekt!!! Das macht ihre anfängliche Empörung (...die parlamentarische Asyldebatte begann im Jahre 1986 auf Antrag des Herrn Volker Rühe...) noch heuchlerischer und ekliger!