Rücktritt von der Spitze der Entrüstung

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Christian Wulff ist vom Amt des Bundespräsidenten zurück getreten. An diesem Freitag den 17. ausgerechnet die Person, die das Alltägliche am besten verkörpert hat und damit zu Recht als erster Repräsentant Deutschlands gelten konnte

Von Deutschland als korruptem Staat zu sprechen, wäre natürlich zuviel verlangt. Anderswo, so wurde in den letzten Wochen betont, sähe es viel schlimmer aus, in Italien etwa.

Dort war die Regierung Monti kaum installiert, als bereits die ersten Nachrichten darüber zirkulierten, dass unter den Technokraten ganz schnöder Mammon ebenfalls Leitwährung ist. Staatssekretär Carlo Malinconico hatte sich Urlaub in einem Luxushotel in Porto Ercole erlaubt. Dabei ist zu beachten, dass der malerische Ort am Monte Argentario mit Blick auf „Urlaub“ ein beinahe genauso mythisches weil teures Pflaster für Mittelitaliener ist wie Sylt für einen Niedersachsen. Auch da ging es darum, dass der Aufenthalt von einem Unternehmer gezahlt worden war und um die Behauptung des Amtsinhabers, die Rechnung nachträglich ausgeglichen zu haben. Malinconico musste schließlich demissionieren.

Der Vergleich mag hinken: Da der ehemalige Ministerpräsident eines Bundeslandes, dort ein subalternes politisches Amt. Im Gegenteil könnte das Beispiel dazu verleiten, um darzulegen, welche Ebenen bereits korrumpiert seien und welche hierzulande -man hört beinahe den Erleichterungsseufzer- noch nicht.

Was dann erst sagen, wenn praktisch parallel zur Causa Wulff in Österreich ein parlamentarischer Korruptions-Ausschuss eingerichtet worden ist. Gestern wurde der Geschäftsmann und Lobbyist Peter Hochegger einvernommen, der ohne weiteres zugegeben hat, Millionen im Interesse der Telekom Austria unter 28 Politikern verteilt zu haben, um die Gesetzgebung zu beeinflussen – von Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) bis zu den hintersten Zipfeln der Politik im BZÖ. Die Worte, die Hochegger im anschließenden Interview gefunden hat, klingen seit heute Mittag auch für deutsche Ohren vertraut: Moralisch sei vielleicht nicht alles richtig gewesen. Aber strafrechtliche Relevanz gäbe es keine. Und nur die sei schließlich ausschlaggebend.

Verwerflichkeit als Konstante

Von allen drei Personen und ihren Umständen ist die Fehlbarkeit in moralischer Hinsicht quasi als Entschuldigungsgrund evoziert worden. Was die ohnehin feststehende Meinung, dass Moral in der Politik nichts zu suchen habe, nur weiter zementiert. Freilich in einem anderen als im landläufigen Sinne.

Denn sich aufgrund von Freundschaft und Bekanntschaften einen Vorteil zu verschaffen, ist die älteste Währung der Welt. Denn natürlich führt sie dazu, dass man das Auto bei einem Bekannten reparieren lässt, dafür weniger zahlt als in der Fachwerkstatt, spätestens dann wenn es um die Mehrwertsteuer geht. Und natürlich berät ein Anwalt auch mal gratis unter der Hand, etwa beim Abendessen im Freundeskreis, obwohl er das nicht dürfte. Jemand der jemanden kennt, der Mörtel hatte und dafür Winterreifen suchte, war sogar eine ganz reale Bedingung in einer gelenkten Wirtschaft, die vor rund 20 Jahren ihr Ende fand, dort sogar mit einem bewundernden Unterton, dass man sich trotz allem durchfitzen konnte.

Nein, mit Moral hat das alles nichts zu tun. Denn jeder schaut, wo er bleibt, immer, überall. Wer etwas anderes behauptet, lügt sich und anderen in die Tasche. Wo also die moralische Frage gestellt wird, sogar zugegeben wird, gegen derartige Prinzipien verstoßen zu haben, dann ist stets ein Gebiet angesprochen, das Konventionen per Definition ausschließt, das der Einflussnahme.

Wo das do ut des unter Freunden nur den einfachen Tauschhandel bedeutet, ist es auf Ebene der Politik vom Kuhhandel zur Gesetzgebung zugunsten eines ganzen Wirtschaftszweiges oder für eine Einflussgruppe nur ein kurzer Weg. Das ist die faktische Entmündigung des eigentlichen Souveräns, der sich mit der Wahl zwar für eine Partei ausgesprochen haben mag, aber nicht dafür, dass dadurch ein bestimmter Unternehmer oder das Hotelleriewesen besonders gefördert würden.

Die aufgeflammte Entrüstung -in Italien, Österreich, Deutschland- stammt in Teilen aus dem Bewusstsein, von diesem Prozess, der eigentlich alltäglich ist, ausgeschlossen zu sein. „Die da Oben richten es sich“ ist der Ausdruck einer nicht nur vertikalen Asymmetrie, sondern vor allem der Ohnmacht gegenüber einer Haltung, die dem Direktor Heinrich Haffenloher in Kir Royal so elegant aus dem Mund strömte: „Ich scheiß Dich mit meinem Geld zu!“.

Korruption ist Entmündigung des Souveräns

Solches Ungleichgewicht zu unterbinden -Millionen die den Souverän darstellen hier, die Millionen eines Einzelnen zur Entscheidungsfindung dort- muss Ziel einer Selbstbindung der Politik sein, der der Begriff von Demokratie etwas bedeutet. Das hat nichts mit Konventionen zu tun, einem ethischen Verhalten oder mit Katalogen, die danach ausgerichtet werden. Es hat ganz konkret mit der Überprüfbarkeit von Entscheidungen zu tun, der sachgemäßen Beurteilung und der Außerachtlassung sachfremder Umstände. Alles andere ist die Fortführung des Zensuswahlrechts mit anderen Mitteln.

Davon sind Medien als Vierte Gewalt im Staat nicht ausgenommen. Das Näheverhältnis der Kontrolleure zu den Kontrollierten hat sich anhand der Selbstverständlichkeit gezeigt, mit der ein Bundespräsident den Hörer in die Hand genommen hat, um auf eine Veröffentlichung Einfluss zu nehmen. Es ist eines der wenigen Male gewesen, da die Zeitung mit den vier Buchstaben -und ihr später andere folgend- von einer Hofberichterstattung abgelassen und in medias res gegangen ist. Nicht aus journalistischer Verantwortung, sondern weil das austarierte Zusammenspiel durch eine unsorgsame Wortwahl von Christian Wulff kurzgeschlossen zu werden drohte. Transparenz also aus der Not geboren, als letztes Mittel?

Moral hat in der Politik nichts zu suchen. Nicht weil Politik und die Akteure ohnehin unmoralisch wären. Sondern weil Sitte und Konvention nach wie vor der Treibsatz sind, mit dem sich Entrüstung generieren lässt, die weitaus mächtigere Treibfeder als jede rationelle Entscheidung. Und im Zweifel die lukrativere. e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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