Ein Brüllen und der Geiz des Fussballs

Zinédine Zidanes Weltmeisterschaft Im Tempel der Fußballanbetung und der respektierten Regeln, wo Coca Cola Glück verschenkt, Mastercard Wohlstand vergibt und Hyundai Geschwindigkeit ...

Im Tempel der Fußballanbetung und der respektierten Regeln, wo Coca Cola Glück verschenkt, Mastercard Wohlstand vergibt und Hyundai Geschwindigkeit verleiht, werden die letzten Minuten der letzten Partie der Weltmeisterschaft 2006 gespielt. Es ist auch das letzte Spiel des besten Spielers, des beliebtesten, der gerade dem Fußball Adieu sagt. Die Augen der Welt sind auf ihn gerichtet. Und plötzlich verwandelt sich der König des Festes in einen wütenden Stier, der auf den Gegner losgeht, ihn mit dem Kopf gegen die Brust stößt - und danach abtritt.

Er geht, vom Richter des Feldes verwiesen und begleitet vom Pfeifen des Publikums, das ihm Ovationen hatte bereiten wollen. Auf seinem Weg geht er an dem goldenen Pokal vorbei, der auf den Weltmeister wartet, er schaut nicht einmal mehr hin.

Als die WM begann, meinten die Experten, Zinédine Zidane wäre alt geworden. Mariano Pernia, ein Argentinier, der in der Nationalelf Spaniens spielt, bemerkte: "Alt ist der Wind und bläst noch immer ..." Schließlich gewann Frankreich gegen Spanien, Brasilien und Portugal, und Zidane war in diesen Spielen der Jüngste von allen.

Wie es ausschaut, ließ der italienische Verteidiger Marco Materazzi im Finale einige von jenen rassistischen Schimpfwörtern vom Stapel, die normalerweise von den Rängen herunter geschrieen werden. Zidane - Muslim und algerischer Herkunft - musste in seiner Kindheit lernen, damit umzugehen, wenn er in den Vororten von Marseille derart angegangen wurde. Er kannte diese Sprüche sehr gut, aber sie schmerzten ihn offenbar noch immer und wie beim ersten Mal. Und seine Gegner wussten, welche Provokationen sitzen. Mehr als einmal hatte er deshalb die Beherrschung verloren.

Vor dem Turnier gab der französische Politiker Jean-Marie Le Pen vom ultrarechten Front National zum Besten, Frankreich könne sich in der Mannschaft nicht erkennen, weil sie fast schwarz und ihr Kapitän ein Araber sei, der die Hymne nicht mitsinge. Vorher schon hatte der spanische Trainer Luis Aragonés den französischen Stürmer Thierry Henry als "beschissenen Schwarzen" bezeichnet.

Vielleicht war die verrückte Attacke - auch wenn es Zidane nicht wollte und nichts davon wusste - ein Aufbrüllen aus Impotenz. Vielleicht war es ein Aufbrüllen in der Hilflosigkeit gegen die Beschimpfungen, die Rempeleien, das Bespucken, die versteckten Tritte und das Unschuldsgehabe derer, die dich umbringen wollen, während sie mit Gesten beteuern: "Ich-war-es-nicht". Oder war es vielleicht ein Aufbrüllen gegen die Schäbigkeit, die Feigheit und den Geiz eines Fußballs, den uns die Globalisierung - als Feind der Vielfalt - immer mehr aufzwingt? Im Verlauf der Weltmeisterschaft wurde immer klarer, dass Zinédine Zidane nicht zu diesem Zirkus gehörte. Mit seiner magischen Kunst, seiner meisterlichen Ausstrahlung und seiner melancholischen Eleganz war er einfach zum Scheitern verurteilt - so wie diese Welt, die ihre Erfolgsmodelle am Fließband herstellt, eine solch mittelmäßige Weltmeisterschaft verdient hat.

Um so mehr könnte man sagen, Italien gebührt dieser Pokal sehr wohl, da alle Mannschaften - einige mehr, andere weniger - italienisch gespielt haben, nach dem gleichen Schema, Viererreihe hinten, geschlossene Verteidigung und Abstaubertore durch Konterangriffe. Bei der vierten Eroberung des Titels mussten die Italiener gar nur zwei Tore einstecken: einen Strafstoß und ein Eigentor.

Zufällig steckte Italien während dieser Weltmeisterschaft in einem Betrugsskandal renommierter Vereine, der seinesgleichen suchte. Auf dem Weg von den "sauberen Händen" (mani pulite) zu den "sauberen Beinen" war und ist die römische Justiz entschlossen, die mächtigsten Clubs ins Exil der unteren Ligen zu verbannen. Schließlich haben die Richter Beweise für eine ganze Sammlung von Intrigen und Verschwörungen, für die Bestechung von Schiedsrichtern und Journalisten, für Urkundenfälschungen, Bilanzmanipulationen und Postenschacher im nationalen Fußballverband - sogar für die Manipulation von Fernsehprogrammen - gefunden. Ein Mitglied der neuen Regierung schlug daraufhin eine Amnestie vor, sollte Italien Weltmeister werden. Niemand schien daran Anstoß zu nehmen. Zinédine Zidane wurde für sehr viel weniger des Feldes verwiesen.


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