Die Hoffnung lebt - ich rieche Braten!

KEHRSEITE In so euphorischer Zeile gipfelte eines der philosophischen Gedichte des berühmten Katers Murr, dazumal wohnhaft in den Gemächern E.T.A. Hoffmanns. ...

In so euphorischer Zeile gipfelte eines der philosophischen Gedichte des berühmten Katers Murr, dazumal wohnhaft in den Gemächern E.T.A. Hoffmanns. Murr, dieser Gebildetste der Katzheit, hatte zudem ein Faible für die Fittiche gefiederter Gesellen, für schöne Heringsköpfe sowie für fette Würste.

Obwohl es hier um die moderne Katzenküche gehen soll, scheint es doch zunächst angeraten, darauf hinzuweisen, dass sich der Geschmack wohlerzogener Katzen aus gutem Hause in den letzten zwei Jahrhunderten im Prinzip wenig gewandelt hat. Katzen aus gutem Hause - da dürfen getrost die Europäischen Kurzhaar-Schwestern Mona und Lisa als repräsentativ gelten, in deren Haushalt sich der Autor vorwiegend als Dosenöffner betätigt.

Die moderne Katzenküche weist mithin einen durch Guten-Appetit-Platzdeckchen und drei standsichere Schalen (Feucht-, Trocken- und Nassfutter) eindeutig gekennzeichneten Futterplatz auf. Von Bedeutung ist ferner ein Kühlschrank, der Milch, Schlagsahne, Eierlikör, Gouda, Edamer und eine Packung echten, bitte schön vom Laib geriebenen Parmesan beherbergt.

Sternstunden kätzischer Ernährung treten ein, wenn unerwartet Besuch kommt. Sei es, wie unlängst, in Gestalt eines etwa 20 Gramm schweren, grauen und flinken Nagetiers oder von tierliebenden Pumps-Trägern, die im Handtäschchen für gewöhnlich Kleinstmengen Sheba mit sich führen. Irrigerweise bestehen jene Nagelbelackten oft darauf, diese auf weiße Goldrandtellerchen zu stülpen und mit Petersilie zu garnieren, was die Beköstigung unnötig verzögert. Sie berufen sich bei diesem aberwitzigen Tun auf eine einschlägige Fernsehwerbung, in der dekadente High Heels nach einem gewissen Romeo rufen, von dem man, noch bevor er ins Bild läuft, weiß, dass es sich um einen schwarzen Kater handeln muss. Bewusster Romeo schlingt ganz furchtbar, aber bevor er darob den Hochflor-Teppich mit dem soeben verzehrten Mahl dekorieren kann, folgt meist schon der Spot mit dem Spendenaufruf von Brot für die Welt.

Weitaus schneller geht's mit der Verpflegung, wenn der angestammte Dosenöffner verreist ist und Fremde die Fütterung übernehmen müssen. Bei diesen handelt es sich, seit Mona und Lisa gezwungen sind, im West teil Berlins zu leben, durchweg um Vegetarier. Dass sie ob der für manche menschliche Nasen unangenehmen Düfte mit sichtlichem Widerwillen die Schalen füllen, verheißt nicht eben Genuss, aber zumindest geraten die Fremdfütterer nicht in Versuchung, hinterher die dazu benutzte Gabel abzulecken.

Langwierig und dennoch höchst erfreulich kann die Angelegenheit werden, wenn sogenannte Großeltern die moderne Katzenküche beehren. Solcherlei trägt sich zuweilen an Wochenenden, ganz gewiss aber an Feiertagen zu. Keine aufgeweckte Hauskatze würde es etwa am ersten oder zweiten Weihnachtstag wagen, den Ort des Geschehens auch nur kurzzeitig zu verlassen. Neben ungenießbaren Sättigungsbeilagen wie Kartoffeln oder Gemüse - mit letzterem versetzt die whiskas- und kitekat-Firma Effem leider auch das köstlichste Formfleisch - erscheinen dann sogar tote Großvögel samt Extra-Tütchen Innereien zur kulinarischen Verarbeitung oder rohes Schweine- und Rindfleisch. Zum Jahreswechsel indes dürfen die Hauptmieterinnen mit einiger Gewissheit leicht bläuliche, wenn auch etwas angesäuerte Fischköpfe erwarten.

Glücklicherweise ist es für die genießenden Menschen stets zuviel des Guten, weshalb sie gelegentlich bereit sind, ausgewählte Delikatessen mit den anwesenden Repräsentantinnen der Katzenwelt zu teilen. Mit sportlicher Ausdauer, einem traurigen, stier aufwärts gerichteten Blick, der in Minutenabständen untermalt wird von einem klagenden Wehlaut, kann jede Katze, den Gesetzen der Schwerkraft zur gewünschten Geltung verhelfen.

Aus Gänsebratern abgeschöpftes Fett ergießt sich dann heimlich aus einer Kelle in die oben erwähnten Schalen, oder jemand lässt im Sinne artgerechter Tierhaltung ein halbes Dutzend der für die Vorsuppe gedachten Klößchen durch die Küche rollen, was nebenbei zu einer heiteren, appetitanregenden Jagd durchs Revier animiert. Anlässlich des festlichen Kaffeetrinkens gibt es endlich einmal echte Schlagsahne und nicht jenes üble Kunstprodukt aus der Spraydose.

Ein großes Ärgernis, besonders an solchen Festtagen, können allerdings vierbeinige Gäste sein. So tauchte kürzlich in Monas und Lisas Haushalt eine Hündin russischer Herkunft auf. Ihr Herrchen hieß sie - welchen Namen könnten russische Hündinnen sonst tragen - Laika. Laikas internationalistische Freude, die sich in heftigem Wedeln äußerte, als sie der potentiellen Spielgefährtinnen ansichtig ward, quittierten diese mit bedrohlichem Fauchen und gebauschten Schwänzen. Dass Laika sich nahe am Guten-Appetit-Deckchen aufhielt, ließ Mona und Lisa sich als schlimmste Wossis gebärden: Kaum selbst dem Ostbezirk entkommen, entsolidarisierten sie sich demonstrativ von den notleidenden ehemaligen treuen Freunden und Kampfgenossinnen.

Das wäre dem Pudel Ponto mit seinem noblen Freunde, dem Kater Murr, gewiß nie passiert. Die Art zu speisen ist eben auch stilbildend, ein Zeichen für den Charakter einer Epoche. Aber in Kater Murrs literarisch gebildeter Welt gab es noch kein Fast Food for Cats, sondern nur fette Würste, schöne Heringsköpfe und - die Hoffnung lebte - echten Braten.

Weiterführende Literatur: E.T.A. Hoffmann: Lebensansichten des Katers Murr, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1982

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