Aquarium und Machtinstinkt

Film über Kohl Mit "Der Mann aus der Pfalz" hat das ZDF eine filmische Annäherung an Ex-Kanzler Helmut Kohl versucht. Die Darstellung erinnert teilweise an eine Heiligsprechung

"Die Macht ist dumm" – mit dieser Einsicht verabschiedet sich Ludwig Erhard von der Rolle des Bundeskanzlers in Thomas Schadts TV-Film über Helmut Kohl. Der hat das natürlich nicht begriffen, brachte ihn doch dessen Verzicht einen Schritt näher an die Erfüllung seines eigenen Jugendtraumes – eben „die Macht“. Könnte man Kohls aufhaltsamen Aufstieg ins Bundeskanzleramt auch erzählen im Stile eines Shakespeare’schen Historiendramas, sagen wir à la Richard III. (den Thomas Thieme, der exzellente und glaubwürdige Kohl-Darsteller, vor Jahren auch schon gespielt hat), der systematisch einen höheren Chargen nach dem anderen aus dem Wege räumt, bis schließlich nur er noch für das höchste Amt übrig bleibt? Man könnte es nicht – dazu ist Kohl, dazu sind der Mann und seine Parteikarriere zu banal, zu kleinkariert, zu wenig dämonisch im Sinne von Geschichte als Bühnendrama großer Persönlichkeiten.

Kaum patriotische Emotionen

Kohl ist und bleibt „Der Mann aus der Pfalz“, wie der Film zu Recht heißt, der Mann aus Oggersheim, ein Provinzler ohne intellektuelle Kultur und Bedürfnisse – außer den Zeitungen, in denen er vorkommt, scheint er nichts zu lesen oder je gelesen zu haben, Bücher, Literatur wie überhaupt ästhetische Bedürfnisse gehören offenbar nicht zu seiner Welt. Die werden abgedeckt durch das Leitmotiv eines Aquariums, diesem kleinbürgerlichen Schmücke-dein-Heim. Allerdings hat er Machtinstinkt genug, um Intellektuelle nicht zu provozieren oder sie (wie Erhard, das hat er vermutlich von dessen Fall gelernt) sie als „Pinscher“ zu beleidigen und gegen sich aufzubringen. Das Drehbuch arbeitet über weite Strecken mit der Technik des inneren Monologes – und da hören wir einen Kohl, den die über ihn zitierten herabwürdigenden Urteile („Birne“) völlig kalt und unberührt lassen: Er weiß, dass er am Ende über sie alle triumphieren wird, allerdings immerhin ohne sie das mehr als nötig spüren zu lassen.

Die Mischung von Spielfilm, Dokumentation und Rückblende funktioniert bestens – da ist nichts auszusetzen. Nur macht das die Rekonstruktion nicht besonders spannend – sie bleibt brav und hagiographisch: Schließlich gab es da wohl einen Deal, dass der Regisseur auf die Einblendung von reich vorhandenem Interviewmaterial verzichtete und Kohl dafür auf Einsprüche gegen die fiktionale Darstellung seiner Biografie. Das filmische Ergebnis ist glatt und schön – aber zugleich zu schön und glatt, um wahr sein zu können. Nur der Schauspieler Thieme erlaubt bisweilen Blicke hinter die biedermännische Maske des Protagonisten, für den alle anderen Figuren der Zeitgeschichte wie des Privatlebens nichts als Spielmaterial und Nebenrollen sind. Regisseur und Drehbuchautor machen es sich zusätzlich einfach, indem sie ihre Erzählung zielgerecht auf Helmut Kohl als den „Kanzler der deutschen Einheit“ ausrichteten, die in der Tat, das muss ihm auch die politische Kritik konzedieren, vergleichsweise gut verlaufen ist – vergleichsweise damit, was da auf der politisch-diplomatischen Ebene und einer unkontrollierbaren Massenbewegung auch hätte schiefgehen können. Da zahlte es sich sozusagen aus, dass Kohl kein Mann der patriotischen Emotionen war, der wohl eher die Flammen der nationalen Begeisterung dämpfte, als sie anzuheizen und damit der durchaus realistischen Gefahr einer sowjetischen Verweigerung der Vereinigung Rechnung trug. Seine kleinbürgerliche Provinzialität, die ihn zum Gespött des kritischen Bürgertums machte, hatte dergestalt auch etwas Positives. Jedenfalls vermittelt das TV-Porträt diesen Eindruck.

30 Stunden Interviewmaterial

Die Kohl’sche Kanzlerschaft mit dem Erfolg von 1989/90 enden zu lassen, enthebt den Filmemacher der Notwendigkeit, auch und nicht zuletzt die dunklen Kapitel dieser Erfolgsgeschichte zu erinnern, die dazu angetan sind, den „Kanzler der deutschen Einheit“ in einem ganz anderen Lichte zu zeigen – nämlich als den skrupellos der ‚dummen Macht’ verfallenen Politiker, der mit seiner ganz persönlichen Rolle im CDU-Spendenskandal gewissenlos den Rechtsstaat zutiefst verletzt und seinen Amtseid (er wurde in Rückblende gezeigt) gebrochen hat, und der entscheidend zur Verachtung, die der deutschen politischen Klasse heute überall wahlenthaltend entgegen schlägt, beigetragen hat, ja, der diese schwerwiegende Beschädigung einer nach 1949 mühsam entwickelten rechtsstaatlichen Identität der Bundesrepublik überhaupt verschuldet hat. Das wird durch keine seiner politischen Verdienste aufgewogen. Kohl hatte sein Watergate. Es könnte – wenn im kommenden Jahr zu Kohls 80. Geburtstag der angekündigte Dokumentarfilm gezeigt wird – spannend werden, ob die Filmemacher da ihre mit dieser Hagiographie in ein leichtes Zwielicht geratene journalistische Ehre verteidigen. Es sollen ganze 30 Stunden Interviewmaterial existieren. Was man daraus machen könnte, hat – Maßstab setzend – David Frost mit seinen Nixon-Interviews und dem darauf basierenden nun wirklich spannenden und unter die Oberfläche dringenden Filmporträt gezeigt. Wir werden sehen.

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