Erinnern und nicht vergessen

Kulturgeschichte Diese Kunst hätte eine andere Politik verdient gehabt. Gedanken zum Umgang mit der DDR nach Ansicht einer DVD

Die deutsche Geschichte als dialektische Bundesrepublik- und DDR-Geschichte wird uns noch lange beschäftigen. Sie ist spannender und zweifellos gewichtiger als die gegenwärtige journalistische Aufgeregtheit über RAF und 1968. Für den DDR-Teil unserer gemeinsamen Geschichte setzte der souveräne Rückblick von Friedrich Schorlemmer (Freitag 41 vom 12. Oktober 2007) befreiende Maßstäbe der moralisch-politischen Urteilskraft. Dem sei hier ganz unkonventionell ein ganz anderer Diskurs an die Seite gestellt, der sich in einem intellektuell und ästhetisch höchst vergnüglichen Medium präsentiert, die Sinne anspricht und die Köpfe meint und einen aufregenden DVD-Abend garantiert: Benno Bessons Inszenierung von Der Frieden in Peter Hacks´ Bearbeitung des Aristophanes, Deutsches Theater, Ost-Berlin ("Hauptstadt der DDR"), Oktober 1962. Sie wurde soeben gewissermaßen wieder entdeckt von dem aufgeschlossenen und politisch sensiblen Hörbuch-Verleger Wolfgang M. Schwiedrzik. Wie in einem Brennspiegel konzentriert sich in diesem Theaterereignis - von Friedrich Dieckmann in einem brillanten und informativen Essay theatergeschichtlich an die Seite der Dreigroschenoper-Uraufführung von 1928 und der Mutter Courage von 1949 gestellt - die deutsche Geschichte der sechziger und siebziger Jahre und darüber hinaus: Der Frieden reagierte auf den Bau der Mauer, diese pathologische Beruhigungsbrutalität des Kalten Krieges nur wenige Wochen zuvor, versuchte sie mit einer parteiübergreifenden Botschaft zu unterlaufen und konnte von der wie immer argwöhnischen Partei nach einem dreiviertelstündigen (!) Premierenapplaus nicht mehr verboten werden. Bis Ende 1973 brachte es die Aufführung auf 250 gefeierte Vorstellungen und überlebte mit ihrer Vitalität alle Krisen der DDR-Kulturpolitik, ohne vor der konkurrierenden Politisierung des bundesrepublikanischen Theaters auf der westlichen Mauerseite zu verblassen. In der Person Bessons, des von Brecht selbst noch designierten Erben, und seiner weithin ausstrahlenden Regiearbeit hielt das DDR-Theater nicht zuletzt mit diesem Leuchtturm die verzweifelte Hoffnung vieler idealistischer Bürger auf einen demokratischen Sozialismus gegen die schlechte Empirie aufrecht. Friedrich Schorlemmer hat an eben die noch Jahrzehnte später spürbare Kraft der "großen humanistischen Werte" nach Zusammenbruch und Befreiung erinnert.

Natürlich ist dieses DVD-CD-Dokument keine pädagogische Unternehmung in nachgeholter Geschichte, sondern vor allem eine höchst spannende Erinnerung daran, was großes Theater einmal war und darum noch immer wieder sein kann: Mit der eindrucksvollen Sprechkultur, der Kargheit der Bühnenmittel und den ausdrucksstarken Masken vermittelt diese Inszenierung eine Ahnung davon, was das Deutschland der sechziger Jahre - und hier eben insbesondere die DDR - an künstlerischer Energie und Kraft besaß, die eigentlich (und da fangen die weitergehenden historischen Fragen an) eine andere Politik verdienten und zur Folge hätten haben müssen; Felsensteins bis heute nachwirkende revolutionäre Opernarbeit jener Jahre gehört in denselben Zusammenhang. Die politische Klasse der DDR aber war der kulturellen Kreativität ihrer eigenen Gesellschaft ganz offensichtlich nicht gewachsen und tat bekanntlich alles, um ihre besten Leute zu vertreiben - auch dafür ist die Geschichte dieses Theaterereignisses emblematisch, wie es das reichhaltige Begleitheft im politischen Ost-West-Kontext eindrücklich aus verschiedenen Perspektiven schildert.

Peter Hacks nach Aristophanes: Der Frieden. Regie: Benno Besson. DVD und Begleit-CD mit 52seitigem Booklet, Edition Mnemosyne, Neckargmünd 2006, 35 E. Eine "audiovisuelle Dokumentation" zur Frieden-Inszenierung von Beate Rosch, die in der Edition enthalten ist, wird in Berlin am 4. November im Berliner Ensemble (11 Uhr) und in dem Kino "Babylon Mitte" (18 Uhr) gezeigt. Der im letzten Jahr verstorbene Benno Besson wäre an diesem Tag 85 Jahre alt geworden.


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