Verdis "Maskenball" in Berlin

Bühne Daniel Barenboim ist eine musikalisch-moralische Autorität und verkörpert Hoffnung. Kürzlich erhielt er die Ehrenstaatsbürgerschaft eines Staates, ...

Daniel Barenboim ist eine musikalisch-moralische Autorität und verkörpert Hoffnung. Kürzlich erhielt er die Ehrenstaatsbürgerschaft eines Staates, den es noch gar nicht gibt. "In der Idee leben heißt, das Unmögliche behandeln, als ob es möglich sei", sagt Goethe. Barenboim lebt nicht nur in der Hoffnung auf ein Zusammenleben von Juden und Palästinensern, sondern auf Frieden überhaupt "in der Idee". Und es ist die Musik, in der er diese Hoffnung hörbar und universal antizipiert. Seine Präsenz als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden ist spürbar, auch wenn man nicht das Glück hat, ihn spielen oder dirigieren zu hören. Und, obwohl weltweit unterwegs, ist er großzügig mit seiner Gegenwart - als Dirigent, als Konzertpianist, als Solist. In diesen Wochen scheint er fast überall gleichzeitig zu sein und strahlt doch eine konzentrierte Ruhe aus, die sich auf sein immer volles Haus sofort überträgt. In den kammermusikalischen Sonntagsmatineen der Staatsoper steht da für Augenblicke die Zeit still, wird die Idee hörbar - etwa in der Vogelpredigt des Franz von Assisi.

Eine Franz Liszt gewidmete Matinee endete spannungsvoll mit drei Verdi-Klavierparaphrasen, die gewissermaßen mit leichter Hand aufs Schönste überleiteten zur abendlichen Premiere von Un ballo in maschera, dem Maskenball. Den dirigierte der Maestro zwar nicht persönlich, war aber in seinem kongenialen ehemaligen Assistenten Philippe Jordan geistig präsent: Mit seiner Staatskapelle und einem Sängerensemble, die man sich zusammen musikalisch kaum idealer vorstellen kann. Und die dem Ohr und der emotionalen Einbildungskraft beim Zuhören mit geschlossenen Augen einen unerhörten Verdi präsentierten, der jenen kollektiven Gefühlsrausch ahnen lässt, den das römische Publikum bei der Uraufführung 1859, wie berichtet wird, ergriffen haben soll. Diese großartige musikalische Gesamtleistung wurde denn auch in Berlin gebührend gefeiert und bejubelt.

Das Glück wäre vollkommen gewesen, wenn man den Mut gehabt hätte, diesen Maskenball konzertant aufzuführen (so wie es noch jüngst die Deutsche Oper brillant mit Rossini vorführte). Aber leider musste hier nun auch Regie dabei sein - und das erprobte Duo Jossi Wieler und Sergio Morabito versprach einen Erfolg. Versprach. Kein Opernführer, keine historische oder musikwissenschaftliche Untersuchung gerade dieser Oper und folglich kein Programmheft versäumt es, Verdis bitteren Konflikt mit der Zensur, der napoletanischen und dann der päpstlich-römischen ausführlich zu berichten. So empört war der Komponist über Zumutungen der Zensur, dass er die Oper schließlich nicht in Neapel, wofür sie geschrieben war, sondern in Rom zur Erstaufführung brachte. So hatte man ihn zwingen wollen, den Schauplatz vom historischen Schweden ins Mittelalter oder nach Florenz in der Renaissance oder nach Pommern zu verlegen - Verdi weigerte sich. Was der brave Programmbuch-Schreiber der Staatsoper offensichtlich nicht bemerkte, ist das vernichtende Urteil, das damit über die eigene Inszenierung gesprochen wird. Seit es keine Zensur mehr gibt, sind die großen Opern Freiwild der Beliebigkeit geworden. Wieler/Morabito und die Bühnenbildnerin Barbara Ehners wischen nämlich alle Einwände Verdis vom Tisch, verlegen die Handlung um der eigenen Originalität willen kurzerhand in ein schäbig-modernes, angeblich amerikanisches Hotel der sechziger Jahre (angeblich, denn nichts stimmt da), hängen für die düstere Galgenbergszene einfach zwei Gehenkte an die Hoteldecke, lassen die Leute nun in Pyjamas und Bademänteln auftreten, während sich das Liebespaar ganz konventionell auf dem Boden wälzt. Keines der vielen absurden Details ist motiviert, die Sänger werden sinnlos über die Bühne gejagt, der Chor wirft sich Zimmerschlüssel zu - kurz: eine Abfolge von Peinlichkeiten. Das distinguierte Premierenpublikum protestierte am Schluss, natürlich vergeblich und zu spät.

Daniel Barenboim ist seit 2002 nicht mehr "künstlerischer Leiter" der Staatsoper, sondern nur noch Generalmusikdirektor. Aber faktisch bleibt er verantwortlich für das, was in seinem Hause künstlerisch geschieht. Dieser Maskenball sollte Anlass zu ernsthaftem und öffentlichem Nachdenken werden.

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