Auf dem Spielplan: Mord

Sportplatz Kolumne

Kaum ein Trainer hat es bisher geschafft, kurz nach dem unvorhergesehenen Ausscheiden seines Teams bei einer WM ein Interview zu geben, das nicht von Schock und Ratlosigkeit geprägt wäre. Der britische Coach der pakistanischen Cricket-Nationalmannschaft, Bob Woolmer, machte am 17. März, einem Samstag, in seinem Gespräch mit der BBC nach dem Aus bei der WM in Jamaika keine Ausnahme. Tief enttäuscht versuchte er eine erste Analyse, während er allen Fragen nach seiner persönlichen Zukunft auswich mit der Bemerkung, er müsse erst einmal eine Nacht darüber schlafen.

Niemand konnte ahnen, dass dieses belanglose Interview das letzte sein würde, dass der Trainer in seinem Leben geben würde. Bob Woolmer wurde am Vormittag des nächsten Tages bewusstlos im Bad seines Zimmers im Hotel Pegasus von Kingston gefunden und gegen Mittag in der benachbarten Universitätsklinik für tot erklärt. Was zunächst aussah wie ein stressbedingter Herzinfarkt, erwies sich bei der Obduktion als Mordfall: Der 59-Jährige war erwürgt worden.

Von wem und warum ist allerdings vollkommen unklar. Die jamaikanische Kripo versucht gerade, die letzten Stunden im Leben des Coaches zu rekonstruieren und den Mord-Zeitraum so eng wie möglich einzugrenzen, um dann mit Hilfe der elektronischen Zimmerschlüssel und der Überwachungskameras Bewegungsmuster der anderen Hotelgäste und etwaiger Fremder zu erstellen. Woolmer hatte am Samstagabend zwischen 20 und 21 Uhr lokaler Zeit beim Zimmerservice Essen bestellt, in diesem Zeitraum verschickte er außerdem von seinem Laptop aus einige E-Mails.

Eine Nachricht ging an den Chef des pakistanischen Cricket-Verbandes, Dr. Nasim Ashraf, und gab späteren Spekulationen um einen möglichen Wettbetrug durch Mannschaftsmitglieder Nahrung. Woolmer beklagte darin, dass einige Spieler anscheinend nicht gut genug ausgebildet seien, denn sie machten trotz eindeutiger Instruktionen dieselben dummen, Spiel entscheidenden Fehler wieder und wieder. In einer E-Mail, die er später an seine Frau schickte, fanden sich allerdings keinerlei Hinweise, dass der in Indien geborene Sohn eines Cricket-Profis irgendwelche zwielichtigen Machenschaften vermutete.

Als der Coach am nächsten Morgen um 10.45 Uhr vom Hotelpersonal gefunden wurde, wies nichts auf einen Mordfall hin. Wie die Polizei später erklärte, muss er seinem Mörder oder seinen Mördern selbst die Tür geöffnet haben, denn es gab keinerlei Spuren gewaltsamen Eindringens oder gar eines heftigen Kampfes. Der leitende Kriminalkommissar Mark Shields sagte, dass man überdies von mehreren Tätern ausgehe: "Woolmer war ein sehr großer, kräftiger Mann, den man nicht einfach überrumpeln konnte."

Wettbetrug und verschobene Spiele sind beim Cricket keine Seltenheit, wie der Brite Lord Condon, ehemaliger Chef der Londoner Metropolitan Police und nun Leiter der Anti-Korruptionsabteilung des Cricket-Weltverbandes, sagte: "In manchen Ländern ist es mittlerweile viel lukrativer, Spiele zu manipulieren als mit Drogen zu handeln." Apathie und Angst mache es den Tätern leicht, kaum jemand wage, Anzeige zu erstatten.

Gerüchten, Woolmer habe in dem Buch, an dem er schrieb, Einzelheiten über Wettbetrügerein enthüllen wollen, trat die Familie allerdings entgegen. In keinem der bisher fertig gestellten Kapitel sei es um Unregelmäßigkeiten gegangen und auch in seinen Notizen habe man nichts zu diesem Thema finden können.

Auch wenn der gesamten pakistanischen Equipe Fingerabdrücke abgenommen wurden, glaubt die Polizei nicht, dass Spieler und Funktionäre in den Mord verwickelt sind. Die Täter dürften sich als Angehörige des Hotelpersonals verkleidet haben, ist sich Mark Shields sicher. Möglicherweise habe der Mord auch absolut nichts mit Cricket zu tun, denn Jamaika gehört zu den Ländern mit der weltweit höchsten Anzahl an Tötungsdelikten - und im Pegasus geschahen in den letzten anderthalb Jahren immerhin drei Morde. Allerdings sei es, so Shields, "extrem unwahrscheinlich", dass Einheimische das während der WM besonders stark gesicherte Hotel betreten und unbehelligt durch die Flure spazieren konnten. Und schließlich von Coach Woolmer einfach so in sein Zimmer gelassen wurden wären.


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