Ich bin ein guter Schriftsteller

Das Heilige und das Profane Der brasilianische Erfolgsautor Paulo Coelho gilt immer noch als Esoteriker

Am 12. November bekommt der brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho in Berlin den Preis "Dialog der Kulturen" der Stiftung "Club of Budapest Deutschland" verliehen. Mit weltweit 32 Millionen verkauften Büchern, wie Der Alchimist (1991), Am Ufer des Rio Pedro sass ich und weinte (1997), Der fünfte Berg (1998), Der Dämon und Fräulein Prym (2001), nimmt Paulo Coelho nach Sydney Sheldon Platz zwei der weltweiten Bestsellerlisten ein. Doch wird der Publikumsliebling, der selbstverständlich über mehrere sophisticated Websites verfügt und im Dezember im Pay-TV People Arts eine Telebiographie unter dem Titel Alchimist der Wörter von vielen Literaturkritikern als Autor von "New-Age-Schnulzen" geächtet. Mit renommierten internationalen Preisen ausstaffiert - vom Kulturminister Frankreichs und dem Italiens (1996), vom spanischen König (1999), dem Weltwirtschaftsgipfel von Davos geehrt, dazu eine Privataudienz beim Papst, hohes Lob von Persönlichkeiten wie Bill Clinton, Madonna und Umberto Eco - kommt der Autor seinem neu gesteckten Ziel, über Ruhm und Reichtum hinaus auch künstlerisch-akademische Anerkennung zu erhalten, ein großes Stück näher. Dafür opfert er zunehmend sein bisheriges Image ein echter, das heißt praktizierender Magier zu sein, zugunsten des neuen Profils: Texte von großer literarischer Qualität zu produzieren und sich gleichzeitig leicht verständlich auszudrücken. "Ich bin absolut überzeugt davon, gut zu schreiben", lobt sich Coelho selbst für seine Anstrengungen.

Seinen von Kritikern wiederholt als einfältig abqualifizierter Stil, nennt er selbst "direkt" und "eingängig", er kontert: "Dumm sind diejenigen, die nicht in der Lage sind, für jedermann verständlich zu schreiben". Offensichtlich steckt hinter diesen polemischen Diskussionen zwischen Autor und Literaturkritik über Stilfragen, literarisches Niveau und Aufgaben eines Schriftstellers etwas anderes: Es geht um Terraingefechte um Macht, Prestige und nicht zuletzt um Geld, um viel Geld. Immerhin soll Paulo Coelho 17-facher Millionär sein. Bisherige Versuche das Phänomen auf die Formeln "Bestsellerautor", "Trivialliteratur", "Esoterische Welle", "Medien" oder "Marketing" zu reduzieren, greifen zu kurz. Die Angelegenheit ist komplizierter und komplexer wie der Werdegang Coelhos zeigt.

Rio de Janeiro, November 1973: Drei junge Männer, ein Musiker, ein Songtexter, ein Dichter stehen an einem Samstagabend vor dem exklusiven Appartmenthochhaus an der Copacabana - Rio de Janeiros berühmtem Strandviertel - und diskutieren. Der Songtexter hält ein Tonband in der Hand, sein Band. "Gib schon her, lass uns das machen", sagen die anderen beiden. Nach langem Hin und Her klingeln sie im 18. Stock der Penthauswohnung, hier wohnt der CBS-Musikmanager. Der Musiker und der Dichter gehen mit dem Band nach oben und lassen den Songtexter unten vor der Tür stehen: Es ist der 27-jährige Paulo Coelho. Seine klugen Freunde haben den total bekifften Künstler aus den Verhandlungen ausgeschlossen. So begann die in Brasilien einzigartige Karriere des heute viel gelesenen Multimillionärs.

In den siebziger Jahren schrieb er Texte für brasilianische Pop- und Rockgrößen: Raul Seixas (1945-1989), der brasilianische Jim Morrison, wurde mit Songs Ich bin vor zehntausend Jahren geboren, Die alternative Gesellschaft und Al Capone berühmt. Für den Song Gita 1974 bekam das Duo Coelho/ Seixas eine goldene Schallplatte und brachte das erste Musical in Farbe im TV heraus. 1975 endet die ideale Partnerschaft der beiden. Coelho schrieb weiter erfolgreiche Songs: für die Rock-Popsängerin Rita Lee und Liebesliedtexte wie Du machst mich verrückt für die Ikone des Bossa Nova, die Jazz Interpretin Elis Regina. Auch für die bahianische Sängerin Maria Bethania, die dieser Tage in New York bei dem größten Brasilienfestival der USA Riesenerfolge feiert, textete Coelho.

Seine Texte bestechen auch heute noch, wegen ihrer Poetik und weil sie den Nerv der Zeit treffen. Nach 30 Jahren sind sie mehr als Dokumente, weil sie Geschichte als Gegenwart aufblitzen lassen. So finden die von Raul Seixas performten Coelho-Texte bei den heute Zwanzigjährigen wieder ein überraschend starkes Feedback. Seixas Comeback, die Neuauflagen alter Songs führten im Frühjahr 2001 zu Prozessen um Autorenrechte und Tantiemen zwischen Coelho und Seixas US-amerkanischer Ex-Frau. Solche Querelen sind keine Überraschung, wenn man an die Anekdote vom November 1973 über die Formen der Zusammenarbeit in den siebziger Jahren denkt. Offensichtlich und verständlich ist der große Neid ehemaliger Freunde und Kollegen, die weder so talentiert noch so klug und diszipliniert waren, Arbeit und Geschäft letztendlich so zu verbinden, wie es Coelho in den achtziger Jahren verstanden hat.

In dem Raul Seixas Song, Ich bin vor zehntausend Jahren geboren heisst es: Es gibt nichts in der Welt, von dem ich nichts wüsste/ ich sah wie Christus ans Kreuz geschlagen wurde/ wie die Liebe aufkam und vernichtet wurde/ ich sah wie Hexen verbrannt wurden/ wie Blut aus dem Berg floss, als Hitler ganz Deutschland zum Krieg aufrief/ sah wie ein Soldat im Feldbett von seiner Liebsten träumte. Solche Texte provozierten die brasilianische Zensur. Paulo Coelho wurde wie viele andere Musikerkollegen willkürlich verhaftet und erlebte, was Militärregierung bedeutet. In Brasilien putschten sich 1964 Generäle an die Macht, doch das autoritäre Regime griff erst 1968 mit Zensur und anderen repressiven Maßnahmen. Über seine Erfahrung im Knast schrieb Coelho in einem Lied: ich lebte mit Affen zusammen in einer Höhle/ ich habe mir ein Bein gebrochen, auch ich.

Coelho veröffentlichte seine ersten beiden Bücher mit den für die Zeit symptomatischen und gleichzeitig enigmatischen Titeln Archive der Hölle (1982) und Handbuch des Vampirismus (1986). Mit seinen Songtexten der siebziger Jahre und später als Direktor von Polygramm und CBS verdiente Paulo Coelho so viel Geld (40.000 US$ allein an Tantiemen für Songtexte), dass er es sich leisten konnte, aus dem Musikgeschäft auszusteigen. Wie viele seiner Generation, den so genannten Hippies, geht er auf Reisen und interessiert sich für nicht-westliche Kulturen und Religionen. Coelho wird zum "klassischen" modernen Reisenden, der seine Figuren in die Rollen von Pilgern, Abenteuern und Entdeckern, Touristen und Bildungsreisenden schlüpfen lässt. Damit liefert er seinen Lesern ein offenes Angebot zur Identifizierung und eine große Projektionsfläche Er weiß das über alle Epochen beliebte und erfolgreiche Genre Reiseliteratur mit größter Professionalität zu nutzen: Disziplinierte Arbeit und Recherche wiegen mehr als Inspiration.

Sein erstes Reisebuch erscheint auf portugiesisch als Tagebuch eines Magiers (1987). Auf Deutsch wird es unter drei verschiedenen Titeln, zuerst unter Die heiligen Geheimnisse eines Magiers (1989), dann unter Das Schwert des Magiers (1991) und schließlich unter Auf dem Jakobsweg (1999) veröffentlicht. Es ist eine Novelle wie alle seine als Romane bezeichneten Bücher. Schon Thomas Mann wusste um die Vorzüge der Novelle als Kunstform gegenüber dem Roman: "wegen ihrer Geschlossenheit, die sie dem Drama verwandter macht". Das zweite Reisebuch, Der Alchimist (1991), bringt mit der Übersetzung ins Englische den großen Durchbruch. Eine Verfilmung durch Warner Brothers ist geplant. Auch der mächtige brasilianische Sender "Rede Globo" ist mit Coelho in Verhandlungen über eine TV-Serie. Coelho fischt in vielen Genres, auch in der Gattung Hirtenroman. Er setzt Erkenntnisse mittelalterlicher Künstler noch einmal ein: das Bukolische-Obskure aufzuwerten. Die Bukolik war im Mittelalter angesehen, weil sie klassische Texte esoterisch zu deuten verstand: In Vergils IV. Eloge wurde die Prophezeiung der Ankunft Christi gesehen. Mit Sicherheit haben heutige Leser zwar nicht die rhetorischen Kenntnisse und verfügen über einen völlig anderen Horizont, was Rezeption und Erleben der erzählten Ereignisse angeht. Doch lässt sich die Anziehungskraft und Wirkung seiner Texte sicher zum großen Teil auf diese Art von Kunstgriff zurückführen.

Paulo Coelho greift zurück auf die Ursprünge von Dichtung und Literatur, konkret auf Zauber- und Orakelsprüche, Segens- und Gebetsformeln sowohl aus der Bibel als auch auf Texte und Bilder nichtwestlicher Kulturen arabischer, indischer, chinesischer, japanischer Provenienz. Er überträgt sie in eine moderne westliche Sprache und in Bilder, die er zu einem Pastiche verarbeitet. Seine erzählerische Strategie ist ein Pastiche von Gattungen der Reiseliteratur, ihrer Figuren, Motive und Bilder. So erzählt er in Der fünfte Berg die Geschichte Elia noch einmal neu, berichtet wie phoenizische Seefahrer "Glas, Zeernholz, Waffen, Eisen und Elfenbein beförderten, astronomische Berechnungen anstellten" und im Jahr 870 "seit 200 Jahren ein Buchstabensystem benutzten, das die Griechen später Alphabet nannten". Ihn als Esoteriker und New-Age-Guru abzutun, zeugt von großer Ignoranz. Der Aufruf brasilianischer Literaturprofessoren, Lesungen und Autogrammstunden des Autors zu boykottieren, verweist auf die Krise im Literaturbetrieb. Dabei wäre es doch ein wichtiger Beitrag von Akademikern, das Kultur- und Gesellschaftsphänomen Coelho zu analysieren.

Voraussetzung ist die Quellen des Autors zu kennen. Als Leser des postmodernen Gianni Vattimo übernimmt er dessen Auffassung der "Pieta" - Mitleid, Mitgefühl zu praktizieren - als "theoretischen Filter" um Botschaften, Mythen, Erfahrungen der Vergangenheit wahr zu nehmen. Ein Verfahren und ein Wissen, das die westliche Metaphysik radikal ausgrenzt. Coelho ist offensichtlich auch ein großer Kenner anthropologischer Studien über das Heilige und das Profane. Wahrscheinlich hat sich Coelho aber vor allem den großen spanischen Autor des goldenen Zeitalters Lope de Veja als Lehrmeister auserkoren. Er hat in einer Mischung aus Zynismus und Verzweiflung geschrieben: "Wenn ich ein Erfolgsstück schreiben muss, verschließe ich die Kunstgesetze mit sieben Schlüsseln. Ich verbanne die großen Meister aus meinem Schreibzimmer, damit sie nicht in Entrüstungsschreie ausbrechen, denn selbst aus stummen Büchern wird die Wahrheit laut. Ich schreibe nur mir der Kunst, die die Buhler um die Volkskunst erfanden. Denn da das Volk ja doch bezahlen muß, dass man redet ihm zu gefallen als ein Stümper". Vielleicht war es auch Schiller, der in der Vollendung der sentimentalischen Dichtung zu einer dritten Stufe kommen wollte, in der das Naive wieder gefunden wird.

In Zeiten, in denen sich die Aufteilung der Welt sich auf gut und böse reduziert, scheint eines sicher: "Paulo Coelho ist auf der Seite des Guten", wie es eine brasilianische Kollegin formulierte. Seit Juli 2001 versucht Coelho ernsthaft, sich als Mitglied der brasilianischen Akademie für Literatur ins Gespräch zu bringen. Diese ehrwürdige Vereinigung umfasst 42 Mitglieder, das Auswahlverfahren erfolgt über ein kompliziertes Kandidatur- und Abstimmungsverfahren. Brasilianische Journalisten sticheln anlässlich der Bewerbung Coelhos in Interviews gern mit Bemerkungen über sein Leben als Magier mit Fragen wie: "Früher haben Sie behauptet, magische Kräfte zu besitzen, etwa Wind wehen zu lassen? Könnten Sie das jetzt hier tun?" Coelhos Antwort ist cool: "Nein, das mache ich nicht mehr, das ist Blödsinn. Öffentliche Vorführungen habe ich nicht mehr nötig." Recht hat er, vor allem seit kürzlich die norwegische Prinzessin anlässlich ihres 30. Geburtstags Paulo Coelho in ihr Festkleid sticken ließ.

Die Werke von Paulo Coelho erscheinen alle im Diogenes-Verlag, Zürich

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