Schon die Eckdaten seines Lebens haben etwas romanhaftes an sich: Max Aub wurde 1903 in Paris geboren. Sein Name klingt deutsch. Wie kommt das bei einem spanischen Schriftsteller? Sein Vater war Deutscher, seine Mutter Französin. Die Familie emigrierte nach Spanien, als der Junge elf Jahre alt war. Die jüdischen Eltern versuchten dem zu entgehen, was nach ihrer Einschätzung, früher oder später in Europa geschehen würde. Wohlgemerkt verlassen die Aubs Frankreich bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Das zweite wichtige Moment in Max Aubs Leben: in den dreißiger Jahren, der Zeit der Zweiten Republik, schlägt er beruflich einen anderen Weg ein als García Lorca, Rafael Alberti, Jorge Guillén, die intellektuellen Mitstreiter seiner Generation. Max A
x Aub entscheidet sich, eben nicht Dichter zu sein, sondern Kritiker und das, ohne eine universitäre Karriere anzustreben. Mit Ausbruch des Bürgerkriegs wird Max Aub Kulturattaché an der spanischen Botschaft in Paris. Er war verantwortlich für die Ausstattung des spanischen Pavillons bei der Weltausstellung in Paris 1937, für die Pablo Picasso das legendäre Bild Guernica malte. Nach Eintritt des Zweiten Weltkrieges verbrachte Max Aub mehrere Jahre in französischen Konzentrationslagern, zwei Jahre in Djelfa in Algerien. Von dort aus gelang es ihm 1942, nach Mexiko zu emigrieren, wo er bis 1969 lebte. Für zwei Jahre geht er zurück nach Spanien und stirbt 1972 in Mexiko-City.Im Fall von Max Aubs Werk ist ausnahmsweise sinnvoll, Bezug zu nehmen auf den Lebenslauf: denn alle seine Texte - Romanzyklen, Erzählungen, Theaterstücke, kurze autobiographische Skizzen - die er nach 1943 schreibt und publiziert, tragen starke autobiographische Züge. Sie sind durchgängig von einem Thema durchzogen: der Erfahrung der Emigration. Der Romanzyklus Das magische Labyrinth bildet das Kernstück. Drei von insgesamt sechs Bänden sind bisher beim Frankfurter Eichborn Verlag erschienen. Halbzeit für eine Edition, die bis zum Herbst 2002 abgeschlossen sein wird.Nichts geht mehr (1999) lautet der Titel des Eröffnungsromans, den Max Aub 1939 noch in Paris begann. Nichts geht mehr ist das Losungswort, das Rafael, dem jungen Mann aus der Provinz, beim Ausrufen des Kriegszustandes 1936 in Barcelona gegeben wird, um sich als Republikaner auszuweisen. Seit fünf Jahren ist er in Barcelona, hat den Sieg der Demokraten und die Politik der Zweiten Republik erlebt. Rafael ist Anarchisten, Sozialisten, Kommunisten, Falangisten, Monarchisten begegnet, hat mehrfach die Seiten gewechselt. Bemerkenswert ist, dass Max Aub bereits 1939 den spanischen Bürgerkrieg nicht auf das Problem der "Zwei Spanien", den Graben zwischen Falangisten und Kommunisten/Sozialisten, Francoanhängern und Republikanern beziehungsweise Monarchisten und /Demokraten reduziert. Entscheidend ist: sein Erzählen jüngster spanischer Geschichte konzentriert sich auf das Alltägliche, auf scheinbar "banale" Szenen der Ereignisse. Ihn interessieren die Erfahrungen und Gefühle, Entsetzen, Mitleid und Schmerz, die Rebellion und Gleichgültigkeit der Betroffenen und nicht die Heldentaten.Selbstverständlich bezieht Max Aub Position für die Zweite Republik, gegen mordende Faschisten. Doch erzählt er nicht von den "Vaterlandsverrätern", sondern vom ganz privaten "Verrat" und vom phänomenalen Verhalten der Bewohner. Der Roman endet mit dem Kapitel Höhepunkt. Es ist Nacht in Barcelona: "kein elektrisches Licht. Auch keinen Mond. Nur Schüsse und brennende Kirchen. Die Leute auf den Straßen gehen von einem Brand zum anderen. Die Feuerwehr versuchte auszurücken, aber das Volk schnitt die Schläuche durch. Die Kirchen brennen aus, nicht aber die Kathedrale. Man zündet die Gotik nicht an, sie ist die einzige Ordnung, vor der das Volk Ehrfurcht hat." Am Schluß nennt Max Aub die Galerie der Toten beim Namen, listet die Schicksale der Menschen auf, die seinen literarischen Figuren Modell standen. Die Bilanz ist erschütternd: 90 Prozent sind tot oder leben im Exil. Fakt ist, daß Ende des Bürgerkrieges 90 Prozent der spanischen Intellektuellen emigrieren mussten.Max Aub war der bedeutendste Überlebende und Zeitzeuge neben Jorge Semprún, der als Zwanzigjähriger in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert wurde, und Michel del Castillo, der neun Jahre in Mauthausen verbrachte, wo alle 5.000 Spanier ums Leben kamen.Mit Theater der Hoffnung (1999), dem Fortsetzungsband, setzte Max Aub einen Kontrapunkt zum ersten. In den Originaltiteln Geschlossenes Feld und Offenes Feld erschließt sich dem spanischen Leser das schriftstellerische Unternehmen auf den ersten Blick: Die erzählerische Perspektive zu wechseln, um alle Facetten der Realität zu erfassen. Aubs Aufgabe als exilierter Intellektueller, eine scharfe Analyse und genaue Beschreibung blutiger spanisch-europäischer Geschichte und Gegenwart zu liefern, Gewalt, Tod, Emigration in Worte zu fassen, gelingt nur, weil er gegen den Strom schwimmt. So erzählt er im zweiten Band eine Liebesgeschichte zwischen einer jungen Krankenschwester und einem Studenten mitten im Bürgerkrieg. Beide spielen in einer Theatergruppe. Er entscheidet sich, an die Front zu gehen und für die Republik zu kämpfen. Sie spielt am Fronttheater. Am Ende des Romans bleibt offen, wie der Kampf zwischen den Fronten ausgeht. Die Szenerie erlaubt Aub, das Lebensgefühl der modernen Zeit mit ihrer ausgeprägten Gesprächskultur darzustellen anhand einer breiten Palette von unterschiedlichen Figuren. Dass er keine eindimensionalen Helden, sondern Menschen mit starkem und schwachem Charakter zeichnet und dazu auch Falangisten ein Gesicht und nicht nur eine Fratze verleiht, löste unter spanischen Exilanten Anfang der 50er Jahre heftige Proteste aus. Max Aub kommentierte die Kontroverse kompromisslos: "Um nicht zu schweigen, habe ich Spanien verlassen, und meine Wahrheit werde ich nicht verschweigen". Der dritte Roman, Blutiges Spiel - im Original Blutiges Feld - beginnt mit einer sarkastisch-lapidaren Bemerkung über das Kriegshandwerk hinter der Front: "Eine Erschießung ist etwas äußerst Unangenehmes; drei kann man gerade noch ertragen". Man schreibt den 31. Dezember 1937. Die Handlung ist auf den Zeitraum von acht Tagen eingefroren. So bleibt Raum, die Biographien von acht Männern und Frauen zu erzählen und für Reflexionen über den Zustand Spaniens und der Spanier: "Wir sind grausam, weil maßlos. Geld oder Leben, das ist französisch. Bei uns heißt es: Geld und Leben." Blutiges Spiel erschien Mitte der vierziger Jahre in Mexiko, als Europa in Schutt und Asche lag. Max Aub empfand das mexikanische Exil. als Wartesaal. So betitelten er und Luis Buñuel die gemeinsam herausgegebene Zeitschrift.Max Aub fand schließlich mit Jusep Torres Campalens (1958), der fiktiven Biographie eines katalanischen Künstlers, ein internationales Publikum wie sein Freund Buñuel mit Nazarín (1958) und Viridiana. Kurze Zeit später tritt die spanische Literatur endlich in eine Phase der Erneuerung, nachdem die durch Repression und Kontrolle Francos die mit den fünfziger Jahren ausgelöste Lähmung nachlässt. Max Aub wird von jungen Spaniern in den sechziger Jahren wieder entdeckt, etwa von Rafael Chirbes. In Aubs Texten finden sie die passende künstlerische Form, dem realen Leben, dem Alltag der modernen Welt zu begegnen. Teil davon ist, an die Eroberungen der Avantgarde anzuschließen, ohne jedoch bei der Suche nach neuen Ausdrucksformen im rein Experimentellen zu verharren.Aubs großes Verdienst ist, mit dem Thema der Emigration als Folge von Krieg das Augenmerk auf die Wirklichkeit des Jetzt und die kommenden Wirklichkeiten gelegt zu haben. Darin liegt seine große Aktualität.Max Aub: Das magische Labyrinth (6 Bd.) Bisher erschienen: Nichts geht mehr (Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main 1999) 320 S. 49,80 DM; Theater der Hoffnung (Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main 1999) 527 S. 59,80 DM; Blutiges Spiel (Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main 2000) 608 S.; 59,80 DM
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