Während SPD und Union in der Diskussion um den Posten Hans-Georg Maaßens Bullshit-Bingo spielen, dreht sich die Welt weiter. Das ist gerade allerortens in den Kommentarspalten zu lesen. Das sagt auch die SPD, die darauf hofft, endlich zu Sachthemen zurückkehren zu können. Welche Sachthemen meinen die Sozialdemokraten? Das Sterben im Mittelmeer etwa? Denn während die Parteichefs sich einsperrten, um über das Lohnniveau des ehemaligen Verfassungsschutz-Präsidenten zu verhandeln, wurde am Wochenende einem der letzten Schiffe der zivilen Seenotrettung das Recht entzogen, im Mittelmeer unterwegs zu sein. Panama kündigte an, der Aquarius 2 die Flagge zu entziehen. Sollte es den tragenden Nichtregierungsorganisationen SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen samt ihrer Reederei nicht gelingen, eine andere Flagge zu erhalten, dann wandelt sich die zynische Frage der ZEIT in eine düstere Prophezeiung: dann lassen wir es mit der zivilen Seenotrettung im zentralen Mittelmeer.
Doch wie es meistens so ist in der Politik, hängt das eine mit dem anderen zusammen: die Macht der SPD mit der Macht der Union, die Innen- mit der Außenpolitik. Und am Ende eben auch: Maaßen mit Maas. Denn wäre die SPD willens, in die Offensive zu gehen, hätte sie die Versetzung eines Rechtsaußen-Handlangers von Innenminister Seehofer in die Zuständigkeit ausgerechnet für Abschiebungen wohl niemals als Erfolg verkauft. Stünde sie nicht mit dem Rücken so dicht an der Wand, dass sie an Seehofers breiten Schultern gar nicht mehr vorbei schauen kann, dann würde sie selbstverständlich erkennen, dass ein AfD-Liebhaber als Abschiebebeauftragter von Pegida und AfD als Jackpot angesehen wird. Und wäre die SPD willens, den Kampf mit der Union aufzunehmen, dann würde sie ihre eigenen Handlungsspielräume erkennen – die Handlungsoptionen durch Heiko Maas als Außenminister zum Beispiel. Würde sie nicht an der Wand stehen, sondern weiter im Spiel sein, könnte Maas dem ins Innenministerium gewanderten Maaßen entgegen gesetzt werden – zum Beispiel, indem dieser dafür sorgt, dass es eine europäische Lösung für die humanitäre Krise im Mittelmeer ausgehandelt wird. Oder, wenn das nicht möglich ist, wenigstens dafür sorgt, dass die Bundesregierung ihrer internationalen Verantwortung gerecht wird - und der Aquarius die deutsche Flagge anbietet.
Zugegeben, das ginge nicht ohne Konflikte mit der CSU vonstatten. Nicht nur wegen Seehofer, der nach der Bayernwahl wohl sowieso abtreten muss – sondern wegen Verkehrsminister Andreas Scheuer, dem die Schifffahrtsbehörde unterstellt ist. Doch wenn die SPD nicht mehr kämpft, dann gilt ein Maaßen, der abschiebt, als Erfolg. Und dann bekommt die Aquarius ihre Flagge entzogen, sobald sie das Mittelmeer verlässt und an einem Hafen anlegt. Weil auch die Linke in Europa nicht fähig war, dem Seehofer Europas – also Matteo Salvini – etwas entgegen zu setzen. Italien hat dafür gesorgt, dass Libyen eine Rettungsleitstelle einrichtet und dass die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO sie, trotz offenkundiger Mängel, als Internationale Rettungsleitstelle offiziell anerkennt. Obwohl sie nicht 24 Stunden am Tag erreichbar ist. Obwohl sie keinen festen Sitz an Land hat. Und vor allem: obwohl Libyen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2012 keinen „sicheren Hafen“ besitzt. Nach Internationalem Seerecht dürfen Gerettete aber nur an „sichere Häfen“ gebracht werden, das bedeutet: Es muss gesichert sein, dass die geretteten Geflüchteten dort vor Gefahr für Körper und Leben geschützt sind, dass ihre Grundbedürfnisse erfüllt sind, dass sie dort Asyl suchen können und dass die Möglichkeit zur Weiterreise gewährleistet ist. Fast alle dieser Erfordernisse sind in Libyen nicht erfüllt. Hier werden Menschen gefoltert und in Lagern festgehalten.
SOS Méditerranée ist unter anderem auch eine deutsche NGO. Es wäre nur logisch, sie unter deutscher Flagge laufen zu lassen. Stattdessen schaut man zu, wie Italien Panama unter Druck setzt, der Aquarius die Flagge zu entziehen, mit der Begründung, sie hätte sich nicht an das Seerecht gehalten. Als die libysche Küstenwache sie aufforderte, Geflüchtete an ein libysches Patroillenboot zu übergeben, weigerte sie sich. Das stimmt, das tat sie. Nur dass sie sich damit – anders übrigens als Italien und Libyen – an internationales Seerecht hielt, das eben verbietet, Geflüchtete an nicht sicheren Häfen abzusetzen.
Es folgt das bekannte Spektakel. Die Aquarius hängt vor der libyschen Küste und wartet auf die Zuweisung eines sicheren Hafens, Italien, Malta und andere erklären sich nicht bereit, ihre Häfen anzubieten, bald geht dann das Geschachere um die Aufnahme der Geflüchteten los. Eine weitere Irrfahrt europäischer Außenpolitik. Wenn sich wieder ein Hafen erbarmt, verliert die Aquarius zum zweiten Mal ihre Flagge. Und wenn dann niemand einspringt, gibt es kein einziges ziviles Rettungsschiff mehr, dass Geflüchtete zwischen Libyen und Italien aus der Seenot rettet. Es gäbe eine Möglichkeit, das zu verhindern. Mit linker statt rechter Außenpolitik, zum Beispiel. Oder ist die SPD schon so machtlos, dass sich Seehofers deutsche Heimat inzwischen bis zum Mittelmeer erstreckt? Hallo, SPD, ist da noch jemand, der sich vor den Abgrund der autoritären Abschottung stellt? Das wäre doch mal ein Machtkampf: Maas gegen Maaßen. Seebrücke gegen Abschiebung.
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