Die Teufel von Hitzacker

Protest Die Linke muss sich der Ellwangerisierung des Sicherheitsdiskurses widersetzen – und die eigentlichen Gefahren für die Demokratie benennen

Obacht! Unser gesellschaftlicher Frieden und Wohlstand sind in Gefahr! Die Bedrohung liegt aber weder in der Zunahme sozialer Ungleichheit bis zu einem Zustand von vor 100 Jahren, noch im Klimawandel oder in Trumps Kriegsgebahren. Die enorme Gefahr, die vor uns liegt, lässt sich politisch gar nicht bearbeiten, wie etwa die neoliberale Globalisierung oder die Austeritätspolitik der EU. Nein, gegen diese Bedrohung können wir nur aufrüsten, können wir nur die Polizei stärker bewaffnen und uns ansonsten in unsere Wohnzimmer zurückziehen und ein Kreuz an die Eingangstür nageln, das uns, so Gott will, beschützen wird: vor den Flüchtlingen und den Linksfaschisten.

Um diese Ellwangerisierung der politischen Erzählung von Sicherheit bemühen sich AfD und CSU seit Jahren – und dringen damit seit der letzten Bundestagswahl immer besser durch. In dieses Deutungsmuster gepresst wurde nun auch eine Aktion Linksradikaler im Wendland, der Öffentlichkeit präsentiert durch die „Welt“. „Täter“ sind diesmal keine Geflüchteten, sondern Linksradikale aus dem Umkreis des altautonomen Gasthofs Meuchefitz. „60 Vermummte stürmen Privatgrundstück eines Polizisten“, war am 19. Mai in der Zeitung zu lesen, Unterzeile: „Die Polizei spricht von „einer neuen Qualität der Gewalt““.

Die Vermummten hätten „das Grundstück und private Wohnhaus eines Polizisten im niedersächsischen Hitzacker gestürmt“, heißt es weiter. Und weil von den Vorkommnissen vor Ort gerade kein Foto zur Hand war, griff die Redaktion beherzt auf ein Foto von Anti-Castor-Protesten aus dem Wendland zurück. Zu sehen: schwarz Vermummte in aggressiver Haltung, die in Richtung der Kamera Steine schmeißen.

Der „Welt“-Bericht stützte sich auf die Pressemitteilung der Polizei, wo jedoch lediglich davon die Rede war, die 60 Personen hätten das Haus „heimgesucht“, und: „Durch lautstarke Stimmungsmache, Anbringen von Bannern und ihre Vermummung versuchten die Personen die allein anwesende Familie des Polizeibeamten einzuschüchtern“. Weiter unten in der Pressemitteilung wird dann von einem „gezielten "Angriff" auf personifizierte Polizeibeamte als Privatpersonen und ihrer Familien“ geschrieben, und von einer „neuen Dimension der Gewalt gegen Polizeibeamte“ in der Region.

Aus Stimmungsmache wird Angriff, aus Angriff Gewalt. Und aus 60 zum Teil Vermummten macht Hans-Peter Friedrich, ehemaliger Innenminister und CSU-Amigo von Seehofer, auf Twitter dann „linksfaschistische Kriminelle“, auf die der Rechtsstaat „mit aller Härte“ reagieren müsse.

Die Erzählung fällt in sich zusammen

Erst nach Pfingsten sickerten die Informationen darüber durch, was in Hitzacker wirklich passiert ist. Ein Video der Aktion zeigt, wie einige Dutzend Wendland-autonom gekleidete junge Männer und Frauen vor einem Wohnhaus singen und zwei Fahnen der kurdischen Miliz YPG und sowie eine schwarz-rote Fahne an den Carport pinnen. In einer Pressemitteilung erklärt der Gasthof Meuchefitz, das Haus gehöre dem Staatsschutzbeamten Olaf Hupp, in der Region offenbar für sein rabiates Vorgehen gegen Linke bekannt. Die YPG-Fahne wurde gehisst, um gegen die Beschlagnahmung eines YPG-Transparents im Gasthof Meuchefitz im Februar zu protestieren, bei dem Polizisten den Hof bewaffnet gestürmt hatten.

Nach dem Konzert hätten die Sänger den Autowendeplatz vor dem Haus verlassen, so die Aktivisten. Auf dem Rückweg seien sie dann von einer Hundertschaft der Oldenburger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit „überfallen“ worden. Bei der Festnahme seien 10 Personen verletzt worden. Alle Beteiligten seien erkennungsdienstlich behandelt worden.

Damit fällt die dramatische Erzählung von 60 Vermummten, die die Familie eines Polizisten angreifen, ähnlich in sich zusammen wie die Erzählung der 200 Flüchtlinge aus Ellwangen, die sich als aggressive Meute auf vier Polizisten gestürzt hätten. Wir erinnern uns: Der Mob von 200 Männern entpuppte sich als Gruppe von 40 Geflüchteten, die vor dem Polizeiauto sammelten und gegen die Abschiebung protestierten. Verletzt wurde niemand. Aber das Bild eines gewalttätigen Mobs „schwarzer Männer“, die vier eingeschüchterte Polizisten bedrohen, kann wohl jeder noch in seinem Kopf aufrufen.

Die Linke muss den Diskurs verschieben

Was bleibt nun nach Hitzacker hängen – das Bild einer Gruppe Wendland-Sänger*innen vor einem Wohnhaus mit einer YPG-Fahne? Oder das Foto der „Welt“ von steineschmeißenden Vermummten in aggressiver Haltung, zusammen mit dem Polizeivokabular „neue Qualität der Gewalt“?

Aufgabe von Journalisten ist es, solche zu Bedrohungen für die Demokratie hochgeschaukelten Vorkommnisse auszurecherchieren und aufzuklären. Die rechte Erzählung von der Gefahr durch „Linksfaschisten“ und Geflüchtete können Journalisten damit jedoch nicht brechen. Im Gegenteil arbeiten sie sich damit an Gefahrenbildern ab, die von Rechts gesetzt werden. Auch wenn aufgeklärt werden kann, dass es sich in Ellwangen und Hitzacker höchstens um Einschüchterung handelte: Von dem Gewaltszenario bleibt etwas hängen. Weil der rechte Fokus gesetzt bleibt.

Ihn zu verschieben, das ist eine politische Aufgabe, die in einem von rechts getriebenen Diskurs der politischen Linken zukommt. Was ist denn, aus linker, sozialer, emanzipatorischer Perspektive, die größte Gefahr für Demokratie und Wohlstand? Ist es wirklich Migration? Sind es wirklich Linksradikale? Oder nicht vielmehr Hartz IV, Leiharbeit, Steuerflucht, die unsoziale und undemokratische Austeritätspolitik in Europa, das bayerische Polizeigesetz, die Anker-Zentren?

Das ist kein Plädoyer dafür, dass sich die Linke nicht mit den politischen Herausforderungen von Migration und Sicherheitspolitik beschäftigen soll. Das muss sie. Eine Linke aber, deren Debatte sich fast ausschließlich um die Gefahren von Migration dreht und die – nach G20! – den Ausbau des Polizeiapparats als notwendig für die Sicherheit darstellt, die zeigt keinen Weg zur demokratischen Bewältigung politischer Probleme auf, sondern malt dieselben Teufel an die Wand wie die Rechte: Linksradikale und Wirtschaftsflüchtlinge. Exorzismus aber kann keine linke Praxis sein. Wer sich auf dieses Feld begibt, hat sich AfD und CSU bereits unterworfen.

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