Aufruf Ein breites Spektrum aus Prekarisierten, Aktivisten und Prominenten macht sich in Zeiten florierender Ressentiments und einfacher Antworten für mehr Solidarität stark
Was erstrebenswert wäre, wird nicht nur medial in den Dreck gezogen
Foto: Adam Berry/Getty Images
Endlich ist sie da: die Sammlungsbewegung! Könnte man meinen, wenn man sich den Aufruf „Solidarität statt Heimat“ anschaut, der seit Dienstag im Netz kursiert und der bereits am Mittwoch 2000 Unterstützende fand. Die Liste umfasst ein beeindruckendes Spektrum, darunter nicht nur prominente Theaterregisseure wie Thomas Ostermeier und Volker Lösch, Wissenschaftlerinnen wie Naika Foroutan, Sabine Hark und Isabell Lorey, Journalistinnen und linke, grüne und sozialdemokratische Basispolitikerinnen, sondern auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sowie Pfarrer und Ärztinnen und auch ein Erwerbslosenforum ist dabei.
Ist dies also die lange erwartete neue Sammlungsbewegung? Nein, sie ist es nicht. Weil sie nicht neu ist. Weil sich do
rwartete neue Sammlungsbewegung? Nein, sie ist es nicht. Weil sie nicht neu ist. Weil sich dort zu Wort meldet, wer schon seit Jahren da ist und nie weg war, wer sich im Sommer der Willkommenskultur mit starker Stimme zeigte, an den Bahnhöfen, in den Medien, auf der Straße. Es sind jene Menschen, die seit Jahren an einer Kultur der Solidarität arbeiten – und die von der AfD, von auf rechte Hetzer starrenden Medien und sogar von einem Teil der Linken aus der Sichtbarkeit verdrängt wurden.Doch zunächst einmal: Wofür sammeln diese Menschen denn erneut ihre Stimmen? Im Aufruf wird eine „unerträglich öffentliche Schmutzkampagne (…) gegen Geflüchtete und Migrant*innen, aber auch gegen die solidarischen Milieus dieser Gesellschaft“ kritisiert. Aus den Willkommensdiskursen von 2015 seien „feindselige Abwehrdiskurse“ geworden. Belegt wird dieser Wandel mit der Rede vom „gefährdeten Rechtsstaat“, von der „Anti-Abschiebe-Industrie“, dem „Bamf-Skandal“ und den politischen Plänen des Heimatministers für ANKER-Zentren und seiner Abschiebeoffensive. Ohne Not mache die aktuelle Politik „Zugeständnisse an rechte Ressentiments“, die „bürgerliche Mitte“ äußere sich dazu nicht.Keine Zugeständnisse an rechte RessentimentsAn dieser Stelle wird auch Kritik an dem migrationspolitischen Kurs aus dem Umfeld der LINKE-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht geäußert, die jedoch nicht namentlich genannt wird: „Auch Teile der politischen Linken machen Zugeständnisse an rechte Rhetorik und reaktionäre Ideen und verklären die Ablehnung von Migrant*innen sogar zum widerständigen Moment, ja unterstellen ihr einen rationalen, klassenpolitischen Kern“, heißt es. Diese Politik wird als „neuer Rassismus“ bezeichnet, „ob von rechts oder links“. Unterschrieben ist der Aufruf übrigens auch vom LINKE-Ko-Vorsitzenden Bernd Riexinger.Der Text setzt jedoch nicht auf Parteienpolitik und enthält auch keine Vorschläge für eine politische Programmatik – wobei dennoch eine soziale Politik der Investition in soziale Infrastruktur nahe gelegt wird: „In Deutschland und Europa sind infolge der Ideologie „ausgeglichener“ Haushalte wichtige Ressourcen für gesellschaftliche Solidarität blockiert“, heißt es, „dringend notwendige öffentliche Investitionen in soziale Infrastruktur, in Bildung, Gesundheit, Pflege, sozialen Wohnungsbau und eine integrative Demokratie bleiben aus“. Durch die deutsche Sparpolitik und einseitige Exportorientierung würden prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen geschaffen, was Zukunftsängste nähre. Diese Probleme ließen sich jedoch nicht durch eine „ständische oder nationalistische Wohlfahrtsstaatlichkeit“ lösen, die auf „soziale Vorrechte und Abschottung setzt“. Sondern? Politische Lösungen bietet der Text, ähnlich wie das #fairland-Papier, nicht.So ist der Aufruf eher von einem Abwehrkampf geprägt. Er endet mit der kämpferischen Ankündigung, Rassismus konsequent beim Namen zu nennen und sich allen Versuchen der Abschottung entgegen zu stellen. Was steht hinter dieser Kampfansage? Denn bei aller Dynamik der Unterzeichnung – innerhalb eines Tages ist die Zahl der Unterzeichnenden von 100 auf 1000 hochgeschnellt, der Zuspruch hält an – bleibt diese Initiative zunächst eben: eine Unterschriftenliste.Die Solidaritätskultur war immer daEntstanden ist der Text nicht aus einem elitären Kreis von Parteipolitiker*innen, sondern aus der Zivilgesellschaft. Im Mai haben sich auf Initiative von kritnet in Göttingen 400 Aktive aus Unterstützungsnetzwerken für Geflüchtete mit Akademikerinnen, Basispolitikern und den Geflüchteten aus der in die Schlagzeilen geratene Unterkunft in Ellwangen zusammen gesetzt und überlegt, wie sie sich in diesem von rechts dominierten Diskurs wieder eine Stimme verleihen können – und, darüber hinaus, Politik gestalten können. Sie beschlossen, zunächst diesen Aufruf zu schreiben, unterstützt von dem migrationspolitischen Netzwerk krit.net, dem rot-rot-grünen Thinktank „Institut Solidarische Moderne“ und der NGO medico international. Doch hinter diesem Text steckt noch mehr Bewegung als dieses neu entstehende Netzwerk: für September plant das Bündnis „Welcome United“ eine große Parade gegen Abschiebung und rechte Hetze und Bewegungsfreiheit für in Hamburg - unterstützt von inzwischen 200 Organisationen.Hier formieren sich also Träger*innen der schon immer dagewesenen Solidaritätskultur, die deshalb in Vergessenheit geraten ist, weil weder politische Parteien, noch Medien sich für ihr Handeln und ihre Interessen interessierten. Der zentrale Satz im Aufruf ist deshalb vielleicht gar nicht der Verweis auf den Rassismus, der die Interessen von Migrant*innen aus dem Fokus linker, sozialer Politik ausschließen will. Der zentrale Satz ist vielmehr dieser hier:„Inmitten einer immer noch lebendigen Willkommens- und Unterstützungsbewegung, inmitten der großen und wachsenden Proteste gegen die AfD (…) wird vielerorts so getan, als sei der Rechtspopulismus der einzig maßgebliche Ausdruck der aktuellen gesellschaftlichen Stimmungslage. Diese Behauptung ist falsch. Und sie ist politisch fatal.“Sie ist da, die linke Zivilgesellschaft, die sich für soziale Politik engagiert, dort, wo es schwierig ist: im Alltag. Die Unterzeichnenden sind eben keine Mitglieder einer Elite, die sich fernab der sozialen Konflikte ein kosmopolitisches Leben gönnen wollen, sondern gerade jene Akademikerinnen, Journalisten, Theaterleute, die für eine solidarische Gesellschaft streiten. Darunter sind aber ebenso Erwerbslose, prekär Arbeitende, Migrantinnen und Ärzte, Psychologinnen, Aktivistinnen, die sich jeden Tag mit den Mühen des Zusammenlebens auseinander setzen. Und diese Menschen müssen nicht gesammelt werden. Sie sammeln sich jetzt selbst.
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