Steht erstmal selbst auf!

#aufstehen Ein internes Papier macht deutlich, wie unzufrieden die Mitglieder mit den undurchsichtigen, mitunter undemokratischen Strukturen der Initiative sind
Es hakt
Es hakt

Foto: imago/Seeliger

Wie bringen wir die Bewegung in Bewegung? Das ist die Mutter aller Fragen in der Bewegungslinken. Die Antwort lautet meist: Wir bringen sie nicht in Bewegung, es passiert einfach. Durch viele kleine Rädchen, die man mal hier und mal da dreht, Demonstrationen, Bündnisse, Veranstaltungen, dran bleiben. Durch Ereignisse, die zusammen kommen. Dieser Sommer und Herbst der Demonstrationen – von der Anti-AfD-Parade im Mai über die Seebrücke bis zu den Protesten im Hambacher Forst – ist ein Musterbeispiel dafür, wie Dynamiken langsam entstehen und plötzlich zu einer Versammlung von 250.000 Menschen anwachsen können – ausgerechnet auf einer Demonstration, die von einem linksradikalen Anwalt angemeldet wurde, der unter anderem die Rigaer Straße vertritt. So etwas kann man nicht vorher sehen, so etwas entwickelt sich. Deshalb kann man Bewegungen auch nicht gründen.

Wie bringen wir die Bewegung in Bewegung, das fragt nun der Autor eines internen Arbeitspapiers für die Sammlungsinitiative #aufstehen. In dem Papier geht es um ein Arbeitstreffen des „Arbeitsausschusses“ – wer auch immer Teil dessen ist –, das am Dienstag stattfinden soll. Das Papier, das aus Kreisen aus dem Umfeld der Linksfraktion stammt und dessen Autor unbekannt ist, wurde bereits in Ausschnitten getwittert. Es zeigt, dass in der Initiative tatsächlich einiges in Bewegung ist: von unterschiedlichen Meinungen zu #unteilbar ist die Rede, von der Überlastung zentraler Teammitglieder, von Unterstützern, die langsam ungeduldig würden. Deutlich wird: Über die Absage von Sahra Wagenknecht, als Initiative offiziell bei #unteilbar mitzumachen, sind einige not amused. Und dass derzeit alles noch top-down funktioniert, das hält der Autor des Papiers ebenfalls für unhaltbar: „Damit die Bewegung in Bewegung kommt, müssen wir Verantwortung nach unten abgeben“, steht darin, „welche Kampagnen am besten sind, sollen wir besser nicht im geschlossenen Hinterzimmer festlegen, sondern gemeinsam mit allen Unterstützern“. Weiter heißt es: „Wir brauchen dringend eine andere Kultur als die Parteien. Schon jetzt leider rutschen Aufstehen-Veranstaltungen in das gewöhnte Muster von Rednerlisten, Redebeiträgen, Debatten usw. – dagegen müssen wir uns hüten, denn dies verschreckt genau die Menschen die wir unbedingt gewinnen müssen.“

Eingebetteter Medieninhalt

Mit diesen Problemen sieht sich keineswegs #aufstehen allein konfrontiert. Jede zivilgesellschaftliche Organisation, die Bewegungsarbeit leisten will, hat sich damit schon einmal auseinander gesetzt, von Attac bis zur Interventionistischen Linken. Die fehlende Demokratie von #aufstehen wurde aus diesen Kreisen von erfahrenen Aktivistinnen bereits mehrfach kritisiert. Und auch in der Initiative selbst gibt es das Wissen darüber, dass eine zentral gesteuerte Bewegung „weder möglich noch handlungsfähig“ ist.

In dem Papier werden Vorschläge gemacht, wie solch eine demokratische Struktur aussehen könnte. Nach dem Vorbild von Momentum rund um Großbritanniens Labour-Partei könnte es ein Aufsichtsrat, eine Nationalkoordinatorin und einen Vorsitzenden geben, darunter ein „Head Team“. Der Aufsichtsrat ist demokratisch gewählt – „dies sollen wir auch langfristig anpeilen“, heißt es. Ähnlich sollen sich auch lokale und Landes-Gruppen organisieren können. Sie sollen Teams ernennen, die im Namen der lokalen #aufstehen-Gruppen Social Media-Arbeit betreiben. Aus dem Papier geht übrigens ebenso hervor, dass die Tweets und Postings bislang von der „politischen Führung“ abgenommen werden – und dass dies sehr bremse. Der spätere Arbeitsausschuss solle dann auch nur noch aus Leuten bestehen, „die die Arbeit bei Aufstehen tatsächlich machen“. Zwecks Transparenz soll dieses Modell als Organigramm veröffentlicht werden.

Dass solche Modelle in Aufstehen besprochen werden, ist völlig normal – das ist Teil jeder zivilgesellschaftlichen Organisation im Aufbau. Dass sie allerdings erst jetzt besprochen werden und es tatsächlich noch keine demokratische Struktur gibt, ist doch etwas erstaunlich, Wochen nach dem offiziellen Start, Monate nach der Ankündigung, dass hier eine Bewegung aufgebaut werden soll. Wo noch nichts feststeht, ist jedoch Raum für Entwicklung. Vielleicht sorgt Wagenknechts völlige Fehleinschätzung der Dynamik, die hinter #unteilbar steht, ja dafür, dass andere die Initiative ergreifen und Strukturen schaffen, die solche Schnellschuss-Entscheidungen von oben in Zukunft verhindern. Das Papier zeigt jedenfalls, dass Diskussionsbedarf besteht.

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