„Unbeugsames Deutschland“

#fairLand Die LINKE-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht arbeitet nicht an einer sozialen Bewegung, sondern an einer Unterschriftenliste für ihre links-nationale Agenda
Auf dem Weg zur One-Woman-Party? Sahra Wagenknecht
Auf dem Weg zur One-Woman-Party? Sahra Wagenknecht

Foto: Rene Traut/Imago

Wer wünscht sich in diesen Zeiten keine linke Sammlungsbewegung? Die Bestandsaufnahme im Aufruf von Wagenknechts Initiative #fairLand stimmt ja: Es gibt in der Bevölkerung Mehrheiten für eine andere Politik der sozialen Gerechtigkeit und der Abrüstung. Die soziale Ungleichheit ist so groß wie seit Kaisers Zeiten nicht mehr. Aber die SPD macht wieder Groko und bricht noch immer nicht mit der Agenda 2010. Ja, wir brauchen eine linke Bewegung, dringend. Aber: eine Bewegung kann man nicht gründen.

Yanis Varoufakis versuchte das mit Diem25 – und bekam bislang einen europäischen linksliberalen Thinktank zusammen, immerhin. Jetzt versuchen es Wagenknecht und Lafontaine mit #fairLand. Auch sie werden keine Bewegung los stoßen. Denn eine Bewegung entsteht an der Basis. Dazu muss viel zusammen kommen. Eine Bewegung gärt lange und entsteht dann spontan als Rebellion.

Es gab solche Bewegungen in den vergangenen Jahren vielerorts: in Deutschland war die letzte große Bewegung die Willkommensbewegung, als Hunderttausende neu ankommende Geflüchtete unterbrachten. Die spanischen Indignados verlangten 2011 zu Millionen echte Demokratie, ebenso die breite Basisbewegung in Griechenland. In Frankreich legten 2016 Massenstreiks das öffentliche Leben lahm, die Student*innenbewegung „nuit debout“ stemmte sich gegen das neoliberale Arbeitsgesetz und verlangte statt Befristungen, statt Abschaffung des Kündigungsschutzes, statt Leiharbeit: soziale Sicherheit.

Aus den Indignados in Spanien entstand Podemos, in Griechenland die Syriza, in Frankreich La France Insoumise. Dass man sich auch hierzulande eine Bewegung wünscht, die die Parteienlandschaft nach links zieht: nachvollziehbar. „Wir wollen die Parteien zwingen, unseren Interessen Rechnung zu tragen“, steht aber in dem Papier. Hier ist Vorsicht geboten. Eine Bewegung, die an der Basis einer Gesellschaft entsteht und aus dieser heraus große Stärke entwickelt, kann und darf die Politik vor sich hertreiben. Aus dem Munde bislang lediglich zweier LINKE-Politiker allerdings klingt das nicht nach Emanzipation, sondern autoritär.

Denn Vorbild für Wagenknechts „Bewegung“ sind nicht etwa soziale Bewegungen, mit denen sie – im Gegensatz zu vielen anderen LINKEN! – nie zu tun hatte. Ihr Vorbild sind Mélenchons Unbeugsame. Das ist keine Bewegung. Die Partei war 2016 im Kontext der sozialen Bewegung im Land entstanden und Mélenchon schaffte es, sich an ihre Spitze zu stellen. Inzwischen besteht aber auch La France Insoumise aus einem autoritär agierenden Parteiführer und einer Struktur, die ihm zuarbeitet: wie bei „En Marche“, Partei des neuen Napoleon Frankreichs. Hinter Macrons und Mélenchons „Bewegungsparteien“ steht die Sammlung unerfahrener Neupolitiker, die zwar den Apparat aufrecht erhalten, aber so gut wie nichts demokratisch mitbestimmen. Es gibt keinerlei Debatte in diesen Parteien.

Dieser Autoritarismus ist das eigentliche Problem an der „Sammlungsbewegung“ #fairLand. Dass Sätze wie „Wir bauen die besten Autos“ vor Nationalismus triefen, das war erwartbar. Dass in dem Aufruf in Wagenknechtscher Manier die Indoktrination von fünfjährigen Jungen durch radikale islamistische „Hassprediger“ in einem Atemzug mit Angela Merkels Grenzöffnung und Mängeln in der sozialen Infrastruktur genannt wird: auch das erwartbar. Die Debatte darüber, wie sinnvoll oder gefährlich es ist, den Aufbau einer sozialen Politik an eine Abkehr von Globalisierung und an die Einschränkung von Migration zu koppeln, wird derzeit ja intensiv geführt.

Treffen und debattieren statt sammeln

Bedrohlich für linke demokratische Politik in diesem Land ist jedoch auch die Vorstellung einer linken Partei, die sich ausgerechnet Mélenchons ein-Mann-Parteienstruktur als Vorbild nimmt und Unterstützer hinter sich sammelt, um die eigene Agenda durchzusetzen. Wagenknechts Aufbau der „Sammlungsbewegung“ #fairLand ist nicht der Versuch, eine linke Bewegung in Deutschland loszutreten. Dafür müsste sie sich mit Flüchtlingshelfern, Hartz-Aktivisten, Klimaschützern, Feministinnen, Attac-, LINKE- und Grüne-Basismitgliedern treffen, deren Unterschriften sich wohl kaum unter dem Papier finden werden. Mit ihnen muss die LINKE anfangen, eine rege politisch Debatte zu führen, Treffen zu organisieren, eine Stimmung für Veränderung, Motivation zu schaffen. Hier stellt sich übrigens auch die Frage: Für wen soll Deutschland eigentlich fair werden – wenn Fragen von Geschlechtergerechtigkeit mit keinem Wort erwähnt werden?

Was Wagenknecht jedoch verfolgt, ist vielmehr die Sammlung von Politikern und Prominenten hinter ihrer links-nationalen Agenda auf offenen Listen, für die womöglich auch die LINKE ihre Listen öffnen soll. Im allerbesten Fall führt die Initiative zu einer Diskursintervention, die für Sozialpolitik und Abrüstung streitet, aber dies auf dem Rücken von Migrant*innen tut. Im schlechtesten Fall ist es der Versuch einer charismatischen Führungsperson, statt der LINKEN als Mitgliederpartei eine populistische ein-Frauen-Partei aufzubauen: „das unbeugsame Deutschland“.

Lesen Sie auch das Pro von Sebastian Puschner

Lesen Sie hier das #fairLand-Papier

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