Ein Berliner Sprichwort lautet: Es gibt so’ne und solche, und dann jibt’s noch janz andere – und dit sind die Schlimmsten! Nun wurde über die Schlimmsten in der Politik ja genug diskutiert. Wer aber sind derzeit eigentlich so’ne und wer solche? Verlief der politische Riss im Nachkriegsdeutschland lange zwischen Sozialdemokratie und Konservativen, zwischen SPD und CDU, scheinen sich die Politikansätze nun neu zu sortieren: hier die alten Interessensvertreter aus dem fossil betriebenen Industriekapitalismus, dort die des aufkeimenden grünen Kapitalismus. Dieser Riss verläuft nicht mehr zwischen den Parteien, es zerreißt vielmehr sie selbst: die SPD, die Linke – und jetzt die Union.
Nun ist ein Markus Söder keineswegs grün und divers, weil das seiner politischen Überzeugung entspricht. An seinen Wahlkampf 2018 in Bayern kann sich noch jede erinnern, das Wort „Asyltourismus“ klingt in den Ohren, die Kruzifixe wackeln an den Bürowänden. Doch dann kam die Kehrtwende. Es war im Sommer 2018, Söder war in Umfragen der unbeliebteste Ministerpräsident, die Werte der CSU in Bayern lagen wenige Wochen vor der Landtagswahl im Keller, und die AfD zeigte sich in Chemnitz mit Neonazis. Der Weg nach rechts war eine Sackgasse. Also drehte Söder um.
„Bauchdemoskop“ nennt sich der Politiker selbst: Er richtet seinen Nabel nach der Stimmung in der Bevölkerung. Ein gramscianischer Nabel, immer der Hegemonie nach. Eben ein Machtmensch. Und so trat Söder die Flucht nach vorne an – ins Grüne: „Nachhaltigkeit und Wohlstand vereinen“, lautet das Ergebnis.
Das ist kein Biss in den sauren Apfel, das ist die Einsicht, dass der grüne Kapitalismus für die Wirtschaft im 21. Jahrhundert der einzig erfolgversprechende Weg ist: die Wirtschaft auf nachhaltig umrüsten – zwar nicht nachhaltig genug, um das Klima zu retten, aber profitabel genug, um den Standort Deutschland zu stärken. Die Diversität der Gesellschaft verteidigen – zwar nicht sozial gerecht, aber divers genug, um aus der Vielfalt Kreativität zu schöpfen. So sind se, die grünen Kapitalistinnen. So’ne.
Laschet aber ist nicht so’ner wie Söder, er ist ein solcher. Das Problem ist nicht, dass der nordrhein-westfälische Ministerpräsident pandemiepolitisch alle zwei Wochen in die andere Richtung wackelt – das tut Söder ja auch. Das Problem ist das „Aber“, das er ständig nachschiebt: Er will Klimaschutzfragen mit der Wirtschaft verbinden – „aber ich stehe auch für die Industrie“. Als wäre eine ökologisch nachhaltige Industrie undenkbar. Als wäre Industrie automatisch fossil. Als wäre ein Festhalten am Verbrenner und an der Kohle noch eine Option.
Der Balanceakt, langsame Schritte in Richtung grüner Kapitalismus einzuleiten, aber dennoch die alten Interessen zu bedienen – den hat Angela Merkel durch ihre Politik der Verwaltung perfekt beherrscht, nämlich geräuschlos. Jetzt kippt das Gleichgewicht jedoch – krachend. Zu weit fortgeschritten ist nicht nur der Klimawandel und mit ihm die gesellschaftliche Stimmung, sondern auch die Umstrukturierung der Wirtschaft. Dass die fossil betriebene Wirtschaftsweise keine Option mehr ist, wissen nicht nur die Fridays for Future, sondern längst auch Teile der Automobilindustrie. Und Vorstände von Siemens. Viele Landwirte. Und Gewerkschaften. Der Bauchdemoskop hat das begriffen. Laschet aber wackelt, ein Wackeldackel zwischen dem 20. und dem 21. Jahrhundert. Klimaschutz und fossile Industrie. Er hat keine Vision. Er hat aber noch Anhänger.
So halten die einen an Laschet fest, und die anderen zählen auf Söder. So halten die einen an der SPD fest, und die anderen zählen auf die Grünen. Und so halten die einen an Sahra Wagenknecht fest, und die anderen zählen auf Susanne Hennig-Wellsow.
Das Festhalten geht nicht mehr lange gut, denn die Wechselstimmung ist da: weil der Wechsel da ist. Die neuen Vorsitzenden der Linken haben deshalb umgeschaltet und bereiten die Partei auf eine Rolle als kleiner Koalitionspartner an der Seite der Grünen vor, zuständig für eine radikal-soziale grüne Politik. In ihrem Wahlprogramm schlägt die Linke nun vor, die Kosten des grünen Umbaus von den Reichen der Gesellschaft zahlen zu lassen, die staatliche Unterstützung der Transformation an soziale Arbeitsbedingungen zu koppeln und die Industriearbeiter nicht zurückzulassen, sondern mit einem dicken staatlichen Transformationsfonds in die neue Wirtschaftsweise mitzunehmen.
Eine Sahra Wagenknecht hingegen ist nicht so’ne, sondern eine solche. Sie steckt, wie Laschet, in der Industriegesellschaft fest, nur fokussiert sie nicht auf ihre Unternehmen, sondern auf ihre Arbeiter. Sie will sie aber, anders als Hennig-Wellsow, nirgendwohin mitnehmen, sondern – nur augenscheinlich in ihrem Interesse – eine wirtschaftliche Entwicklung aufhalten, die nicht mehr aufhaltbar ist. Ein Zurück in die Sozialdemokratie des fossilen Industriekapitalismus gibt es nicht mehr, der Wandel in den grünen Kapitalismus ist höchstens zu verlangsamen. Wer das versucht, muss dafür einen hohen Preis zahlen: den der Klimakatastrophe – und der sozialen Spaltung. Die verläuft dann nicht zwischen Arbeiterinnen und Unternehmen, sondern zwischen Alteingesessenen und Hinzukommenden, zwischen alter und neuer Lebensweise – zwischen den Arbeiterinnen selbst. Wer jetzt noch bereit ist, diesen Preis zu zahlen, ist weder so’ner noch ein solcher – sondern geht zu den janz anderen. Und dit sind die Schlimmsten.
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