„Ich schwöre Ihnen, wir haben nur Italienisch geredet, und dann hat die Polizei uns festgehalten!“, sagte mir Fabio Mengali am Abend des 8. Juli in Hamburg. Der Hubschrauber drehte über Hamburg noch immer seine Kreise. Ich hatte von der Festnahme der linken Europaabgeordneten Elena Forenza gehört und Mengali angerufen, der als Aktivist der linken italienischen Plattform „Global Project“ in Hamburg gegen den G20-Gipfel demonstriert hatte. „Fabio, man kann nicht nur festgenommen werden, weil man Italienisch spricht“, hatte ich ihm gesagt, „das wäre schon eine harte Form von racial profiling.“ „Elsa, schreiben Sie, was Sie wollen, aber ich sage Ihnen: Wir wurden festgehalten, weil wir Italienisch sprachen. Wir mussten unsere Ausweise zeigen, und dann ließ uns die Polizei mit der Ansage gehen, wir sollen innerhalb der kommenden Stunden Hamburg verlassen. Sonst würden wir festgenommen wie unsere 15 Genossen, die jetzt in Zellen sitzen.“ „Wenn du mich fragst“, sagte mir dann der venezianische linke Lokalpolitiker Beppe Caccia, „ich glaube, die Polizei will uns als ‚Ausländische Gewalttäter‘ darstellen und uns die Schuld für die Krawalle der vergangenen Nacht anlasten.“ Eine These, die noch im Raum steht. Was nun aber zumindest festgehalten wurde: Die Festnahme war reine Schikane. Oder, in den Worten des Richters: „schwerwiegendes Unrecht“.
So urteilte nämlich jetzt das Hamburger Verwaltungsgericht – fast ein Jahr später. Geklagt hatten acht italienische Aktivisten. Anders als die Gruppe um Fabio Mengali wurden sie in einer Gruppe von insgesamt 15 Italienern bei der Abschlusskundgebung der Großdemonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20“ nicht nur gekesselt, sondern über Nacht festgehalten – bis zu 25 Stunden. Darunter befand sich auch die Abgeordnete der europäischen Linksfraktion Gue/NGL, Eleonora Foranza, die noch am Abend wieder freigelassen wurde. Die polizeiliche Begründung der Maßnahme lautete damals wie heute, die Aktivisten hätten „szenetypische Wechselklamotten“ dabei gehabt. Außerdem habe es Hinweise des Verfassungsschutzes gegeben, bei den Krawallen an der Schanze und im randalierenden schwarzen Block an der Elbchaussee seien Italiener dabei gewesen.
Wirklich? Weil Italiener anderswo möglicherweise Straftaten begehen, nimmt die Polizei einfach alle Italiener fest, die sie in Hamburg finden kann? Das ist racial profiling in Reinform. Sollte Beppe Caccia Recht behalten und die Italiener sollten für die Krawalle zur Verantwortung gezogen werden? Ein Jahr nach den Ereignissen in Hamburg zeichnet sich – trotz der langen Untersuchungshaft von Fabio V. – eine andere Strategie von Innenpolitikern und Sicherheitsbehörden ab: Im Fokus der Strafverfolgung standen bislang vor allem organisierte linke Strukturen.
So ist es sicher kein Zufall, dass nach der Großdemonstration gerade jene Italiener festgenommen wurden, die sich seit Jahren europaweit gegen Austeritätspolitik und für ein solidarisches Europa engagieren – und zwar, politisch gut verankert, in Zusammenarbeit mit deutschen und italienischen linken Abgeordneten. Wussten Verfassungsschutz und Polizei, welche links organisierten Italiener die Beamten sich da auf der Abschlusskundgebung griffen? Zumindest waren einige von ihnen den Behörden schon durch die Blockupy-Proteste in Frankfurt am Main bekannt, wo sie sich 2012 bis 2015 an Protesten gegen die Kürzungsdiktate der europäischen Troika beteiligt hatten und ebenfalls ihre Personalien abgeben mussten.
Ihre Festnahme in Hamburg passt zu der Strategie, jene Linke für die Krawalle zur Rechenschaft zu ziehen, die sich an Demonstrationen und Aktionen des zivilen Ungehorsams wie Sitzblockaden beteiligten. So stand zunächst die Demonstrantengruppe vom Rondenbarg im Fokus – darunter einige Mitglieder der verdi-Jugend und der italienische Aktivist Fabio V. –, die mit den Krawallen an der Schanze oder mit dem zerstörten Autos an der Elbchaussee nichts zu tun hatten. So wurden auch die „Welcome to hell“-Organisatoren und die Sprecherin der „Interventionistischen Linken“ angezeigt, die lediglich Demonstrationen anmeldeten oder für Aktionen sprachen, die von der Versammlungsfreiheit gedeckt sind. So wurde zudem ein Verbot der linksradikalen Projekte „Roten Flora“ in Hamburg und „Rigaer 94“ in Berlin gefordert – und so wurde die linksradikale Plattform „Indymedia“ verboten. Die Hamburger Krawalle wurden von Horst Seehofers Vorgänger Thomas de Maizière vor allem dazu genutzt, gut organisierte linke Strukturen anzugreifen.
Der Richter verwies nun auf darauf, dass die italienischen Aktivisten durch das Versammlungsrecht geschützt waren und von ihnen keine Gefahr ausging. Wenigstens vor Gericht bietet die Versammlungsfreiheit noch Schutz. Politisch aber wird der Rechtsruck nicht nur für Geflüchtete, sondern auch für Linke gefährlich. In Sachsen-Anhalt verfolgt seit Mai die AfD-geführte Enquete-Kommission Linksextremismus, die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) fordert die Wiedereinführung eines Radikalenerlasses mit Gesinnungsprüfung für angehende Richter, auf der Innenministerkonferenz wird ein Musterpolizeigesetz für den Bund diskutiert – und mit dem bayerischen Polizeigesetz werden die Befugnisse der „Sicherheits“-Behörden bis weit über die Grenzen der persönlichen Sicherheit ausgedehnt. Möglicherweise werden letztere Pläne von Verfassungsrichtern gestoppt. Angesichts dieser breiten antiliberalen Vorstöße bietet die Justiz Andersdenkenden jedoch nur einen schwachen Schutz – eine dünne Wand zwischen Rechtsstaat und rechter Willkür.
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