An der Schwelle

Grenzgänger Vor 50 Jahren starb der große Unterhaltungsschriftsteller Leo Perutz

Die Begleiter des Cortez bringen ihn um. Sie verstehen seine Sprache nicht, mehr noch haben sie Furcht vor seiner Kunst. Denn Calpoqua, "Meister der Materie", kann jedwedes beängstigend realistisch wiedergeben. Bloß nicht die Rauchwolke aus der Arkebuse des Novarro, durch die der göttliche Reiher Tausendrot zu Tod kam. Tödlich getroffen, weiß er, wie sie nachbilden: "aus den Flaumfedern, die eine gewisse Art von Rohrvögeln am Halse trug ... . Und er entsann sich, daß diese Flaumfedern schon von Natur aus die Farbe jener Rauchwolke besaßen, indem sie nämlich weiß, blaßblau und grün waren, und freute sich dessen. Dann fiel er zu Boden."

Das gibt - doppelt - einen Eindruck der Kunst, mit der Leo Perutz seine Zeitgenossen zu verzaubern wusste. Rechtzeitig zum 50. Todestag von Leo Perutz am 25. August ist sein allererster Roman Die dritte Kugel wiederaufgelegt worden. Damit ist so ziemlich alles von ihm bei dtv zu haben, zuverlässig herausgegeben von Hans Harald Müller. Vier Jahre hat der 1882 in Prag geborene Sohn spaniolischer Juden, der später als Versicherungsmathematiker und Literat in Wien lebte, ehe er 1938 noch gerade rechtzeitig nach Palästina entkam, an seinem Erstling laboriert, bevor er, schwer verwundet, ihm 1915 im Lazarett den letzten Schliff gab. Hier findet man alle die Zutaten, die ihn für die wahrlich nicht unkritischen Zeitgenossen, von Benjamin bis Kisch, von Kracauer bis Tucholsky, so faszinierend und beim breiten Lesepublikum seinerzeit so erfolgreich machte.

Wer sich seit damals publizistisch für ihn einsetzte, tat es meist mit der Klausel, es handele sich zwar um Unterhaltungsliteratur, aber zweifelsfrei auf hohem Niveau. Verfolgt man seine Immermalwiederentdeckungen seit 1945 und die feuilletonistischen Lobpreise seines zunehmenden Publikumserfolgs seit den Achtzigern, ist die Formel noch immer notorisch. Allenfalls mit dem Hinweis - wie hier -, es handele sich eben um eine Formel, die daher rühre, dass wir uns so schwer tun, Unterhaltungsliteratur als solche zu akzeptieren.

Bis heute gibt es bei uns keine rechten Kriterien, wonach die Qualität von Unterhaltung zu messen. So bleibt es bei Beteuerungen, es handele sich im Falle von Perutz um höchst kunstvoll arrangierte Musterstücke, in denen man mehr als bloß Unterhaltung finde. (Als ob es Unterhaltung pur überhaupt geben könne.) Perutz ist schlichtweg spannend. Anders freilich als Krimis oder Thriller spannend sind. Mehr als die Hälfte seiner gut ein Dutzend sind historische Romane, angesiedelt in der frühen Neuzeit, an der Dämmerschwelle der Moderne, die darum sich darin so gerne spiegelt.

Der Judas des Leonardo, atemberaubend um die Kunst da Vincis, Nachts unter den steinernen Brücken, phantastisch anrührend im Judenviertel Prags des 16. Jahrhunderts, Turlupin 1642, in den französischen Glaubenskriegen, Der schwedische Reiter im schlesischen Krieg um 1700, und Der Marques de Bolibar im napoleonischen Spanienfeldzug - ein Nachzügler. Allesamt an den historischen Schwellen von Tag und Traum, Melancholie und Gewaltexzess. So, wie wir uns das für damals vorstellen und worauf wir wieder hinzudriften scheinen.

Die andere Hälfte der Romane war zeitgenössisch angesiedelt, aber nicht minder traumverworren, visionär, bestürzend. Was man eigentlich hätte erwarten müssen, Wiener Seelensensitivität und das Raffinement des Fin de Siècle, ausgetupfte Liebessubtilitäten, kalligraphische Beziehungsdetails - das sind seine Sache nicht. Seine Figuren sind wie die Zeiten, die ihnen bevorstehen, Grenzgänger zwischen Übersinnlichem und Kreatürlichkeit. Narren und Einfaltspinsel, Draufgänger und Spielernaturen, Teufelsbündler und Kugelgefeite - in die Geschichte geworfen, die ihren Wünschen, Plänen und Schwüren stets mit "a simple twist of fate" in die Quere kommt, sie zum Spielball, zu Getriebenen, Verlorenen oder Verblendeten macht. Spätbürgerliche Raffinesse und Subtilität, deren es den Figuren zu mangeln scheint, findet sich um so mehr in der Konstruktion - der Konstruktion der Geschichte, der sie ausgesetzt sind, mehr aber noch der Geschichte, die davon erzählt wird.

Trotz reichhaltiger Phantasmen bewahrt virtuose Choreographie der vermeintlich disparatesten Handlungselemente die Texte stets davor, ihre Effekte aus faulem Zauber oder schwarzer Magie zu ziehen. Verbunden sind Figuren und Konstruktion durch eine Sprache, die auch dort, wo sie betont mimetisch an die Vergangenheiten sich archaisierend anschmiegt, von "kristallinischer Klarheit" (S. Kracauer) ist. So entsteht, wie Paul Frank seinerzeit (und noch für heute) feststellte, immer wieder neu - etwas, "das packt, festhält und überhaupt nicht mehr losläßt. Auch dann nicht, wenn man längst damit zu Ende ist." Das kommt wohl bei aller virtuos rationalen Konstruktion wohl aus der Urweltangst der einsamen Kreatur, der wir uns alle nicht entziehen können - und lesend auch gar nicht wollen.


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