Dort, wo das Leben aus viel Warten, Hin- und Herfahren und immer öfter Schießen besteht, spielen Essen und Trinken eine nicht unwichtige Rolle. Auch wenn die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan sich gelegentlich beschweren: Ein Hund, den die ehemalige Soldatin Daniela Matijević in ihrer Verzweiflung im Kosovo gegessen haben will, war nicht dabei.
Dass sie mit ihrem Buch Mit der Hölle hätte ich leben können. Als deutsche Soldatin im Auslandseinsatz überhaupt auf den Markt und in die Talkshows kommen kann, hängt wesentlich mit der Black Box zusammen, die sich uns präsentiert, wenn wir Genaueres aus dem Kriegsalltag, dem afghanischen zumal, erfahren wollen. Nicht nur, weil sich gerade in Deutschland die Politik schwer tut, mutmaßliche Wahrh
maßliche Wahrheiten anzusprechen, sondern weil das Militär grundsätzlich dazu neigt, Informationsfreiheit als notorischen Feindeszwilling zu betrachten. Die US-Amerikaner haben immerhin ihre embedded journalists, deren Bett, wie Sebastian Jungers beeindruckende Reportage War zeigt, kaum minder hart ist als das der Soldaten. Jedenfalls wenn sie wie Junger von 2006 bis 2007 ein Jahr lang dabei waren. Und dies im Korengal-Tal, das „Afghanistan von Afghanistan: zu abgelegen, um erobert werden zu können, zu arm, um sich einschüchtern zu lassen, zu autonom, um sich kaufen zu lassen“.Wenn man bedenkt, dass hier 150 von rund 70.000 Nato-Soldaten ein Fünftel der gesamten Gefechtshandlungen abbekamen, dann scheint Jungers Bemerkung, das Tal verändere „den Geisteszustand eines Mannes auf schaurige Weise unwiderruflich“, eher untertrieben. Aber das gehört zum Ton, den Junger, der mit seinem von Wolfgang Petersen verfilmten Sachbuch Der Sturm zum Star wurde, grundsätzlich anschlägt. Der erzeugt eine ganz eigene, kühle wie unheimliche Atmosphäre. Es macht einem Gänsehaut, wenn er beschreibt, dass man die Leuchtspurgeschosse auf sich zukommen sehen, aber ihnen nicht mehr ausweichen kann.Tief gestörte LebewesenÜberhaupt lässt er uns am extremen Adrenalinpegel der von ihm begleiteten Soldaten ebenso teilhaben wie an ihren absurden Alltäglichkeiten. In ein „Antiparadies“ führt er: „Hitze und Staub und Taranteln und Fliegen und keine Frauen und kein fließendes Wasser und nie warmes Essen und nichts zu tun, als zu töten und zu warten.“ Ihm gelingt, der monotonen Pendelbewegung zwischen Extremspannung und Langeweile immer wieder neue Aspekte abzugewinnen, aber sie alle zeigen am Ende nur das eine: Wie gründlich diese jungen Männer, nein, nicht zu Monstern, wie manche das gerne hätten, sondern zu tief gestörten Lebewesen werden, arme Seelen, denen auch zu Hause, wenn ihnen denn überhaupt geholfen würde, nur schwer zu helfen ist. Ein großes Verdienst dieser Reportage ist, plausibel zu machen, wie aus Akteuren Abhängige werden, Gefechtssüchtige.Wenn denn das alles nur der humanitären Sache diente, deren Drecksarbeit wir sie machen lassen und wofür sie von den notorischen Bessermenschen obendrein noch verachtet werden. Aber es ist kaum von der Hand zu weisen, dass einzig Karsai Co. davon profitieren, die sich einen Dreck darum scheren, ob es ihren Landsleuten besser geht oder nicht. So erscheint am Ende selbst dann, wenn die Menschen vor Ort die Anwesenheit der Truppen einmal positiv erleben, weniger ihrem eigenen als mehr dem Wohl des Lumpengesindels an den Pfründen zu dienen.Die Angehörigen der Bundeswehr haben es zwar um einiges weniger hart als die Männer der 173rd Airborne Brigade, aber sie erfahren noch weniger offizielle Zuwendung als diese, dafür umso mehr bürokratische Restriktionen. Man ahnt es, wenn das Süddeutsche-Team von den Schwierigkeiten berichtet, die man ihm von oben machte, um an Briefe von „denen da hinten“ heranzukommen. Gleichwohl ist die vorliegende Sammlung von Briefen deutscher Soldaten aus Afghanistan rundum beeindruckend. Nicht wegen irgendwelcher Kampfszenen, die hier kaum eine Rolle spielen, sondern darin, wie stoisch diese Menschen ihre Arbeit tun; Hauptgefreite bis Oberstabsärzte, junge Frauen bis ältere Männer. Gerade weil es in den Briefen allermeist um schlichte Alltäglichkeiten geht, im Einsatz oder Lager, wecken sie viel Sympathie. „Wenn die Nadelstreifen-Deppen der Bayern LB 30 Milliarden verzocken“, schreibt der eine, „springt der Staat sofort ein. Wenn die Reichenhaller Jäger in den Krieg ziehen, muß es kostenneutral bleiben.“ Oder man tröstet sich „mit nachmittäglichen Auswanderer-Doku-Soaps“ darüber hinweg, dass „es offenbar viele Menschen gibt, die noch geistesschlichter sind als man selbst.“Weniger erfreut sie, dass „die Italiener und die meisten anderen westlichen Nationen“ mehr Sold bekommen, so dass die immer schon die Bierpaletten aus dem PX abgekarrt haben, ehe die Deutschen zum Zug kommen. „Ich habe Euch zu Weihnachten etwas eingepackt! Mama, Du kriegst die Bernsteinkette, beste afghanische Qualität! Melli, Du den Lapislazuli-Stein. Hat keine magische Wirkung oder so. Magische Wirkung haben hier die Panzerabwehrminen, wenn Du verstehst, was ich meine.“ Wer dies in all’ der Lakonie und Knappheit liest, wird besser verstehen, was sie meinen. Und obwohl sich wie ein roter Faden das Gefühl hindurchzieht, zwar nicht von Familien und Freunden, aber von Deutschland, Staat wie Gesellschaft, alleingelassen zu werden, könnte die Bundeswehr sich kaum eine bessere PR wünschen als eben diese Zeugnisse nüchterner Dienstbereitschaft trotz allem.Gefährliche SchnellkochtöpfeUnd nun auch im Roman … Dirk Kurbjuweit, Spiegel-Reporter, Kisch-Preisträger, seit ein paar Jahren auch Roman-Autor, zuletzt 2008 von Nicht die ganze Wahrheit, der in der Bundesberliner Parteienszenerie spielte, hat sich nun auch der Bundeswehr in Afghanistan angenommen. Und wie! Problem- und themengeballter als zehn Tatort-Folgen zusammen. Der Umschlag lässt zunächst Schauriges ahnen. Als hätte die Brautprinzessin eben mal ihre Burka an den Haken gehängt, um sich als Lillifee davonzumachen. Aber das denn doch nicht. Die Kriegsbraut bleibt ungetraut. So oder so. Zwar hat das Ganze etwas balzacartig Bemühtes, alle denkbaren Kästchen im Feld irgend möglicher Konstellationen auszumalen – Männlein/Weiblein jedweden Geschlechts, aller Neigungen und Soziallagen, Ost/West als Orient und Occident, aber auch bloß Ost- und Westdeutschland, Berlin und Mecklenburg, Front und Etappe, Romanrealismus und Medienillusionismus, Glauben und Unglauben, und mindestens noch Krieg und Frieden.Und doch: Das lässt sich lesen. Ja, es beeindruckt. Denn obwohl hin und wieder die Scharniere quietschen, lebt der Roman insgesamt von der Komplexität und den Ambivalenzen seiner zentralen Figuren, Orte und Situationen. Die Informationsdetails und generellen Themen, die man als halbwegs Interessierter in den letzten Jahren nach und nach über die Medien aufgenommen hat, fallen so atemberaubend dicht als Kaskade auf einen herab, dass man das bald schon aus Notwehr für die wirklichere Wirklichkeit zu halten geneigt ist. Zumal der Filmidiot, dessen Geliebte Esther anfangs ist, so karikaturhaft dämlich daherkommt, dass es für ihn wohl ein Vorbild im wirklichen Leben geben wird. Also Esther. Sie kommt von Rügen nach Berlin, wirft ihr Handy weg und fängt ein neues Leben hinter der Theke an. Dort lernt sie diesen Filmfuzzi Thilo kennen, der Kinder und eine tolerante Frau hat. Aber dann sagt er, wie es ist – also das Falsche. Sie geht zum Arbeitsamt, sieht ein Plakat der Bundeswehr und meldet sich freiwillig.Der Ostvater ist entsetzt, sie bald in Kunduz. Dort lernt sie, wie gefährlich Schnellkochtöpfe oder die gelben Palmölkanister sind, wenn sie am Wegrand stehen. Sie teilt sich das Zimmer mit zwei anderen Soldatinnen, Ina, auch aus dem Osten, die auf Blümchen- oder Nasensex steht, gleichwohl eine Tochter hat, und Maxi, breitärschige Kampfmittelbeseitigerin und offenbar eher dem eigenen Geschlecht zugetan, was die zartfühlenden Männer mit dem Begriff „Kampfzwitter“ belegen. Maxi schleppt eines Tages eine Burka an, bestickt sie und zieht sie einer Schaufensterpuppe über. Und damit ist das Team um Fatima erweitert, als die sich Maxi schließlich ins nicht existierende Jenseits befördern wird. Esther lernt einen Schulleiter kennen, mit dem sie Russisch sprechen kann.Eigentlich geht es darum, den Unterricht auch für Mädchen sicherzustellen. Doch die regelmäßigen Patrouillenfahrten zu Mehsud werden unter der Hand Liebesfahrten mit überwiegendem Gesprächsanteil. Esther hat Gewissensbisse und Ängste – als „Verräterin, Kriegsbraut, Kriegshure“ oder „Talibanliebchen, Talibanhure, Terrorbraut“ sieht sie sich schon. Die Bild-Zeitung fest im Kopf. Dann geschieht ein unheilvoller Zwischenfall, bei dem eine Frau und zwei Kinder sterben. Die Maschinerie aus Schuldermittlung und Informationszurichtung läuft an. Esther: Opfer, Täterin, Opfer. Gemessen aber an der Seichteierei, die sie zwischendurch in der Heimat unter Thilos so liberalen Leuten erlebt – Remarque lässt grüßen – ist das alles, Kriegsgrauen und Bürokratie, geradezu kameradschaftlich vertraut. Das Ende lassen wir offen.Intellektueller Höhepunkt der Gespräche von Esther mit Mehsud ist das eingebettete Weistum: „Solange es Afghanistan gibt, ist niemand unschuldig.“ Doch aus der übererfüllenden Konstruktion mit solcherlei Botschaft – und das ist die beeindruckende Leistung dieses Romans – entsteht durch die geduldige, einfühlsame, detailreiche und darin suggestiv realistische Darstellung eine meist atemberaubend dichte Atmosphäre, die Ahnung einer unauflöslichen Komplexität unserer historischen wie alltäglichen Verhältnisse, die der Kritiker am Ende auf sein eigenes eingebettetes Weistum bringt: Afghanistan ist nicht nur dort … – Das ist zwar nicht Kurjuweits bester Roman, aber der beste Roman, den wir derzeit über unseren Krieg in Afghanistan haben. Immerhin.
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