Ernst Jünger und Carl Schmitt - das klingt nach Max und Moritz im 20. Jahrhundert. Obwohl richtige Bösewichte, um populär zu werden, nicht allzu lange leben sollten, haben die beiden sich erfolgreich Mühe gegeben, möglichst alt zu werden. Als Schmitt 1985 starb, fehlten ihm am Jahrhundert die zwei, drei Jahre, die Ernst Jünger es darüber schaffte, ehe auch er 1998 demobilisiert wurde.
Wer sich aus ihrem 900 Seiten starken Briefwechsel ein Füllhorn von Fiesigkeit und Tücke erhofft, wird arg enttäuscht. Ungefähr die Hälfte davon ist ohnehin Kommentar. Und die andere besteht mehr aus Formeln der Höflichkeit und wechselseitigen Aufmerksam- und Artigkeiten als aus Verabredungen zu Helden- oder Enthüllung von Straftaten. Ohne Zweifel erkannten sie die Lage und rechneten mit den Beständen. Jünger rechnete mit seinen schmalen Beständen - so scheint ihm gleich zweimal bemerkenswert, dass Gottfried Benn als Hautarzt an Ekzemen litt - und Schmitt erkannte die Lage, vor allem die Tonlage: Er parodierte gekonnt den Benn-Ton und erklärte Benn zum pietistischen "Selbsttätowierer". Just 1951, als Ray Bradburys The Illustrated Man erschien. Er las geradezu süchtig Kafka und höhnte über die zeitgenössischen Kafkaleser, während Jünger Henry Miller bevorzugt, eher im tellurischen Maßstab herumstrategiert und gewissermaßen der Erdgeschichte Ratschläge erteilt. Er sieht beider Gemeinsamkeit im "theoretischen Interesse an höheren Machtfragen" und darin, "dass sich zu unseren Lebzeiten eine nicht immer erfreuliche Literatur um uns ausbreitet". Zwar hat Jünger zuvor auch derber skizzieren können. Den Nazi-Philosophen Alfred Baeumler nennt er "Magister Holzkopf" und "Bachofen-Schwulität". Aber insgesamt wird er immer selbstbezüglicher und selbstzufriedener.
Der andere hat schon immer kräftiger instrumentiert: "Eine originelle Mischung von Regierungsrat und Bohème, deutschem Vater und italienischer Mutter, Heidegger-Schüler und Leviathan-Schwanz-Verzierer, erschien neulich bei mir", berichtet Schmitt beispielsweise vom Besuch Egon Viettas, dessen Namen der Kommentar allerdings uns vorenthält. Schmitt wird immer giftpilziger und eifersüchtiger gegen alles, was da konkurrieren könnte - Heidegger wie Niekisch, Benn wie Jünger. Wie sehr er selbst den Briefpartner haßte, vertraute er - wie auch seinen weiterhin vehementen Antisemitismus - zwar nur dem Tagebuch an, aber die Briefe indizieren in ihrer zunehmenden Distanziertheit das sich ändernde Urteil und bleibende Vorurteil. So sehr Schmitt im Briefwechsel zwar nicht als der fleißigere Schreiber, aber als der lebendigere Kopf erscheint, so deutlich wird, dass Jünger sich weder seinem Bekenntnis zu den Nazis anbequemte, noch den Antisemitismus teilte, ja, Schmitt sogar während des ÂDritten Reiches' gelegentlich mahnte. 1950 erinnert Jünger daran, dass Schmitt, wäre er seinem Beispiel gefolgt, würde "vielleicht nicht mehr am Leben sein, aber berechtigt zum Urteil in letzter Instanz über mich. Wäre ich damals Ihrem Rat und Beispiel gefolgt, so würde ich heute gewiss nicht mehr am Leben sein." Das hat Schmitt ihm nicht verziehen, wie er ihm die erfolgreiche Rückkehr in die Öffentlichkeit missgönnte, während er selbst vom Sauerland aus seine Fäden im Verborgenen ziehen musste. Der Briefwechsel ist in der geübten Kälte und Ungerührtheit nach außen als auch in der geradezu autistischen Selbstbeschäftigung und narzisstischen Kränkungsbereitschaft monströs - wie er immer wieder auch überraschende, blitzartig erhellende, komische bis rührende Momente enthält.
Es ist unfreiwillig komisch, wenn Jünger beschreibt, wie er auf einem Rochen zu stehen kam und von dem heftig gestochen wurde; rührend ist es, Sterben und Tod von "Frau Schmitt" wie sie stets adressiert wurde, zu lesen. Es ist bemerkenswert, wenn Jünger bedauert, "dass wir nie eine nennenswerte Linke gehabt haben". Und: "Uns hat ein Trotzki gefehlt." Es ist merkwürdig, wenn Jünger spekuliert: "Der Fascismus ist im Grunde wiederhergestellte Demokratie und muss daher ganz ähnlich scheitern wie vor ihm die wiederhergestellte Monarchie." Es verschlägt einem den Atem, wenn Jünger in kurzem Abstand bemerkt, dass die Technik offenbar der Schrift seines Bruder über ÂPerfektion der Technik' nicht günstig sei, weil die Exemplare vor Auslieferung beim Bombenangriff verbrannten, und dass die jüdische Moral "durch die Exterminierung der Juden, an die sie gebunden war, nun frei und virulent geworden ist".
Am schwersten zu begreifen ist, wie sie immer wieder im kosmischen Maßstab drauflos schwadronieren, Schemata von Weltaltern entwerfen, sich bedeutsame Zahlenmagien und Vokal-Spekulationen, Geschichtsspiralen, animistische Deutungen, private Mythologien, okkulte, mantische und immer wieder manichäische Konstrukte als Kassiber heimlich Wissender zuschieben, um die Nachfolge von Oswald Spengler konkurrierend. Zwei distelköpfende Knaben, die sich auch im hohen Alter noch darum balgen, wer von ihnen der bessere Prometheus sei. Doch eben dies, das ewig Adoleszente, dürfte das Movens Ihrer Produktivität wie ihrer anhaltenden, ja gesteigerten Faszination sein. Sie sind über Strecken furchtbar banal und einfach schrecklich, sie reden gelegentlich Blech und öfters Schwurbel, aber dadurch, dass sie mit bemühter Ungerührtheit, unkonventionellen Kategorien und traverser Argumentation vorgehen, kommen sie immer wieder zu Beobachtungen und Deutungen, von denen die Konventionen der Allgerechtsamen und die Hegemonie der Moral-Routiniers gestört und herausgefordert werden. Allein schon die Stacheln und Nadeln in diesem Briefwechsel vom reichlich gedroschenen Stroh zu trennen, ist darum Augengymnastik für Neugierige und Beweglichkeitstraining für Selbstdenker.
Ernst Jünger u. Carl Schmitt: Briefwechsel 1930 - 1983. Hg., kommentiert u. m. einem Nachwort versehen von Helmut Kiesel, Stuttgart: Klett-Cotta 1999, 894 Seiten, 78,- DM
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