Hochwild

Linksbündig Germanisten und Nazis

Nun scheinen auch die Germanisten in die Liga von Deutscher Bank, Volkswagen oder Bertelsmann aufgestiegen: Sie haben sich ziemlich umfassend ihrer Vergangenheit gestellt - im demnächst erscheinenden Internationalen Germanistenlexikon 1800 bis 1950. Vorab hat der Spiegel sich die anscheinende Mitgliedschaft dreier prominenter Altbundesdeutscher in der NSDAP herausgepickt, die des jüngst verstorbenen Walter Höllerer, von Peter Wapnewski und Walter Jens. In eine Bildreihe mit älteren, in der NS-Zeit aktiven Kollegen gestellt, mit einem Rundumschlag über die verstrickte Germanistik verbunden, einmal mehr auf den Fall Schneider/Schwerte zugespitzt und alles reflexhaft mit Hitler in Weimar vor Goethe und der Bücherverbrennung illustriert. Drei bisherige Honoratioren, deren Unterschrift im Alter um die 18 auf Mitgliedschaftsanträgen der NSDAP ausreicht, sie mit bücherverbrennender Goebbels-Germanistik, völkisch-rassistischen Anbiedermeiern und Leuten, die für das SS-Ahnenerbe tätig waren, suggestiv zu vermengen.

Ob das nun aus Anpassung oder zum Selbstschutz geschehen ist: Von keinem der drei ist das Geringste bekannt, was sie der NS-Sympathie verdächtig machte. Vor 1945 nicht - und danach schon gar nicht. Nun müssen die drei für eine offenbar größere Anzahl von Kolleginnen und Kollegen mit dem nämlichen Makel herhalten, die sich nicht ebenso um Fach und Gesellschaft verdient gemacht haben, im Schatten der renommierteren Kollegen aber unbehelligt bleiben. Die schrotflintige Attacke auf das germanistische Hochwild hat in den Feuilletons insgesamt eher zurückhaltende Kommentare ausgelöst. Man hat zum Beispiel die zitierte Bemerkung des Lexikon-Herausgebers, bisher habe Unkenntnis der gehäuften Parteimitgliedschaften von Germanisten das "Gesamtbild verfälscht", zurückgewiesen. Seit Carl Otto Conrady und Eberhard Lämmerts Bemühungen vor nahezu vierzig Jahren weiß man wahrlich um die völkischen, nationalistischen und eben auch nationalsozialistischen Neigungen im Fach!

Etwas grundsätzlicher: Wenn man seitens des Lexikons doch ein zeitgeschichtliches Gutachten in Auftrag gab, wenn man mit den Betroffenen lange vorher entsprechende Formeln abgestimmt hat, warum dann nicht, was des Fachs ist, nämlich eine eingehende Reflexion des gesamten Phänomens? Warum statt dessen das personalisierende Spektakel? Offenbar hat der Stolz des Kärrners aufs fertige Produkt sich für sein Schwarzbrot etwas vom süßen Kuchen Aufmerksamkeit gewünscht. Der Spiegel hat es ihm verschafft, indem er tat, was er tut: spektakulär spiegeln. Dass dabei die Proportionen verrutschten, je nun. Der Schwall Aufmerksamkeit hat sich ergossen; Christoph König, der anscheinend nun etwas kaltfüßige Herausgeber, schreibt einen korrigierenden, differenzierenden Leserbrief hinterher. Wer wird sich nächste Woche noch so genau erinnern, wer in dem Falle der Besen war? Welcher Opportunismus ist größer, als Jüngling einer diktatorischen Partei beigetreten zu sein oder als reifer Forscher den Verlockungen des Medienspektakels nicht widerstehen zu können?

Die Betroffenen, Jens und Wapnewski, jedoch haben ihrerseits arg enttäuscht. Vom Lexikon längst informiert, wussten sie ja, was auf sie zu kommen würde. Warum fiel dem moraltrompetenden Vollmund Jens, dem doch sonst zu allem Empörlichen etwas einfällt, in eigener Sache nichts ein, als just nach einem "Obergutachter" zu rufen? Warum äußert sich der eloquente Weltweise Wapnewski, der noch unlängst in der FAZ späte Donnerworte zu den Bomben auf Berlin fand, sich nun in der Zeit so gewunden, kokettierend zwischen Erinnern und Nichterinnern? Offenbar, weil sie beide sich selbst so denkmalswürdig, so singuläre, lebende Kulturgüter geworden sind, dass das Symptomatische oder Exemplarische, was sie an anderem stets trefflich sahen, beim eigenen Verhalten - dem damals wie dem heute - ihnen gar nicht mehr in den Sinn kommt.

Jedenfalls gibt der Vorgang ein deprimierendes Bild der vielbeschworenen Erinnerungskultur: Auf der einen Seite Marktopportunismus im Bigotteriebusiness. Auf der anderen eine marmorierte Prominenz, die sich für unantastbares Kulturerbe zu halten scheint. Wie wenig unterschieden wirkt das vom verpönten Verhalten der politischen Kaste - den hinterrücks medienölenden Ministerialen hier und den verbronzten Kohls oder Scharpings da. Was lehrt uns das? Dass Germanisten in einem ihrer Gesellschaft ähnlichen System handeln? Dass ohnehin alles, wie der Jubilar des Jahres sagte, mit Ähnlichkeit geschlagen ist? Oder, dass es um so mehr auf das Dazwischen ankommt?


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