Wenn der Spiegel den neuen Trend zum Kind ausruft, kann der Tagesspiegel nicht zurückstehen - und meldet alsbald Vollzug in Gestalt von Büchern. Schön arbeitsteilig. Die Redakteurin für Bildung und laut Klappentext Besitzerin eines Sohnes, Dorothee Nolte, beschreibt Wie eine Mutter entsteht, die Geschichte einer Verwandlung, die selbst ein entschiedener Nicht-mehr-Jungmensch jenseits aller Reproduktionsgelüste lesend goutieren kann, weil mit gelindem Selbstspott und einfach originell geschrieben. Der leitende Redakteur Harald Martenstein hingegen wird Vater, indem er mit seinem Sohn das tut, was er sonst mit den Zeitungskäufern macht, die Welt erklären. Wachsen Ananas auf Bäumen? Unter dem Titel finden sich Beiträge zu Stichworten wie Computer, DDR, Fußball, Gene, Gott, Journalismus, Männer, Pornographie, Türken, Weihnachten und ... Der Pfiff daran ist, dass es sich um beste Feuilletons im klassischen Sinne handelt, kleine, vertrackte, umwegige und dabei erhellende Geschichten. So wenn die Zukunft am einzigen Autokino der DDR und einem litauischen Theater erklärt wird, von dessen Balkon Goebbels ehedem den Anschluss des Memellandes verkündete. Derart sorgt der Tagesspiegel löblich für Lesernachwuchs. Nun lassen sich richtige Jungs vielleicht gern etwas erzählen, gewiß noch lieber etwas vormachen, aber Lesen gehört nicht unbedingt zum Kern des "echten Kerls". Echte Kerle. Unter dem Titel erklärt Tim Rohrmann Jungen und ihre Helden. Das reicht vom tapferen Schneiderlein bis Bart Simpson, von Parzival bis Star Wars. Wobei, man staune, Väter und Lehrer eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Das Buch rechnet in seinen Häppchen und Wiederholungen zwar offenbar mehr mit der "attention span" von Fernsehkids denn mit der von erwachsenen Lesern, ist aber gleichwohl ein gutes Beispiel, wie man ein Thema, nämlich Machismo und Gewalterziehung, das andernorts gern durch Moralin versäuert wird, so aufzubereiten vermag, dass es selbst für jüngere Leser glaubwürdig wirkt. Denn das scheint mir der Clou an diesem Buch: Man sollte, falls man sich in Belagerung durch Pubertierende befindet, sei es als Eltern, sei es als Lehrer, selbst lesen, kann es aber auch ruhig Jugendlichen an die Hand geben, ohne von ihnen dafür Verachtung befürchten zu müssen. Vor allem vermiest es einem nicht bloß den Spaß an Heldengeschichten. Einer der vorzüglichsten Heldenhimmel auf Erden, bekanntlich von der Hölle nicht so recht zu scheiden, ist immer noch das "ewige Eis". Kälte, Wahnsinn, Tod. Kein Schlittenhund möchte so leben. Duell im ewigen Eis. Unter dem Titel berichtet Rainer K. Langner von einem der letzten Entdeckungsabenteuer, bevor man dazu die Erde verlassen musste. Scott und Amundsens Wettlauf zum Südpol. Solche Themen verdienen immer mal wieder ein Update. Langners Buch ist ein knapper, gleichwohl dichter Rapport, der gerade durch seine Sachlichkeit zu packen versteht. Sachlichkeit, Kälte, Jungs ...
Wilde Tropenglut, kochendes Blut, gepeitschte Wellen. Auch da ist der echte Kerl gern unterwegs, vorzüglich, wenn er lesend davon träumen kann. Piraten. Von denen ja manche sagen, sie seien als erneuerte Existenzform von höchster Aktualität. David Cordinglys Buch über die Geschichte der Piraterie, das natürlich im Titel Unter schwarzer Flagge segelt, bleibt bis auf den Schluss strikt historisch, weiß aber kundig zu informieren und dabei artig zu unterhalten. Und selbst für die Seite im Jungen, die gerne Zahlen sammelt und Listen macht, ist im Anhang mit Aufzählungen zu Piratenprozessen und Hinrichtungen und dergleichen umsichtig gesorgt. Ein Schelm, der das nicht lesen mag. Wer nicht liest, hieß es früher, greift zu Comics. Wer zu Comics greift, ist fürs Lesen verdorben. In Wirklichkeit war das natürlich nie so. Wir danken ja nicht nur Frau Dr. Erika Fuchs einen Gutteil unserer Bildung via Entenhausen, von den belehrsamen Mosaik-Knaben gar nicht zu reden, sondern wissen natürlich, dass Comic-Lesen eine höchst komplexe Kulturtechnik ist, die längst ihre eigene Wissenschaft und Geschichte hat. Wer sich schon immer mal für die Geschichte der Kunst, die Bilder für den ganzen Kerl im Mägdelein wie für das Kuscheltier im Manne sprechen zu lehren, interessieren wollte, ist mit Andreas Platthausens Im Comic vereint bestens bedient. Exemplarisch in Stationen - von Krazy Kat über Prinz Eisenherz, Kinder Kids wie Donald D. und Tim und Struppi, Captain America oder Art Spiegelmans Maus bis zu Calvin und Hobbes - schildert er die Geschichte der Bildgeschichte. Nur mit der Bebilderung der Geschichte sieht es mager aus. Aber was ein richtiger Junge ist ...
Dorothee Nolte: Wie eine Mutter entsteht. Geschichten einer Verwandlung, dtv 20442, München 2001, 16, 50 DM
Harald Martenstein: Wachsen Ananas auf Bäumen? Wie ich meinem Kind die Welt erkläre, Hoffmann , Hamburg 2001, 24, 00 DM
Tim Rohrmann: Echte Kerle. Jungen und ihre Helden Rororo 60947, Reinbek bei Hamburg 2001, 17, 41 DM
Rainer K. Langner: Duell im ewigen Eis. Scott und Amundsen oder die Eroberung des Südpols, Fischer Tb. 14908, Frankfurt am Main 2001, 16, 90 DM
David Cordingly: Unter schwarzer Flagge. Legende und Wirklichkeit des Piratenlebens, dtv30817, München 2001, 22, 50 DM
Andreas Platthaus: Im Comic vereint - Eine Geschichte der Bildgeschichte Insel Tb. 2724, Frankfurt am Main 2001, 22, 90 DM
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