Ein Militärorchester im Indonesien der 1950er Jahre
Foto: Three Lions/Getty Images
Was fiel einem bis dato zum Gastland der Frankfurter Buchmesse Indonesien ein? Raubbau am Regenwald, Terror in Osttimor, aufmüpfige Molukken, und – schon ziemlich weit zurück, nämlich 1993: 39 dorthin verkaufte Landungsschiffe und Jagdkorvetten der Nationalen Volksarmee. Zur Buchmesse fallen einem nun Bücher ein – und ins Haus. Da nutzen wir die Vorauswahl der ersten Stunde, um uns ein bisschen in Indonesiens Geschichte umzusehen.
Heute ist Indonesien, bestehend aus 15.000 bis 17.000 Inseln, keiner weiß es exakt, das vierte unter den bevölkerungsreichsten Ländern der Erde, gehört zu den zwanzig wichtigsten Industrieländern und ist eins der rohstoffreichsten überhaupt. Allermeist ist Rohstoffreichtum Garant für versagende sta
agende staatliche Strukturen. Hier nicht. Trotz der auch hier zunehmenden islamistischen Radikalisierung und trotz unabhängigkeitsbewegter Kämpfe gilt Indonesien als relativ gefestigte Demokratie. Was aufgrund seiner Geschichte so nicht unbedingt vorherzusehen war.Fritz Schulze hat diese Geschichte in ebenso kompakter wie kompetenter Weise rekonstruiert: Nachdem jahrhundertelang, weit vor unserer Zeitrechnung, die verschiedensten Kulturen dort untereinander in weitreichenden Handelsbeziehungen gestanden hatten, bildeten sich buddhistische Reiche auf Java und Sumatra, später hinduistische Königtümer heraus, von denen Majapahit fast das gesamte Gebiet des heutigen Staates Indonesien umfasste. Seit dem zwölften Jahrhundert drang der Islam vor, zunächst weitgehend händlerisch friedlich, bis islamische Königreiche den Hinduismus zurückdrängten, der letztlich nur auf Bali überlebte. Im 16. Jahrhundert kamen die Portugiesen und Holländer, wobei, getragen von der knallhart aktienkapitalistischen Vereinigten Ostindischen Compagnie (VOC), die Holländer erst die Portugiesen raus- und dann die Völker Indonesiens unterwarfen. Niederländisch-Indien hatte die zweifelhafte Ehre, eins der langandauerndsten und brutalsten Kolonialreiche gewesen zu sein. Die Holländer hielten sich die Indigenen als Haussklaven, aber ansonsten – zumindest politisch – vom Leib. Sie verhinderten geradezu systematisch die Europäisierung einer einheimischen Elite. Aufstände, zunächst lokaler Fürsten, dann zunehmend von Nationalisten, Kommunisten und Islamanhängern, wurden brutal, in Massakern niedergeschlagen. Erst die Japaner warfen die Niederländer militärisch nieder, um 1945 selbst von den Alliierten besiegt zu werden.In jenem Teil des 20. Jahrhunderts, bis zum Untergang der holländischen Herrschaft, spielt der Roman Das indonesische Geheimnis der in den Niederlanden bekannten und erfolgreichen Hella S. Haasse. Die 1918 in Batavia geborene Autorin greift darin auf Autobiografisches zurück, indem sie eine Kunsthistorikerin die Anfrage eines Journalisten zum Anlass nehmen lässt, sich Stück für Stück einer Freundin aus Kindheit und Jugend vor dem Ersten Weltkrieg und bis zum Zweiten zu erinnern.In einem mild-behutsamen Berichtton passiert jene Zeit Revue, die geprägt war von „einschneidenden, stürmischen Entwicklungen unter dem Deckmantel einer scheinbaren Ordnung“. Sie schildert das sanftmütige Verhältnis der Hausherrin zu ihrem sanftmütigen Personal, jähe, ebenso unheimliche wie angeblich unerklärliche Grausamkeiten, wie etwa ein abgetrennter, aber noch auf dem Rumpf sitzender Damenkopf. Sie erinnert sich an einheimische Mädchen, die schon aufs Gymnasium durften, konfrontiert zunehmend ihre eigenen Erinnerungen mit nachträglich verbrieftem Wissen – und liefert so in langsam gesteigerten Dosen einen Lehrgang für ihre hinsichtlich der eigenen dunklen Vergangenheiten nicht sonderlich geschichtswilligen Landsleute, der bis in die 70er Jahre reicht. Hierzulande wird man das 2002 im Original erschienene Buch vor allem als eine vermeintlich schlichte, tatsächlich kunstvoll arrangierte Erinnerungsgeschichte lesen, an deren Ende sich zwar die Truhe mit den Dokumenten als leer, das Buch selbst aber als ungemein reich an Details wie Schicksalen erweisen wird.Stürmische EntwicklungenIndonesien verdankt seinen Namen übrigens dem deutschen Adolf Bastian, einem Ethnologen. Bevor man sie als Javaanse Jongens und Sumatra Cum Laude in Rauch aufgehen lassen durfte, waren es die mythischen Inselnamen Indonesiens, die die Kindheit exotisch illuminierten: Borneo, Java, Sulawesi, Sumatra – und Bali. Bali war in dem Fall keine Abkürzung für Bahnhofslichtspiele, auch wenn es in denen meist recht abenteuerlich oder vollerotisch zuging. Vollerotisch geht es jedenfalls im ersten Roman des bestsellernden Ethnologen Nigel Barley zu. Bali. Das letzte Paradies erzählt von etwa derselben, von der Zwischenkriegszeit, semidokumentarisch vom deutschen Walter Spies, einem abenteuerlichen Multitalent, 1895 geboren, als Aussteiger nach Bali gekommen, wo er 1942 elend starb, weil die Holländer ihn als Deutschen per Schiff deportierten, das die mit den Deutschen verbandelten Japaner versenkten. Es erzählt der holländische Maler Rudolf Bonnet, der alsbald mit Spies das Bett und vor allem die kichernden, kuschelnden Jungs teilt, von denen man nicht so recht weiß, ob es noch Kinder oder schon Männer sind. Als wäre das nicht schon genug an Verwirrung, kommen ständig westliche Besucher dazu, mit ihren eigenen teils konventionellen, teils unkonventionellen Sex- und anderen Wünschen.General SuhartoHistorisch verbürgt sind Charly Chaplin und sein Bruder, die Fliegerin Elly Beinhorn, das Ethnologenpaar Margaret Mead und Gregory Bateson. Hier kann Barley, der inzwischen selbst meistens in Indonesien lebt, seinem Affen Ethnologen-Spott und -Ironie kräftig Zucker geben. Das ist ungemein witzig, bildet aber dann doch eher das Unterfutter für die Schilderung der sich verdüsternden Zeitläufte, der rabiat-brutalen Vorgehensweisen der Holländer, das Hereinspielen der europäischen Krisen, schließlich den Einbruch des Kriegs auch hier.Nach der Befreiung von den Japanern hatte 1945 Sukarno die Republik Indonesien ausgerufen, gegen die die Holländer zunächst noch bewährt brutal zu Felde zu ziehen suchten, aber nur erreichten, dass das zuvor kaum vorhandene Nationalgefühl sich stärkte. Sukarno, der das Land gegen diverse Versuche der Abspaltung und Entsäkularisierung eisern durch ein System führte, das man euphemisch „gelenkte Demokratie“ nannte, und der es zwischen den Machtblöcken des Kalten Kriegs lavierend lenkte, wurde 1965 durch rechte Militärs weggeputscht. Nach einem Massaker an Hunderttausenden als Kommunisten Verdächtigten und Angehörigen der erfolgreichen chinesischen Minderheit beherrschte der ehemalige General Suharto das Land mehr als drei Jahrzehnte. Letztlich führte erst die asiatische Wirtschaftskrise der 90er Jahre dazu, dass seine Diktatur durch einen zunehmenden Demokratisierungsprozess abgelöst wurde.Alle Farben Rot, der 2012 in Indonesien erschienene Roman von Laksmi Pamuntjak, einer renommierten indonesischen Journalistin und Lyrikerin, führt auf nahezu 700 Seiten aus der Gegenwart des Jahres 2006 zurück in das Jahr 1965, in die Zeit der Massaker an der Linken und der anschließenden Diskriminierung, zurück zu Straflagern, Zwangsarbeit, Folter – und der Spaltung der Gesellschaft wie der Nation. In sieben Büchern, mit unterschiedlichen Erzählstimmen und – formen, in mehrfachen Schichten, gleichwohl aber stets transparent, erzählt sie anhand einzelner, mitreißender Schicksale diesen Exzess der Gewalt und seine tiefgreifenden, noch immer nachwirkenden Folgen, die nationalen wie individuellen Traumatisierungen. Es ist zugleich eine schmerzliche Liebesgeschichte, eine private, die zur politischen wurde, und eine der Autorin mit ihrem Land. Der Reichtum dieses Romans kann hier nur behauptet, nicht belegt werden. Aber wenn man die jüngste Vergangenheit Indonesiens in ihrer Vielschichtigkeit erfassen und zugleich eine ganz eigene literarische Stimme vernehmen möchte, dann gelänge das hier!Placeholder infobox-1
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