Ruhm, Jubel und Beistand

TASCHENBÜCHER Clever bluffen

Letzthin gab es immer mal Gelegenheit, uns über den Schwarm an Unsinnsbüchern zu mokieren, den die Verlage zur Auslastung ihrer Druckkapazitäten mangels einschlägiger elektronischer Textprozessoren noch durch Menschen produzieren lassen, die diese Gnade wiederum dadurch danken, daß sie ihre intellektuelle Klarheit und stilistische Prägnanz den Gebrauchsanweisungen taiwanesischer Unterhaltungselektronik entnehmen. Das Ergebnis heißt dann Ratgeber- oder Geschenkbuch. Nun gibt es ja immer Gelegenheiten, Bücher zu schenken. Ostern, das sich in den Supermärkten schon angekündigt hat, ist zwar nicht so einschlägig, aber, der Tradition der Statistik vertrauend, sollen in den Monaten bis März doch überdurchschnittlich viele Geburtstage anstehen. Gründe genug, nicht mehr lange nach Gründen zu suchen, sondern Bücher anzuempfehlen. Eins noch vorab: Der durchschnittliche Hörer ist ja schon recht eigen, was die Akzeptanz geschenkter CDs angeht. Um so mehr pflegt selbst das gemeine Leserauge seine innere Nase über Buchgeschenktes zu rümpfen. Gemeinhin mit recht. Um so heikler für den bestallten Buchempfehler. Indes gibt es diesmal Rühmenswertes, ja, geradezu Andringliches. Wein zum Beispiel, aus dem man hervorragendes Lesegut gewinnen kann. In der sich langsam zu einer Kenner-Linie entwickelnden dtv-Reihe »Kleine Philosophie der Passionen» gibt es ein Bändchen über Wein, das schon deshalb zu loben ist, weil es dem den Panschogrigio- und Chardummay-Trinkern unbekannten deutschen Riesling die ihm gebührende Ehre erweist, auch sprachlich. Viele Weinschreiber meinen ja, dabei unbedingt in sprachliche Weinlaune verfallen zu müssen. Der Leser hat dann ständig die angestrengten Äderchen ihrer Heiterkeitsknollen vor der Nase. Thomas Karlauf ist da anders. Elegant, schlank und doch gehaltvoll ist sein Büchlein, das auch mit Genuß lesen kann, wer entsagen muß oder überm Biertrinken das Lesen nicht verlernt hat. Ruhm ihm! Daraus folgte zwanglos der Übergang zu Robert Gernhardt. Aber vorher müssen wir noch eine Serie anführen, deren Titel und Outfit Übelstes erwarten läßt und doch - die schönste Form des cleveren Bluffens - im Inneren angenehm überrascht. Clever bluffen heißen die Dinger, die in jede Hosentasche passen, aus der man sie dann jederzeit als mehr oder weniger angeknickertes Spontangeschenk herausschälen kann. Skifahren, Verführung, Marketing, Champagner und Astrologie gehören zu den bisherigen Themen. Wir (das heißt ich und mein Nachttisch) haben Golf, Internet und Philosophie getestet. Übers und im Internet meinen wir uns auszukennen. Das entsprechende Büchlein tut es mindestens ebenso und schneller. Von Golf verstanden wir vorher nichts, jetzt würden wir uns ein Pausengespräch bei der Vorstandssitzung von Daimler-Chrysler zutrauen. Und Philosophie? Ohne Geschichtsphilosphie und ohne Marx, ein wenig anglolastig, aber verblüffend frei von Oberbluff. »Es ist von großer Wichtigkeit, daß Sie Ihre Beiträge im richtigen Ton vorbringen. also langsam, gemessen und wohlüberlegt.« - wird einem augenzwinkernd geraten. Mündlich mag das ja gehen, man muß nur an einen Leuchtturmwärter, ein Lama oder Ernst Bloch (oder alle drei zusammen) denken. Doch wie geht das schriftlich? Wir warten mit Bangen auf das Bändchen zum Rezensieren. Hoffentlich kommt es zusammen mit Umschulung. (Nein, nicht selbst umschulen - andere umschulen. Ist ein toller Tip und gratis!). Sich auf Gernhardt umschulen, das wird nichts werden. Der ist kopierfest. Und so gütig! Kürzlich hat er sogar einer Jungmenschen-Postille ein grundweises Interview über HipHop-Reime gegeben (Intro, 61/1999). »Keine Sau will mehr rühmen; jedes noch so dumme Schwein will berühmt werden.« - wer so spricht, dem kann man vertrauen. Gernhardts Wege zum Ruhm führen auf verschlungenen Pfaden zum Trost, daß Lesen noch allemal die wenn zwar vielleicht nicht ruhmvollste, so doch von den Autoren am liebsten gesehene unter den künstlerischen Tätigkeiten ist. Außerdem kann man das Buch als poetologische Hinterstiege zu Gernhardts Künsten nehmen. Hintertreppen führen ja meist direkt in die Küche. Ruhm!

Goethe ist längst jubiläumsgestählt. Der wird auch an diesem Jahr keinen Schaden nehmen. Was indes macht der bescheidene Taschenbuchleser, der auch ein wenig an Goethes Leben teilhaben möchte, aber den Mahnmal- oder Euro-Effekt fürchtet, nämlich vor lauter veröffentlichter Meinung und volkstümlicher Erklärungsfürsorge nur noch ein blödes Rauschen im Kopf zu haben? Er greift, wie mein Nachttisch und ich, zu zwei Reclam-Bändchen. Das eine trägt den Titel Goethe gibt Auskunft. Darin hat Benedikt Jeßing aus Goethetexten einen wundersamen Lesepark zu Leben, Werk und Zeit angelegt, an den Karlheinz Schulz ein Zweckgebäude zur trockenen, aber warmen Unterbringung der Biographie in sechzehn Kammern angefügt hat. Goethe, erfahren wir etwa, »gestand wie andere ungern Irrtümer ein.» Das kann kein Irrtum sein. Und es ist gewiß kein Fehler, sich die beiden Bände zu kaufen. Gar kein Fehler ist auch, Günter Kunert zu lesen. Das keineswegs nur, damit man auf seinen siebzigsten Geburtstag am 6. März vorbereitet war. Nun hat Kunert ja doch verdammt viel geschrieben. Das macht es dem Novizen schwer. Hier hilft ein Bändchen Prosa, das schon im Titel höchsten Trost verspricht, den ein Melancholiker zu bieten hat: Immer wieder am Anfang. Von Volker Wehdeking kundig ausgewählt und erläutert, ist das Kunert zum Einstieg und zum Wiederanfreunden gleichermaßen.

Was gibt es ansonsten zu rühmen, was wir noch nicht abgeräumt haben? Zum einen ist da Rocket Boys, die, glaubt man der in diesem Falle besonders rührigen Presseabteilung (Deutsche Erstausgabe. Die Uraufführung des Films steht bevor!), ziemlich autobiographische Geschichte von - welch Name! - Homer H. Hickam über Jungs, die im ausgekratzten Kohlengebiet West Virginias der fünfziger Jahre sich an die Verarbeitung des Sputnik-Schocks machen, indem sie Raketen zu werkeln beginnen. Eine, wie könnte es anders sein, richtig amerikanische Optimismus- Lebensmut- und Erfolgsgeschichte. Aber so gut geschrieben, daß man einfach nicht damit aufhören kann. Schon wegen solch schöner Episoden wie der, in der den Knaben, die gerade eine Reihe von Raketenstarts zur Erkenntnis gebracht hat, daß es auch hier nicht unbedingt auf die Größe ankommt, aus dem Hinterfenster eines Autos ein rosa Damenhöschen winkt, worauf Quentin spontan die Strumpfhose erfindet. Da sind wir gerade angelangt. Und wenn wir damit fertig sein werden, was nicht mehr lange dauern kann, dann wartet schon ein wundersamer Roman, den wir aus einem der bisher leider ergebnislosen Versuche ihn endlich im Archiv der allgemeinen Lieblingslektüre zu etablieren, kennen, aber noch mal lesen wollen. Ein Roman, zu dem viel zu sagen wäre, zum Beispiel, daß er, seit er 1949 erstmals erschien, leider stets viel, viel zu wenig ... Also: Der blaue Kammerherr von Wolf von Niebelschütz. Ein »galanter Roman« aus einem fiktiven Jahr 1732, in dieser Ausgabe an die 800 Seiten, ebenso einfallsstark wie von großer Geisteszier. Er ist den Humorlosen beider Hemisphären gewidmet und endet mit der bescheidenen Bitte ums Paradies: »Dammi il paradiso« Ok, hier sind Bücher!

Thomas Karlauf: Kleine Philosophie der Passionen: Wein, dtv, München 1998, 14. 90 DM

clever bluffen: Golf, Fischer Tb., Frankfurt a.M. 1998, 9, 80 DM

clever bluffen: Internet, Fischer Tb., Frankfurt a.M. 1998, 9, 80 DM

clever bluffen: Philosophie, Fischer Tb., Frankfurt a.M. 1998, 9, 80 DM

Robert Gernhardt: Wege zum Ruhm. 13 Hilfestellungen für junge Künstler und 1 Warnung, Fischer Tb., Frankfurt a.M. 1999, 14, 90 DM

Goethe gibt Auskunft über sein Leben sein Werk seine Zeit, Reclam, Stuttgart 1999, 16 DM

Karlheinz Schulz: Goethe. Eine Biographie in 16 Kapiteln, Reclam, Stuttgart 1999, 22 DM

Günter Kunert: Immer wieder Anfang. Erzählungen und kleine Prosa, Reclam, Stuttgart 1999, 7 DM

Homer H. Hickam: Rocket Boys. Roman einer Jugend, dtv, München 1999, 28 DM

Wolf von Niebelschütz: Der blaue Kammerherr. Ein galanter Roman, dtv, München 1998, 29, 90 DM

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