Banken und Salons, Kirchen und Schauspiel, Dienstwohnungen und Geburtsstuben, Fensterplätze und Hinterstübchen - mit einem einzigartigen Personal. Ob nun Kleist hinter der katholischen Kirche seine ebenso kurzlebigen wie dauerbeschworenen Abendblätter herausgab oder Alexander von Humboldt von der Wiege in der Jägerstraße 22 an seinen Weg zum Orinoco antrat, E. T. A. Hoffmann unter Schmerzen für Vetters Eckfenster den Gendarmenmarkt ausspähte, Rahel Varnhagen in ihrem Salon Tee reichte, Prediger Schleiermacher im Kanonierhaus seine Dienstwohnung bezog, Heinrich Heine dort 1822 seine ersten Korrespondenz-Pirouetten drehte, oder Leopold von Ranke barmte, in der Jägerstraße 10 ausgerechnet bei Frau Schweinsberger Wohnung nehmen zu müssen, Kierkegaard auf die Wiederholung lauerte - das vorliegende Buch lässt die ungemeine Geistesdichte um Jägerstraße und Gendarmenmarkt mehr als nur ahnbar werden. Es bleibt nicht bei jener Zeit stehen, die mehr als für Poesie gut war, sondern mäandriert durch die Kulturgeschichte bis heute fort, auch wenn es zunehmend um profanere Institute ging, das Urania-Theater als volkstümliche Schaustelle naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, das erste "Gesinde-Vermiethungs-Kontor", Cürlis Institut für Kultur-Filme, die Fotoagentur von Graudenz, Felsensteins Oper, die Berliner Zeitung in ihren ersten Jahren, das Amt für Literatur und Verlagswesen oder schließlich die Geisteswissenschaftlichen Zentren, die sich mit diesem von ihnen bestrittenen Band eine mächtige Genealogie adoptiert, uns jedenfalls ein bildsames Vergnügen bereitet haben.
Wolfgang Kreher u. Ulrike Vedder (Hg.): Von der Jägerstraße zum Gendarmenmarkt. Eine Kulturgeschichte aus der Berliner Friedrichstadt, Gebr. Mann, Berlin 2007, 232 S., zahlr. Abb., 29,90 EUR
"Rumm rumm haut die Dampframme auf dem Alexanderplatz. Viele Menschen haben Zeit und gucken sich an, wie die Ramme haut", so finden wir´s in Döblins Roman vom Alexanderplatz. Aber bis es zum "Weltstadt"-Umbau Ende der Zwanziger kommt, ist es ein langer Weg, auf dem der Alex sich erst einmal hin und her schieben lassen muss. Gernot Jochheim hat diesen Weg geduldig beschrieben und trefflich illustriert, ein Weg mehrfach über Barrikaden. Er zeigt die dicke Berolina, das Grand Hotel, das Polizeipräsidium und den Markt, die neue Georgenkirche, ein Abnormitätentheater, den Verkehr auf allen Etagen und das Vereinshaus der Lehrer ebenso unter Hakenkreuz wie das zu Hertie "arisierte" Warenhaus Hermann Tietz. Vorher war Baustelle, und bald waren Trümmer. Danach wieder Baustelle, das "Komplexvorhaben" Weltstadtzentrum der DDR-Hauptstadt. Die Menschen werden dabei nicht vergessen, zumal die vom 4. November 1989. Auf sie folgte neuerlich große Planung, freilich eher ohne sie. Und erneuter Umbau - bisher ohne die hochfliegenden Ideen. Ein Buch, von dem aus sich nicht nur der gesamte Platz, sondern auch viel Berlin erschließt.
Gernot Jochheim: Der Berliner Alexanderplatz. Ch. Links, Berlin 2006, 208 S., 140 Abb., 29, 90 EUR
Im Gegensatz zu denen für Haushaltsgeräte ist das eine überaus klar und flugs lesbare Gebrauchsanweisung. Sie hat lediglich einen winzigen Mangel: Sie hilft nur gegen Ostberlin. Wer die U9 als bürgerlich und ihren Geruch mit Koriander bezeichnet, kann naturgemäß vom Westen nicht viel wissen. Ansonsten aber ist das Buch ziemlich patent, mithin das, woran der Berliner die Art Berliner erkennt, die er nicht sein will, jedoch allezeit darstellt, damit Nicht-Berliner ihn als Berliner identifizieren. Dass Jakob Hein ausführlich nur in die nach Osten erweiterte Mitte einführt, macht nichts, weil die Touristen sowieso dorthin wollen, und die Westberliner froh sind, wenn die Ostberliner abgehalten werden, rüberzumachen. (Ein paar Basisanweisungen gibt es aber schon!) Und was einen unbedingt mit dem frechelnden Büchlein versöhnt, sind die Bemerkungen zum Berliner Backwerk und dem weltstädtischen Sport!
Jakob Hein: Gebrauchsanweisung für Berlin. Piper, München/Zürich 2006, 154 S., 12,90 EUR
Dass Berlin ein Stück komprimierter Geschichte, ein offenes Buch der Jüngstzeit sei und dergleichen Floskeln mehr haben inzwischen die alten von der Stadt des Tempos und des Lichts abgelöst. Treffender sind sie kaum. Wo, bitte, sind hiesigenorts die "Zeitgeschichten ... so gestaut wie anderswo die Erdschichten" (L. Földényi)? Es sei denn, man rechnet auf Gedenkstätten und Museen. Was die literarischen Ungarn, eine besonders interessierte Spezies von Berlin-Besuchern, seit den siebziger Jahren mit Hilfe des DAAD darüber hinaus an Berlin beobachtet haben, sammelt eine Anthologie mit dem wunderbaren Wunsch im Titel: Berlin, meine Liebe. Schließen Sie bitte die Augen" Es haben sich schon andere an Berlins Verführung versucht. Erst Péter Esterházy entrüstete sie mit Charme. Von ihm gibt es einen ironischen Text über den "Ostwestdieb", der in Lesebücher gehörte. Es gibt überhaupt alle Sorten von Texten, erwartbare wie unerwartete, Dokumente und Gedichte, Verlautbarungen und Beobachtungen. Mindestens jeder zweite der "europäischen Bastarde" (L. Végel) ist lesenswert. Und auch das soll gesagt sein: "Berlin ist Berlin, das ganze, so wie es ist." Was noch mehr?
Berlin, meine Liebe. Schließen Sie bitte die Augen. Ungarische Autoren schreiben über Berlin., Matthes und Seitz, Berlin 2006, 252 S., 18,80 EUR
Der Berliner braucht ja kein Wetter, um ins Freie zu gehen. Dazu reicht ihm notfalls ein halbwegs grüner Platz, gern Park genannt. Davon gibt es massig in Berlin, das die notorisch nichtsahnenden Naturalisten als steinerne Stadt verkauft haben. Es gibt derart viele, dass sie längst nicht alle in diesem Bändchen verzeichnet sind. (Zwei verrate ich sowieso nicht.) Was darin steht, ist gut getroffen und kaum verzeichnet. Bei weitem sind das nicht nur die großen Grill- und Pinkelplätze wie der Tiergarten oder der kind-, hund- und altengerechte Volkspark Friedrichshain. Auch der Monbijou-Park, dessen Schönheit glücklicherweise weniger Menschen nutzen als aufgrund seiner Lage zu befürchten stünde. Schmuckstücke gibt es überall. Und dabei den Botanischen Garten nicht zu vergessen! Oder den Humboldthain. Oder den Britzer Garten. Den Brixplatz - und ... Also: lässt sich alles nachschlagen.
Katja Voss: Die Parks der Berliner. be.bra, Berlin 2006, 114 S., 9,90 EUR
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.