Schwarzes Revier mit viel Asphalt

Reporter Der Reporter Heinrich Hauser raste in den zwanziger Jahren mit Kamera und Stift durch das Ruhrgebiet. Nun liegen zwei Neuauflagen aus seinem Werk vor

Erik Reger, dessen Berliner Tagesspiegel gerade ins rüstige Rentenalter gekommen ist, mochte, als er noch Lokalmatador in Sachen publizistischer Ruhrgebietskritik war, keine Konkurrenz. Kein Wunder, dass er wie ein Berserker auf Heinrich Hauser losfuhr, als der acht Jahre jüngere, damals 27 Jahre alte Reporter der Frankfurter Zeitung es 1930 wagte, dem S.-Fischer-Verlag gleich ein ganzes Reportagebuch über das Schwarze Revier vorzulegen. In seinem Furor gegen das Buch wird er, die intellektuelle Geißel des Reviers, zu dessen bedingungslosem Fürsprecher.

Für ihn ist Hauser einer dieser neuen Medienfuzzis: Bevor sie das Wesen ergründen, „erfinden sie nette Kapitelüberschriften oder Bildunterschriften“. Und der prominente Kollege Bernard von Brentano bekommt gleich auch noch was ab, weil er Hauser zu loben wagt und nicht merkt, dass es sich bei diesem um einen „Typus“ handele, „der vor keinem Stoff zurückschreckt“. Genüsslich haut Reger Hauser dessen Feststellungen als Klischees um die Ohren. Das beginnt mit der Farbe des Reviers und endet damit, dass Hauser Zäune aus Eisenbahnschwellen beobachtet, wo für das Ruhrgebiet „Einfriedungen aus Grubenseilen viel charakteristischer“ seien.

Nun, Hauser scheint es Kritikern leicht zu machen. Er verwechselt, wo es um die Wachstumsrichtung des Reviers geht, sogar die Himmelsrichtung. Er gibt nämlich an, selbst sechs Jahre Arbeiter gewesen zu sein. Eine unsinnige Übertreibung. Und während andere, wie Joseph Roth zum Beispiel, in Kneipen hockten oder mit der Straßenbahn fuhren, durchquerte er das Ruhrgebiet mit dem Auto, einer Luxuskarosse zudem. 6.000 Kilometer will er dabei gefahren sein, in einem Ruhrgebiet, das noch kein Autobahndorado war, kaum Schnellstraßen, aber viele elende Gassen hatte.

Neue Erotik

6.000 Kilometer hatte Johann Gottfried Seume auf seinem Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 zu Fuß zurückgelegt. „Wer zu viel im Wagen sitzt, mit dem kann es nicht ordentlich gehen,“ hatte Seume über die Kutschfahrer geschrieben. Mit Hauser geht es mal mehr, mal weniger ordentlich. Man merkt seinen Berichten an, dass er um jeden Preis rasant abweichende Beobachtungen machen will, dabei dann aber immer wieder auf den ausgetretenen Pfad der Klischees zurückkehrt. Wenn er etwa grauen Himmel oder laublose Bäume hervorhebt. Und er, der davon schwärmt, wie das Auto eine neue Erotik hervorgebracht habe, beobachtet von dort aus Liebe im Straßengraben, „schauerlich und automatenhaft“. Gern ergeht Hauser sich in organizistischen, anthropomorphisierenden Bildern. Überhaupt ist seine Perspektive nicht klassenkämpferisch wie bei Kisch oder melancholisch wie bei Roth, sondern von einer Art elegischem Vitalismus.

Da mag man vor der Lektüre zunächst zurückschrecken. Mehr aber noch hat die Lust zur Wiederlektüre des umtriebigen Sprudel-, aber auch wetterwendischen Wirrkopfs Hauser darunter gelitten, dass er sich von der liberalen Frankfurter Zeitung auf dem Umweg über die nationalrevolutionäre Tat zum Nazi-Anwanzer entwickelt hatte. 1938 ging er über Kanada in die USA, wo er in ziemlich prekären Verhältnissen lebte, obschon er sich wiederum als publizistischer Zeuge gegen die Nazis zur Verfügung stellte. Nach 1945 war Heinrich Hauser kurz Chefredakteur des Stern und lebte von jubilatorischen Sachbüchern über die Autoindustrie, bis er sich 1955 das Leben nahm. Erst 50 Jahre später wird Hausers Werk wieder verstärkt wahrgenommen. Und nun eben das Schwarze Revier, ein kleiner, dunkler Vergangenheitsfleck auf dem bunten Feierkostüm der europäischen Kulturhauptstadt 2010. Nicht ganz unpassend, dass Andreas Rossmann, der das Kulturhauptstadtjahr Ruhr.2010 in der FAZ recht kritisch begleitete, ein Nachwort dazu schrieb. Es ist lesenswert.

Kleinbürgerwünsche

„Ganz sicher ist es falsch, das Revier als eine einzige Großstadt aufzufassen.“ Der Satz Hausers ist wohl in Rossmanns Sinn. Richtig ist er obendrein noch immer. Überhaupt, zeigt sich – und darauf deutet Rossmann –, dass Hauser eben auch viele klare Einsichten hatte. Wenn er einen neuen Unternehmertypus beobachtete, vor allem aber feststellte, dass die Arbeiter im Ruhrgebiet weder kommunistische Klassenkämpfer noch Jünger‘sche Soldaten der Technik sind, von großer „geistiger Regsamkeit“, aber politisch „indifferent“, mit typischen Kleinbürgerwünschen ausgestattet und einem Hang zum Kitsch. Kein Wunder, schreibt Hauser, wo sie allermeist ländlicher Herkunft sind. „Es gibt so viele Dinge, denen man nicht mit Doktrinen und nicht mit Statistik zuleibe gehen kann.“

Hauser selbst geht mit der Kamera gegen das Revier an. Und das ist die eigentliche Stärke und Überraschung dieses Buchs. Zumal in dieser sorgsam, ästhetisch unwiderstehlich perfekt gemachten Neuauflage. Sie enthält mehr als 120 Abbildungen, davon 67 der damaligen Hauser’schen Fotos in einem eigenen Bildteil, nach den Originalnegativen. Das verschafft den Bildern eine Intensität, die das Buch seinerzeit nicht erreichte. „Wer dieses Buch von Hauser durchgeblättert hat, schwört, nie wieder Photos anzusehen.“ Was Reger, der Asket des Worts, in seinem Furor da bannfluchte, ist – zumindest von heute aus gesehen – denkbar falsch. Die Fotos, nicht so kompositorisch durchrationalisiert wie die von Alfred Renger-Patzsch, nicht so sozialanthropologisch stilisiert wie die August Sanders, haben von beiden etwas und sind zugleich sehr eigen in ihren momentanen Verwischungen und harten Umrissen von unten, vom Auto aus. Man kann sie im Buch betrachten. Oder 53 von ihnen noch beeindruckender in einem Kalender, dessen Reiz sich nicht nur denen erschließen dürfte, die nach den kaleidoskopisch bunten Windrädern von Ruhr.2010 – das dieses Projekt gefördert hatte –, sich nach visueller Steinkohle sehnen.


Schwarzes Revier Heinrich Hauser Hg. v. Barbara Weidle. Weidle Verlag, Bonn, 224 S., 19,90

Ruhrgebiet 1928 Photographien von Heinrich Hauser, Wochenkalender für 2011, 53 Abb., 19,90

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