Wäre 1914 nicht der Krieg gekommen, hätte die Welt nur die Wahl zwischen Wärmetod und kosmischer Vereisung gehabt. Entropie so oder so. Aber da war 1913 Hanns Hörbiger. Der erfolgreiche Ventilbauer lieferte ein Ventil für alle drängenden Fragen der Wissenschaft: Hörbigers Glacial-Kosmogonie. Eine neue Entwicklungsgeschichte des Weltalls und des Sonnensystems aufgrund der Erkenntnis des Widerstreits eines kosmischen Neptunismus mit einem ebenso universellen Plutonismus. Ein Werk wie ein Monument, angefüllt mit beeindruckenden Illustrationen und reichlich bestückt mit transdadaistischen Wortschöpfungen wie „Fliehkraftglutbergen“ oder „Mondniederbrüchen“. Es legte dar: Das Universum ist vereist, und nur Glutkerne s
und nur Glutkerne sorgen in ihm für Dynamik, Hagel ist ein sichtbarer Vorschauer aus der vereisten Milchstraße, und der eisgepanzerte Mond wird irgendwann auf die Erde donnern. Als seriöse Wissenschaftler unterschiedlichster Fächer sich daran machten, ihn zu widerlegen, war das der Durchbruch für seine Anhänger: Musste nicht stimmen, was mit so viel Aufwand geleugnet wurde? Hitler und Himmler, auch das noch, waren Anhänger der Welteislehre. Alles das hätte man schon mal ähnlich lesen können, doch das Buch von Christina Wessely macht daraus eine ebenso spannende wie kluge, mustergültige Studie zur Wissenschaftsgeschichte, in der die Grenzen zwischen Quatsch und naturwissenschaftlicher Objektivität viel fragiler erscheinen als gedacht.Wie wenn gar nicht Mark Zuckerberg, sondern Alfred E. Neumann Facebook erfunden hätte? Sein Pech nur, dass er es Fratzenbuch nannte. Heute jedenfalls kennt ihn niemand mehr – außer ein paar ewigen Mad-Jünglingen. Nach diesem Muster lassen sich viele Erfinder/Pionier-Geschichten schreiben. Die Idee war da, allein es fehlte etwas Entscheidendes. Immer sind es prächtige Versagens- und Versagungsgeschichten, hinreißende Opferstories: Johann Kravogl, den die bösen Franzosen so lange unter Alkohol setzten, bis sie ihm seinen Plan zum Elektromotor abgeluchst hatten, Rosalind Franklin, die die nobelgepriesenen Crick und Watson als verbiesterte Alte hinstellten, damit man nicht bemerkte, dass sie von ihr die DNA-Forschungen abgekupfert hatten. Forstmeister Drais, dem wir das Fahrrad verdanken, wurde als Altachtundvierziger zum „Halbnarren“ gestempelt. Armin Strohmeyr hat 21 solcher Geschichten verkannter Genies zusammengestellt. Sehr männer- und k.u.k-lastig zwar, und lernen kann der zukünftig Verkannte zwar nicht viel daraus, aber mit Vergnügen und Gewinn ist das zu lesen. Ach ja: Der Welteis-Hörbiger hat Max Valier, den Raketenantriebserfinder, sehr unterstützt. Und natürlich hat Alfred E. Neumann viel höheren Blödsinn zu verantworten als Facebook.Wie herrlich klar war es doch vordem, 1877, als der Technikphilosoph Ernst Kapp befinden konnte: „Die ganze Menschheitsgeschichte […] löst sich zuletzt in die Geschichte der Erfindung besserer Werkzeuge auf.“ Heute indes: „Sind die Ingenieure Drogenhändler, ist die Technikethik der Versuch, die Beschaffungskriminalität einzudämmen?“ – nur selten zwar fragt Klaus Kornwachs so flott. Seine Einführung in die Philosophie der Technik ist insgesamt eher sachlich und zurückhaltend, dafür aber ungemein informativ. Im Kern steht immer wieder die Frage nach der Technikbewertung und -verantwortbarkeit – und am Ende das Plädoyer, die eine große Fortschrittsidee fallen zu lassen zugunsten der kritischen Aufmerksamkeit auf die vielen kleinen Schritte.Folgenabschätzungen haben mit Kontrolle zu tun: Wie lässt Technik sich beherrschen? Atomares voran: Tschernobyl, Fukushima, Endlager. Und was ist mit den militärischen Atomwaffen? Eric Schlosser hat sich nach Fast Food Nation dem amerikanischen Atomwaffenkomplex zugewandt. Ein ausgreifendes Buch von nahezu balzacschen Ausmaßen an Figuren, Orten, Szenerien und Situationen ist dabei entstanden – und von einer geradezu unheimlich stillen, nur von roten und blauen Alarmlichtern beleuchteten Spannung. Es ist nicht einmal das besonders Spektakuläre, als etwa Januar 1961 eine B 52 über North Carolina auseinanderbrach und eine Wasserstoffbombe mit der 260fachen Kraft der Hiroshima-Bombe auf die Erde fiel – und nicht detonierte. Um die 700 Zwischen- und Unfälle mit nuklearem Militärmaterial hat es zwischen 1950 und 1968 gegeben. Schlosser geht einigen besonders exemplarischen nach. Das Fesselnde wie Bestürzende daran: ein rundum ausgeklügeltes System an Kontrollen und Gegenkontrollen, Schleusen und Sicherungen, in ständiger Ernstfallübung. Und doch, ein ausrutschender Schraubenzieher, ein Vogelschwarm, reflektierende Wolken, ja selbst ein Mondaufgang – alles konnte und kann falsche Alarme und echte Gefahren auslösen. Ein ebenso kühl wie bedächtig erzählter Gruselschocker aus der noch fortdauernden Realität. Aber auch das: Menschen können Fehler korrigieren, Maschinen die ihren nicht.