Ein nicht genannt sein wollender Konzern arbeitet derzeit an einer neuen Generation von Taschenbüchern. Die sollen weiterhin spannende oder lebenshelfende Titel tragen, aber ansonsten ganz ohne Text auskommen. In den Ecken handschmeichlerisch abgerundet, erzeugen die Bücher ein wohliges Vibrieren. Sozusagen den Brummton der Überzeugung. Die nun überflüssigen Autoren schreiben dann Rätselfragen wie diese: Was haben Schwarze Löcher, die Bundesrepublik und Tiefkühl pizza gemeinsam? (Dass sie hier in einer Kolumne verhackstückt werden und zuvor zu Taschenbüchern verarbeitet worden sind.) Das gibt letzte Gelegenheit, sich in die wunderbare Welt des gängigen Buchausstoßes zu versenken: Wohlgeplantes neben Zutatenstochastik.
Nehmen wir di
men wir die Schwarzen Löcher. Aber zuvor ist da der 11. August. Gewesen. Macht nichts. Das Aufhängerkapitel in Helmut Hornungs Einführung in die Astronomie bleibt selbst nützlich, wenn alle Spezialsonnenbrillen in Afrika oder geschreddert sein werden. Das Buch zeichnet sich nämlich durch geschickte Auswahl und wohlverständliche Darstellung aus. Ein solches Buch kann man zur Hand nehmen, wenn man von Schulweisheit nicht nur träumen und in seiner Menschenwürde nicht durch Stellenwirunsmalganzdoof-Getue beeinträchtigt werden will. Wie angenehm, einmal weder der kommunikativen Unfähigkeit von Experten noch der Ahnungslosigkeit von Popularisatoren ausgeliefert zu sein! Die gute Nachricht zur guten Nachricht: Es gibt noch mehr davon! Noch besser gar kann einem das Bändchen von Monika Offenberger zur Evolutionstheorie gefallen (Vom Nautilus zum Sapiens:): Klare, abgewogene Darstellung auf neuestem Stand. Ähnlich Jeanne Rubner über die Hirnforschung (Vom Wissen und Fühlen). Es ist offenbar doch möglich, im ansonsten ziemlich räudigen Taschenbuchmarkt, eine Reihe sorgsam zu planen und überzeugend auszuarbeiten: Weitere Bände gibt es zu Elementarteilchen, Atomphysik, Quantenphysik, Relativitätstheorie, Ökologie, Genetik, Chaosforschung, Mathematik und Chemie.Natürlich haben Verlage andere Sorgen. Sie dürfen zum Beispiel nicht zu spät zum Jubiläum der Bundesrepublik kommen. Sonst bestraft sie der Bahnhofsbuchhandel. Wir hingegen leisten uns, die einschlägige Produktion etwas abhängen zu lassen. Nicht zu lange, sonst weiß keiner mehr, worum es eigentlich ging. Worüber hat man fuffzich Jahre gelacht? Ganz Deutschland lacht! Es gibt kaum Zäheres als Witzesammlungen. Diese hier ist immerhin so zart wie Gummihähnchen aus Scherzartikelhandlungen. »Berlin ist die Stadt der Warenhäuser. Da war'n Haus, da war'n Haus, da war'n Haus.» Mit dieser Stadtbilderklärung aus der Nachkriegszeit beginnt's und hangelt sich dann durch die Zeiten: Vom deutschen Arbeiter, dem es so gut geht, dass er ein Auto hat und bald fliegen wird, über Ulbrichts Erleichterung, dass Mao auch nur 17 Millionen politische Feinde hatte, über den Türken, der zum nörgelnden Ossi sagt: Wir euch nicht gerufen, bis zur übersystemischen Lehre, dass wer einen zu kleinen Schwanz hat, einen Cadillac braucht. Wer's nötig hat, kann's gebrauchen. Wer's geschenkt bekommt, kann's weiterschenken. Wär' doch gelacht, wenn wir nichts draus machten!Scharf benachbart erweist sich Nobody is perfect. Das gibt sich lexikalisch als wahre Geschichte der Bundesrepublik aus und enthält immerhin passable Stichworte zwischen Abhören und Zeitungsverleger, Adenauer und Wörner. Die Einträge sind weniger mal mehr, mehr mal weniger launig. Auch dies allenfalls von einem Bruchteil der SBZ-Halbwertzeit und nicht so frostsicher wie Glykol-Wein (Auch dazu ein Stichwort). Bleibt die Ankunft im Westen. Zwar gibt es ein letztes Kapitel, das in vagen Bögen durch die jüngste Gegenwart strähnt, aber insgesamt handelt es sich exklusiv um die Ankunft der Westdeutschen zwischen Nachkrieg und Sechzigern. Die mentalen wie wirtschaftlichen, politischen wie kulturellen Fundamente dessen, was dann mit allem Wohl und Wehe als Bundesrepublik sich haltbar etabliert hat, werden präzise skizziert. Die Kombination von allgemeinem Konsum mit diätischem Vergangenheitsinteresse, nicht zu vergessen: die Umwandlung pessimistischer Studienratskultur in moderat populäre Medienkultur, ist ein bemerkenswertes Erfolgsstück - auch der Darstellung.Nun aber an die Tiefkühlpizza. Was sie knusprig macht, soll enthüllt werden, dazu sonstige wundersame Zutaten der modernen Küche. Hier und da und irgendwo zwischendrin geschieht das auch. Ansonsten aber wirkt das Buch, dessen Titel es doch als genüßliche Schauderlektüre versprach, wie ein Tütensalat aus ernährungsjournalistischen Übungsdateien - eine textuelle Ökotropho-Katastrophe. Ratschlagsniveau der Bäckerblume neben Fragmenten von Fachartikeln. Ein Buch für solche, denen Zeitungen zu schwer und zu übersichtlich sind.Trösten wir uns abschließend mit geistiger Vollwertkost:Manchmal etwas kauzig in der Auswahl der Stichworte (Fröhliche Wissenschaft ist nicht gleich Wissenschaftlerfröhlichkeit), ist das Nietzsche-ABC eine sehr schöne Einführung in Denken, Person und Umfeld. Nach Art einer Schnitzeljagd. Hat man erst ein wenig gepuzzelt, vernetzt sich immer mehr. Man kann das zum klandestinen Selbstcheck ebenso nutzen wie den abstinenten Jungmenschen zu interessieren versuchen. Noch hochlöblicher aber sind die 100 Wörter des Jahrhunderts. Im Medienverbund von 3sat, Süddeutscher Zeitung und anderen produziert, findet man zwischen Aids und Wolkenkratzer das zentrale Inventar unserer Obsessionen und Eigenheiten. Die Stichworte sind allesamt kleine Kunststücke von Experten zwischen Ulrich Beck und Gerburg Treusch-Dieter. Man kann das gut als Säkular-Katechismus nutzen - hält auch bei fleißigem Gebrauch mindesten 100 Tage vor! Bis dahin gibt's vielleicht wirklich die Brummbücher zum Wohlfühlen! Falls nicht: einfach noch mal lesen!Helmut Hornung: Schwarze Löcher und Kometen, dtv 33043, 14,90 DM Monika Offenberger: Von Nautilus und Sapiens, dtv 33039, 14,90 DM Jeanne Rubner: Vom Wissen und Fühlen, dtv33042, 14,90 DM Michael Lentz u. a. : Ganz Deutschland lacht !, dtv24171, 20 DM Ludger Claßen u. Achim Nöllenheidt : Nobody is perfect. Die wahre Geschichte der Bundesrepublik, Fischer Tb. 14388, 16,90 DM Axel Schildt: Ankunft im Westen. Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, S. Fischer, 38 DM Thomas Birus: Was macht die Tiefkühlpizza knusprig? Fischer Tb. 14017, 18,90 DM Bernhard H. F. Taureck: Nietzsche ABC, Reclam Leipzig 1679, 18 DM 100 Wörter des Jahrhunderts, Suhrkamp st 2973, 19,80 DM
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