Ick jrul’ mi so

Krimi Lohnend ist’s, „Unterm Birnbaum“ zu graben. Und auch einem neuen Krimi steht Theodor Fontane gut
Ausgabe 15/2019

Unter den Kriminalgeschichten der Literaturgeschichte gehört Unterm Birnbaum von Theodor Fontane zu den seltsamen, was daran liegen mag, dass kein illustrer Meisterdetektiv, kein Holmes, kein Dupin, hieraus hervorgegangen ist. Dabei erzählt Unterm Birnbaum sehr Ähnliches wie heutige Krimis. Es ist eine Dorfgeschichte und Tschechin an der Oder hat alles, was es braucht, einen Pastor, einen Gendarmen, ein Gasthaus, eine Nachbarin im hohen Alter, unbeweglich, doch sieht und hört sie alles von ihrem Haus und Garten aus. Die Hradschecks gelten im Dorf als hochmütig, er führt das Wirtshaus, jedoch über die Verhältnisse, trinkt und spielt zu viel mit den Gästen. Sie war zuerst katholisch, der Sohn starb im Kindesalter, und seit sie darüber hinweggekommen ist, neigt sie zum Luxus und zu schönen Stoffen aus Berlin. Hradscheck muss drei Jahre Bierlieferungen aus Krakau bezahlen, Schulden, die mit einer neuen Bestellung vor Ort von Szulski eingeholt werden. Dessen Besuch in Tschechin kündigt ein Brief an, mit dem die Geschichte beginnt, und nun lassen die Eheleute ihr Leben Revue passieren und stellen fest, dass das Geld fehlt. Jedoch bleibt Zeit für Vorbereitungen bis zur Ankunft des Gläubigers.

Szulski verschwindet

Im Folgenden geschieht jedoch nichts außer das Gewöhnliche, die Männer trinken weit in die Nacht, auch mit dem angekommenen Gast; Ursel Hradscheck wird wieder nach Berlin reisen. Weder das Schema eines ereignisreichen Krimis erfüllt Unterm Birnbaum, noch gibt es plötzliche Wendungen, tauchen neugierige Ermittler auf, die es genau wissen wollen. Trotzdem ahnt der Leser alles. Das Rätselraten um das Verschwinden des Lieferanten Szulski kann der Erzähler auslassen, denn es handelt sich um eine reine Wiederholung. Es gibt ja schon eine Leiche unterm Birnbaum, aus dem Krieg mit den Franzosen, als man sie seinerzeit fand, kümmerte sich niemand weiter. Und auch dass ein Fuhrwerk vom Damm rutscht und in der Oder untergeht („und der arme Kerl von Postillon gleich mausetodt“), hatte sich bereits einmal ereignet. Der tragische Tod Szulskis leuchtet allen ein, fuhr er doch bei stürmischem Wetter zur Unzeit am frühsten Morgen los, um weitere Geschäfte nicht zu verpassen.

Die kurze Geschichte Unterm Birnbaum erschien zuerst 1885 in der Zeitschrift Die Gartenlaube, die in Leipzig gedruckt und mit hoher Auflage für 1 Mark und 60 Pfennige pro Heft in Deutschland wöchentlich verkauft wurde. Fontanes Birnbaum löste in dem Blatt, das mit Schachrätseln und Ankündigungen auf treue Leser zählte, im Sommer eine Geschichte von Trudchens Heirat ab und erschien bis zum Herbst in neun aufeinander folgenden Wochenheften. Die Geschichte war entsprechend zerstückelt und brauchte einen starken roten Faden. Den liefert der „Spuk“, der sich durchzieht und immer wieder darauf hinweist, dass etwas nicht stimmt, ob nun ein Erzähler darüber berichtet wer wann wo Szulski in welchem Zustand wohin geschafft haben könnte, oder nicht. Als Spuk- und Angst-Barometer tritt früh Gehilfe Ede auf („Ick jrul’ mi so.“), bis er am Ende sich rundweg weigert, in den Keller zu gehen („Et spökt.“).

Anders als der französische Realismus, prominent Madame Bovary von Gustave Flaubert, verachtet der deutsche die Provinz nicht. Fontane, der sich außerhalb der modernen Metropolen bewegt, hängt deshalb eine Biederkeit an, die er im Grunde nicht besitzt. Im Gegenteil zeigen die Geschichten, die sein Realismus hervorgebracht hat, wo der Grusel im gewöhnlichen Alltag steckt. Mord und Gewalt brechen im Birnbaum nicht in eine beschauliche Idylle ein, sondern gehen in einer Art von wiederholender Nachahmung aus ihr hervor. Das Seltsame an Unterm Birnbaum ist, dass die Kriminalgeschichte kein außergewöhnliches Ereignis erzählt, sondern ein gewöhnliches Missgeschick, durch das Hradschek sich schließlich selbst überführt.

Ob der Zitatenschatz hilft?

Ganz anders der Krimi Der Fall Fontane, er spielt in Ribbeck, das heute ein literaturtouristischer Ort ist und an Theodor Fontane erinnert. Unternimmt ein Männerpaar mittleren Alters im 21. Jahrhundert eine Fahrradtour, geht es zunächst um Praktisches: Mountain- oder E-Bike, Pension mit Buffet oder gedecktem Frühstück, erst mal akkurat auspacken oder ab in die Ecke und raus an die Luft. Denn, vom gleichen Geschlecht heißt weder gleiche Gewohnheit noch gleicher Geschmack. Dem Leser wird das Duo, Mütze und Karl-Dieter, hier Holmes-und-Watson-mäßig vorgestellt, selten einer Meinung, der eine genervt vom anderen, jedoch nur in Nebensachen auseinanderdriftend. Auf der Suche nach dem Mörder gibt es nur einen Strang.

Ohne Absicht werden die Urlauber zu Ermittlern, Herrn Krumbiegel wurde auf dem Weg, auf dem er den Hund ausführt, der Schädel mit einer Axt gespalten. Inmitten der Zeremonie poetischen Rezitierens entdecken sie die grausame Szene, kaum waren sie in Ribbeck, dem „Zauberort“, eingefahren. Dort holt sie ebenso die Dorfgeschichte ein, vielleicht eine Nachbarschaftsfehde oder ein tödlicher Tierschutz-Konflikt, denn Krumbiegel wusste von geköpften Wölfen, die einer illegalen Sammlerleidenschaft zum Opfer fielen.

Für einen Regio- und Ferien-Krimi eignet sich kein besseres Kolorit als die Welt Fontanes, des Regionaldichters und Reisejournalisten, seinem Leben und Werk ist die eine Duohälfte mit einem Zitatenschatz aus Meine Kinderjahre und dem Stechlin auf der Spur. In den sich entwickelnden Überschneidungen, Leiche mitten in den Ferien und Fontane’sche Welt, gerät sogar der Sekretär der Fontane-Gesellschaft im benachbarten Neuruppin, Liebstöckel, unter Verdacht. Es gibt viele Gründe, Bücher zu schreiben, das Fontane-Jahr ist einer davon. Insofern macht der Krimi alles richtig und liefert Lesestoff zu aktuellen Themen, dem Wolf und Fontane, für den Feierabend und für das Jubiläum zugleich.

Info

Unterm Birnbaum Theodor Fontane G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1885

Der Fall Fontane Johannes Wilkes Gmeiner-Verlag 2019, 282 S., 14 €

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