Ein Schiff vor Anker liegt keinesfalls fest an einem Ort: Schwojen, so erklärt Wikipedia, bezeichnet das Hin- und Herdrehen eines Schiffes vor Anker oder Ankerboje.
Jakob Augstein eröffnet am gestrigen Abend den Freitag Salon zum Thema „Blühende Landschaften 1990/2010“ mit diesem Fetzen Hamburger Seefahrtsjargon, könnten wir bei dieser Materie doch nicht mehr tun als um einen Punkt zu driften. Aber immerhin sei dabei die Aussicht zu genießen.
Von mir aus, mitte links im Zuschauerraum, gestaltet sich die Aussicht wie folgt: ein wie meistens warm lächelnder Christian Ströbele, ernsthafter schon die Journalistin und Zonenkinder-Autorin Jana Hensel, ein weiteres Stück gealtert Hellmuth Karasek und daneben Roland Claus, MdB und Ost-Experte der Linken, asketisch und mit dem latenten Charme des Ost-Akzents. Sie alle rahmen, mehr oder weniger hübsch und brav, den Moderator ein, der sie im Laufe des Abends um Kohls Utopie und die Realität des Aufbau Ost driften lässt.
http://img178.imageshack.us/img178/9589/20100922freitagssalona.jpg
[Bild: Kevin Mertens]
Ströbeles Skepsis gegenüber der versprochenen Blütezeit für die neuen Bundesländer setzt Karasek entgegen, dass die Landschaften vielleicht nicht industriell, wohl aber durch den Aufbau von Städten und die Vielfalt der Natur blühten. Seit die Dresdener Frauenkirche wieder stünde wäre das mittlerweile geflügelte Wort des Altkanzlers für ihn Realität geworden. Dabei stellt keiner der Anwesenden in Zweifel, dass nicht alles heute glänzt, was im Laufe der zwanzig Jahre unter dem Titel „Aufbau Ost“ unternommen wurde. Dass es trotzdem gelingt, eine wortgewandte Diskussion aufzuführen, ist nicht unbedingt Karaseks Verdienst. Auch wenn er sich mit feuilletonistischem Geschwurbel (der ihm eigenen dubiosen Kunst, die sprachlichen Einflüsse seiner Karriere zur Unkenntlichkeit zu verweben) wie immer alle Mühe gibt. Wenn Jana Hensel in einfachen, schönen Sätzen über Sinn und Identität von Zukunftsprojekten („Der Aufbau Ost ist ein Zukunftsprojekt, genauso wie der Sozialismus eines war“) spricht, Roland Claus die Utopie Helmut Kohls zur Befreiung der SED erhebt und Ströbele fragt, wem denn jetzt eigentlich die Landschaften blühten (den West-Hoteliers auf Usedom?), geben sie der Veranstaltung Drive. Ein Punkt geht allerdings doch auf Karaseks Konto: seine kleine Philosophie über die Kardinaltugend Helmut Kohls – raumgreifend sein – sorgt für kurzfristige Erheiterung.
Bei Verlassen der Veranstaltung, der Zigarette danach vor der Tür, habe ich nicht das Gefühl, dass viel Neues über die Realität der neuen Bundesländer gesagt wurde. Dafür über einen feinen Abschnitt romantischer Politikgeschichte: Des Altkanzlers Traum als letzte große Prophetie der deutschen Politik. Und dass wir, was immer man davon retrospektiv halten mag, zwischen von der Leyen und Westerwelle dringend neue Romanzen brauchen.
Kommentare 33
"Des (?) Altkanzlers (?) Traum (?) als letzte (?) Prophetie (?) der (?) deutschen Politik (?). Und dass wir (?), was immer man (?) davon (?) retrospektiv halten mag, zwischen (?) von der Leyen und Westerwelle dringend (?) neue (?) Romanzen (???) brauchen (???)."
Neue (?) Re(?)port(?)age(?)kunst (?) - oder der Text nach der Zigarette davor?
"driften" - bei mir driftets auch noch. - schönes fotto.
wunderbarer text.
"könnten wir bei dieser Materie doch nicht mehr tun als um einen Punkt zu driften. Aber immerhin sei dabei die Aussicht zu genießen." - Habe aus dem Bericht den Eindruck, dass der Salon es sich gemütlich gemacht und dem Geplauder über Gott und die Welt ein weiteres hinzugefügt hat. Vielleicht doch schade, dass Diekmann und Gremliza nicht dabei waren.
was beschwiegen wurde: die veränderung, die eintrat, als 'wir sind das volk' von 'wir sind ein volk' abgelöst wurde.
ein mal erwähnt.
und dann bloß nicht dran wackeln!
wenn ich das wort 'prophetie' ernst nehme, also beim wort
dann
gehört hier gesagt
dass propheten noch nie!
blühende landschaften verkündet haben
sondern immer zerstörte landschaften
verschleppte menschen
heulen und zähneklappern
geschändete frauen
verhungerte waisen
so ist es ja auch gekommen, wa?
"Wenn Jana Hensel in einfachen, schönen Sätzen über Sinn und Identität von Zukunftsprojekten („Der Aufbau Ost ist ein Zukunftsprojekt, genauso wie der Sozialismus eines war“) spricht, ..."
Ach, wie schön! Wie wahr! Da wäre ich bestimmt nicht selbst drauf gekommen.
Mal im Ernst: Wenn solche inhaltsleeren Floskeln wirklich die Höhepunkte der Diskussion gewesen sein sollen, dann bin ich froh, dass ich nicht dabei gewesen bin.
War die Veranstaltung so dürftig oder die Beobachtung?
Mit Gremliza wäre das sicher nicht passiert...
Tja. Wie soll man den Sinn politischer Diskussionen anders erfassen als mit den Worten: Es handelte sich um den gegenseitige Austausch von Desinformation?
Bleibt noch die Meinungsdeklination oder das Herodes-Prinzip des Meinungsaustauschs:
Ich habe meine Meinung.
Du hast meine Meinung.
Er, sie, es hat meine Meinung.
Wir haben meine Meinung.
Ihr habt meine Meinung.
Sie haben meine Meinung.
Vielleicht lag es an Jana Hensels schlechtem Karma---
die nicht meine Meinung haben,
fehlt die Lizenz für eine
"meine Meinung"
In einer politischen Landschaft unter der EU- Käseglocke des Freiwilligen Zwanges zur Konsengesellschaft, fabukiert die Kultur, fabulieren die Medien über eifrig und "Thilo sarrazin" erfinderisch, voran Jakob Augstein vom Freitag als systemrelevanten Baustein einer neuen Empörungskultur in der Mitten deutschlands, um dann bienächster gelegenheit im Presseclub, im Gorki Theater medial präsent auf ein "Stand By" Modus zu schrumpfen, statt mit Empörung in jeden Konsens vorplolitisch hinein aufzutrumpfen.
Ach wie schade.
die deutschen Medien haben nur Text- und Wort-
statt Stilbruch Marmelade.
Frankreich hat Sarkozy Wein zu trinken
Russlands Putin Wurst und Schinke
oder war es Engeland?
Dieser Freitags Salon war wohl die variante"Unter höchsten Anstrengungen schlaff gestellt unter seien Möglichkeiten zu verweilen!".
oder habe ich da etwas vergorkiet, vergurkt, übersehen, gar falsch verstanden in diesen welken deutschen Landen im Vorherbst 2010?
Was ist mit den Melleniums Zielen 2015 aus deutscher Sicht 1990/2010 der europäischen Einheit?
tschüss
JP
Weise Worte.
Zustimmung.
Manche Dinge liegen erst dann auf der Hand, wenn jemand anders sie ausdrückt. Ich denke, über "Blühende Landschaften" zu diskutieren gestaltet sich sehr schwierig, weil das meiste dazu schlicht schon gesagt wurde.
Dass der Abend trotzdem gelungen war, ist ein paar neuen Blickwinkeln und vor allem sprachlichem Feingefühl zu verdanken. Es ist meiner Ansicht nach ein bisschen zu kurz gegriffen, Letzterem Inhaltsleere zu unterstellen ohne zugehört zu haben. Außerdem, liebe Community-DiskutantInnen, wer will Leuten zuhören, deren Sprache flach ist?
Wir machen nur flache Witze, die Sprache hat Profil.
"Inhaltsleere zu unterstellen ohne zugehört zu haben", eine weitverbreitete Art, meist verbunden mit "zu allem seinen Senf dazu geben" und/oder "viel reden, wenig sagen, aber das aus tiefster Überzeugung".
Den Text musste ich mehrmals lesen, um was zur Sache selbst zu erfahren; diese liegt unter den ganzen sprachgewandten Worten vergraben. Wirklich schlauer bin ich nicht, das kann aber auch was mit dem Thema an sich zu tun haben, oder doch mit der Beschreibung..?
Ich würd mal sagen du spielst da mit dem Feuer! :-)
also wenn ich nun nicht ganz falsch liege, dann ist der text stilistisch genau dem empfinden der autorin nachgebaut. und wenn sie dort nicht viel neues erfahren hat, dann passts doch wunderbar.
mfg
mh
der da rechts, von mir aus, hat also viel gelabert.
mfg
mh
Nicht sehen, aber doch spüren, sonst wär es doch kein Karma-poparma! Und das Karma, das schlechte, wabert aus ihrem Buch "Zonenkinder", das ich leider behalten muss, weil es ein Geschenk von lieben Freunden war.
Nur Negatives strahlen irgendwie auch die Stühle auf dem Bild aus, so in FDGB-orange.
Naja, vielleicht liegt es aber auch nur an mir!
was wollen sie damit sagen?
Sehr geehrte Frau Lautsch
Sie schreiben:
"Wenn Jana Hensel in einfachen, schönen Sätzen über Sinn und Identität von Zukunftsprojekten („Der Aufbau Ost ist ein Zukunftsprojekt, genauso wie der Sozialismus eines war“) spricht, ...", gäben sie, die so sprechen "der Veranstaltung Drive".
Ich bleibe mal bei Jana Hensel, die wenn ich die Berichterstattung sonst über sie richtig verstanden habe, die DDR schon überwunden hatte, bevor sie sie richtig erlebt hatte, und nichts vermißt. Die "Blühenden Landschaften", die sie heute zu erleben glaubt, haben keinen wirklichen gegenstand des Vergleichs bei ihr. So wird ihr Satz nicht zu einem der treibenden Erkenntnis, sondern zum (erfahrungslosen) Ausdruck von Resignation oder gar Drohung, besagt er doch, dass die "blühenden Landschaften" zukünftig genauso enden werden, wie in Jana hensels Augen der Sozialismus (dafür steht ihr die DDR) - die Zukunft der Vergangenheit also - endete: Vertrocknet.
Wie können Ihnen solche Sätze gefallen?
mfg
ut
Sehe ich wie Du, lieber goedzak. Zu viel Senf unter einem sehr guten Text.
bei all den aktiuellen Debatten um den so genannten neuen Konservatismus. lädt so ein Aufmacher für einen Fratags Salon:
"Blühende Landschaften..."
geradezu unerhört zwingend zur Flachheit, umzingelt von realen Untiefen, Tiefen, Stuttgart 21, AKW- Laufzeitverlängerungen, Ende der Wehrpflicht, Nahost- , Kosovo- , Afghanistan u. u. Krieg ein!. oder?
siehe dazu:
www.freitag.de/community/blogs/joachim-petrick/der-freitag-in-der-hauptsache-im-stand-by-modus
23.09.2010 | 02:02
Der Freitag in der Hauptsache im „Stand By“ Modus“?
medien netzwerke
Der Freitag in der Hauptsache im „Stand By“ Modus“?
In einer politischen Landschaft unter der EU- Käseglocke des Freiwilligen Zwanges zur Konsensgesellschaft, fabuliert der Kulturbetrieb, fabulieren die Medien ohne erkennbare Not,
siehe dazu:
www.freitag.de/community/blogs/joachim-petrick/der-freitag-in-der-hauptsache-im-stand-by-modus
23.09.2010 | 02:02
Der Freitag in der Hauptsache im „Stand By“ Modus“?
medien netzwerke
Der Freitag in der Hauptsache im „Stand By“ Modus“?
In einer politischen Landschaft unter der EU- Käseglocke des Freiwilligen Zwanges zur Konsensgesellschaft, fabuliert der Kulturbetrieb, fabulieren die Medien ohne erkennbare Not,
"also wenn ich nun nicht ganz falsch liege, dann ist der text stilistisch genau dem empfinden der autorin nachgebaut. und wenn sie dort nicht viel neues erfahren hat, dann passts doch wunderbar."
Also irgendwie ging´s um blühende Landschaften, soviel habe ich schon mal mitbekommen...
Zum besseren Verständnis kann ich hinzufügen, dass der Satz im folgenden Kontext fiel:
der Feststellung, dass Projekte, die über einen langen Zeitraum angelegt sind, nicht sofort sichtbare Früchte tragen. Und unter Umständen erschließt sich ihre Tragweite auch nach 20 Jahren noch nicht komplett.
Is ja 'n Ding. Ungefähr so gehaltvoll also wie die alte Volksweisheit: Gut Ding will Weile haben. Wer hätte das gedacht?
Eigentlich hätte ich erwartet, dass abgesehen von solchen Banalitäten auch über Inhalte diskutiert worden wäre. Z.B. wie gestaltet sich der "Aufbau Ost", welche Ziele sind damit verbunden, welche Hindernisse gibt es, wer verfolgt dabei welche Interessen, wessen Interessen werden bedient etc.
Eva Ricarda Lautsch am 24.09.2010 um 15:31
Hallo Frau Lautsch,
Nichts gegen Geduld, gegen revolutionäre schon gar nichts.
Aber dann müsste man schon noch wissen, wie Frau Hensel dazu kommt, dem Experiment der DDR, d.h. dem Sozialismus ein gutes Ende zuzutrauen, das nach 40 Jahren offiziell kein gutes Ende genommen hat, daher z.Zt. nicht positiv bewertet wird. Wenn sie der Meinung ist/wäre, in, sagen wir, 20 Jahren könnte es ein gutes (Ende) nehmen, dann müsste es weiter verfolgt, praktiziert werden. Frau Hensel begrüßt nun aber das Projekt Kapitalismus - Codename "Blühende Landschaften" - und wartet, Ihrer (Frau Lautschs) Interpretation nach nun erstmal insgesamt 20 Jahre (die übrigens gerade herum sind!!!) auf dessen gutes Ende.
Soviel Warten auf so Verschiedenes bei äquivalent "gutem" Ende und dann noch gleichzeitig , das ist mir unheimlich, auf jeden Fall halte ich es von einem Denkfehler gespeist.
Wennn die deutsche Einheit das Experiment DDR frühzeitig, das heißt vor ihrem im Ende doch guten Ende beendet hat, worauf Frau Hensel angeblich die ersten dreizehn Jahre ihres Lebens schon hoffte und ab irgendwann dieses Wunder weiter erwartete, obwohl des Ende auch nach ihrem verständnis erklärt war, dann kann sie nicht gleichzeitig hoffen, dass sich Kohls Versprechen erfüllen sollte oder würde, von dem Sie hoffentlich gewußt hat, dass dieses den Sozialismus nicht beinhaltete.
Wenn doch, dann wäre ihre Hoffnung nie mehr als die des Kindes gewesen, das immer hofft, dass es "irgendwie" schon gut geht, weil Mama und Papa ja da sind.
Ob das als Basis für praktische Politik im Sinne linken Fortschritts reicht? - Oder ist es das, was JA "irgendwie links" nennt?
Herr Lehrer, theoretisch haben Sie Recht. Praktisch wollte die Frau Hensel sehr wahrscheinlich einfach nur eine leere Floskel absondern; eine Floskel, die so leer ist, das sich niemand daran stößt.
"dass" muss es natürlich heißen. Streichen Sie mir den Fehler bitte nicht an.
@ derDonnerstag schrieb am 25.09.2010 um 00:27
Streichen Sie mir den Fehler bitte nicht an.
Reizend! Wer ist hier eigenlich der Nachfolger vom F wie Fehler-Anstreicher?
@ derDonnerstag am 25.09.2010 um 00:25
Dann will ich, Junker Schüler, Euch den Lehrer geben, sag Euch knapp:
Vergebens, daß Ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
Ein jeder lernt nur, was er lernen kann
(Goethe: Faust 1; Studierzimmer, Mephistopheles)