Bis zu seiner Wahl am Wochenende fiel der Malermeister aus dem sächsischen Weißwasser kaum auf. Dabei spiegelt Tino Chrupalla, 44, den prototypischen AfD-Wähler wider: männlich, mittelalt, Mittlere Reife. Es folgte die Ausbildung als Maler/Lackierer, es waren die 1990er, Chrupalla zwei Jahre in der Jungen Union aktiv, angetan von Helmut Kohl. Später gründete er eine Familie und einen Malerbetrieb, den heute sein Schwager führt.
Wie viele Wähler trieb ihn „die Arroganz der etablierten Politik“ zur AfD – und das „erhebende Gefühl, etwas Neues aufzubauen, das gut und richtig ist für unser Land“. 2015 trat er in die Partei ein. 2017 gewann Chrupalla bei der Bundestagswahl das Direktmandat seines Görlitzer Wahlkreises. Er setzte sich gegen den CDU-Politiker Michael Kretschmer durch, heute Sachsens Ministerpräsident. Für die Sächsische Zeitung war dies ein Grund, Chrupalla zu einem der 15 „Menschen des Jahres 2017“ zu küren, sie nannte ihn den „Eroberer“ des sonst schwarzen Görlitz. Bernd Lange (CDU) kommentierte seinen Wahlsieg hingegen so: „Man hätte einen Besenstiel hinstellen können, der wäre auch gewählt worden.“
Am 30. November 2019 „erobert“ Chrupalla dann die Parteispitze, wird neben Jörg Meuthen zum Bundessprecher der AfD gewählt. Chrupalla war Wunschkandidat des abtretenden Alexander Gauland, der vor allem die Regierungsfähigkeit im Blick hat: „Es wird der Tag kommen, an dem eine geschwächte CDU nur eine Option hat: uns“, orakelte Gauland in seiner Eröffnungsrede. Um darauf „erwachsen“ hinzuarbeiten, braucht es einen Mittler: Chrupalla, der Nichtakademiker, neben Meuthen, dem Akademiker. Der aus dem Osten, neben Meuthen aus dem Westen. Er, der mit beiden kann: mit dem radikal-völkischen „Flügel“ und den Gemäßigteren. Genau so inszeniert sich Tino Chrupalla gern selbst: als bodenständigen Mittler, als Everybody’s Darling.
In dieses Bild passte nicht ein Frontal21-Beitrag, der kurz vor dem Parteitag ausgestrahlt werden sollte. In der Ankündigung hieß es, Chrupalla habe seinen Kreisverband wie eine Sekte geführt, Kritiker seien mundtot gemacht worden. Chrupalla forderte daraufhin das ZDF auf, eine Unterlassungserklärung für den Beitrag zu unterzeichnen, was der Sender laut eigenen Angaben nicht tat. Diese Woche wurde dann ein zumindest ähnlicher Beitrag gesendet. Darin bezeichnet Chrupallas Ex-Wahlkampfmanagerin ihn als „Wolf im Schafspelz“.
Fakt ist: Chrupalla verstrickt sich in Widersprüche. So wandte er sich zu Beginn seiner Bewerbungsrede an den Antisemiten Wolfgang Gedeon, der ebenfalls für den Parteivorsitz kandidierte. Gegen den baden-württembergischen Landtagsabgeordneten läuft ein Parteiausschlussverfahren. „Sollte ich heute hier zum Bundesvorstand gewählt werden, werde ich als Erstes mit dafür sorgen, dass solche Leute wie Herr Gedeon hier nie wieder auf einem Parteitag sprechen werden“, sagte derselbe Chrupalla, der sich im Juni 2018 auf ein mutmaßlich inszeniertes Gespräch mit dem rechtsextremen „Volkslehrer“ Nikolai Nerling, der den Holocaust in Frage stellt, eingelassen hatte. „Natürlich ist Deutsch eine Ethnie“, posaunte Chrupalla in dem Gespräch, das auch ein Grund dafür gewesen war, dass der Verfassungsschutz die AfD als Prüffall eingestuft hatte. In dessen Gutachten heißt es: „Das Video soll den Anschein der Spontanität erwecken, doch ist Chrupalla in einer frühen Kameraeinstellung bereits wartend im Hintergrund zu sehen.“
Das große Wählerpotenzial sieht der neue Parteichef im „bürgerlichen Lager“. Um dieses zu erreichen, brauche es keine „drastische Sprache“. Nur fiel Chrupalla in der Vergangenheit selbst mit radikalen Äußerungen auf. So sagte er kürzlich zum Tag des Mauerfalls über Kanzlerin Angela Merkel: „Ich bedaure, dass sie uns nicht verrät, welche Herrschafts- und Zersetzungsstrategien sie damals bei der FDJ gelernt hat.“ Chrupalla selbst forderte die Mitglieder seines Kreisverbands in einer E-Mail Anfang dieses Jahres dazu auf, „Hintergrundinformationen über als Journalisten getarnte Zersetzungsagenten“ zu liefern. Ganz wichtig: „Feindpropaganda nicht auf Facebook teilen!“
Diese Widersprüchlichkeit zieht sich durch. Das ZDF befragte ihn zum Begriff „Umvolkung“. Erst leugnete Chrupalla, dieses Wort je benutzt zu haben. Als der ZDF-Journalist entgegnete, man könne dies mit einem Video beweisen, knickte Chrupalla ein. Stotternd sagt er: „Ich halte den Begriff ‚Umvolkung‘ nicht für rechtsextrem oder gar, gar, äh, gar, also in dieser Form halte ich ihn nicht für rechtsextrem.“
Chrupalla will auch mehr Frauen erreichen. Mit drastischer Sprache würde man bei denen häufig das Gegenteil bewirken, sagt er in seiner Bewerbungsrede: „Viele Frauen fühlen sich im Grunde ihres Herzens konservativ. Weil sie eine lebenswerte Zukunft für ihre Kinder und Enkel wollen.“
Zwar gibt Chrupalla an, kein Mitglied des Flügels zu sein, aber immerhin sympathisiert er so sehr mit dem radikalen Arm der AfD, dass er am 20. September 2019 am ersten Flügeltreffen in Freital teilnahm – nicht nur als passiver Zuhörer, sondern als aktiver Redner, wie ein Foto bestätigt. Auf einem anderen ist er mit Andreas Kalbitz abgebildet, in ein tiefes Gespräch verwickelt. In Interviews vergleicht Chrupalla den Flügel der AfD mit der Werteunion der CDU oder dem Seeheimer Kreis der SPD. Ein berechtigter Bestandteil der AfD also. Dafür bekam er Rückendeckung: Björn Höcke lobte das „Organisationstalent“ für seine „sehr gute Arbeit im Bundestag“. Und: „Wir haben als Flügel eine sehr hohe Meinung von Tino Chrupalla. Für uns ist es wichtig, dass der Osten etwas besser repräsentiert ist.“ Höckes Lobeshymne wundert nicht. Chrupalla könnte mit seiner Profillosigkeit schon bald zum perfekten Spielball des Flügels werden.
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