Mit ihm hatte niemand gerechnet. Denn eigentlich sind die Machtverhältnisse in der Linkspartei klar: Seit dem Parteitag im vergangenen Februar verfügen die als pragmatisch geltenden Ost-Delegierten über eine bequeme Zweidrittelmehrheit. Sie nutzten auf dem Parteikonvent in Hamburg auch gleich ihre neu erlangte Macht und setzten eine von Reformern dominierte Europawahlliste durch. Tobias Pflüger bewarb sich damals für die Parteilinke um Platz 2, dann um Platz 4. Beide Male wurde er abgewatscht. Doch nun kehrt er zurück. Vor einer Woche kandidierte er in Berlin für den stellvertretenden Parteivorsitz, trat an gegen den ostdeutschen Pragmatiker Dominic Heilig. Und gewann.
Auch die West-Linke Janine Wissler hat es geschafft, in die Parteispitze aufzusteigen – was zu erwarten war. Den Reformern hingegen wurde der Platz von Pflüger weggeschnappt, einem Mitglied der „Antikapitalistischen Linken“. Wie konnte das passieren? Ein Grund dürfte dessen thematischer Schwerpunkt sein. Die Ukraine-Krise hat den Parteitag geprägt und Pflüger ist Außenpolitiker, steht für ein klares Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Er kommt aus der Friedensbewegung, ist dort verankert und kämpft innerhalb der Linkspartei gegen die Verwässerung der pazifistischen Positionen.
Die Reformer sind sauer
Dass er nun gegen Heilig gewonnen hat, ist trotzdem ein kleines Wunder. Heilig ist Koordinator des Arbeitskreises Demokratie, Recht und Gesellschaftsentwicklung in der Bundestagsfraktion und führendes Mitglied des „Forums demokratischer Sozialismus“, der Realo-Strömung in der Partei. Dort ist man jetzt sauer. Zwar stellen die Reformer mit Matthias Höhn weiter den Bundesgeschäftsführer. Doch Heiligs Niederlage und die Ablösung von Schatzmeister Raju Sharma durch den Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Stasi-IM Thomas Nord schwächen den Einfluss der Reformer. Hinzu kommt die Aufforderung des Parteitags an die Bundestagsfraktion, sich im kommenden Jahr eine Doppelspitze zu geben – ein indirektes Votum für die Parteilinke Sahra Wagenknecht, die dann gleichberechtigt neben Gregor Gysi stünde.
Vielleicht ist das Ergebnis des Berliner Parteitags auch bloß eine Reaktion auf die Aufstellung der Europawahlliste in Hamburg. Das Pendel schlägt nun in die andere Richtung aus. Wenn Tobias Pflüger über die Gründe seines Überraschungserfolgs räsonniert, spricht er von einer „gewissen Wiedergutmachung“. Manche Delegierte hätten inzwischen erkannt: „Vielleicht war‘s doch nicht richtig, was wir da gemacht haben.“ Einige Mitglieder waren gar so unzufrieden, dass sie der Partei inzwischen den Rücken gekehrt haben.
Tobias Pflüger sieht aber noch einen weiteren Grund: „Die Delegierten haben in Berlin sehr frei entschieden. In Hamburg hingegen war das eher festgezurrt, da gab es die Empfehlungen der Landesverbände.“ Und beim Thema Frieden tickt die Basis offenbar ähnlich wie der Politikwissenschaftler aus Tübingen. Im April hatten im Bundestag fünf Linken-Abgeordnete noch für einen Bundeswehr-Einsatz im Mittelmeer zur Vernichtung syrischer Chemiewaffen gestimmt. „Das ist bei der Mitgliedschaft nicht gut angekommen“, sagt Pflüger.
Aufruf zum Desertieren
Er selbst bezeichnet sich als „Antimilitarist“ und hat eine klare Position: „Alle Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen beendet werden.“ Die Linke hat sich dazu auch eindeutig positioniert. Im Programm zur Bundestagswahl 2013 heißt es etwa: „Wir haben als einzige Fraktion und Partei im Bundestag den Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht zugestimmt und werden es auch in Zukunft nicht tun.“ Immer wieder daran zu erinnern, das sieht Pflüger als eine seiner Aufgaben im Parteivorstand. Er vertritt jedoch auch Forderungen, die in der Partei wohl keine Mehrheit finden dürften. Da gibt er sich dann wortkarg. Bundeswehr abschaffen? „Das ist eine Position von mir.“
Während des Jugoslawien-Kriegs rief er Soldaten zum Desertieren auf und wurde daraufhin wegen „öffentlicher Aufforderung zur Fahnenflucht“ angeklagt. Bei den Protesten gegen die Münchener Sicherheitskonferenz 2005 geriet er in Streit mit Polizisten, die ihn daraufhin anzeigten – wegen angeblicher Beleidigung und Körperverletzung. „Ich hatte schon verschiedene Verfahren am Hals“, sagt Pflüger, „wurde aber nie verurteilt.“
Karriere mit Unterstützung der Bewegung
Seine Wurzeln hat der 49-Jährige in der Friedensbewegung. Im Jahr 1996 gehörte er zu den Gründern der „Informationsstelle Militarisierung“, bis 2004 führt er dort als Vorstandsmitglied die Geschäfte. Dann ließ er sich ins Europaparlament wählen – als parteiloser Kandidat für die PDS. Erst vier Jahre später trat er in die Partei ein. Als Abgeordneter versackt er aber nicht in Brüssel, sondern suchte den Kontakt mit Aktivisten, sprach auf Ostermärschen. Im Jahr 2009 trat er wieder fürs Europaparlament an. Allerdings schnitt die Linkspartei schlechter ab als gedacht, auf Platz 10 verfehlte Pflüger den Einzug. Seitdem verdient er als politischer Berater sein Geld. Auftraggeber sind Bundestagsabgeordnete seiner Partei, vom linken Flügel.
Seine Karriere wäre ohne den Rückhalt der Friedensbewegung wohl nicht möglich gewesen. Vor Parteitagen und Wahlen gibt es immer wieder Appelle, ihm die Stimme zu geben. Auch vor dem Parteitag in Hamburg hatten zahlreiche Aktivisten dazu aufgerufen. Monty Schädel ist einer von ihnen. Der politische Geschäftsführer der Friedensorganisation DFG-VK kennt Pflüger seit mehr als 15 Jahren. „Die Bewegung arbeitet natürlich mit verschiedenen Politikern zusammen, aber bei Tobias ist das anders: Der ist einer von uns.“ In Partei und Öffentlichkeit könne er „Sprachrohr der Friedensbewegung“ sein.
Und was passiert, wenn die Linke irgendwann andere Forderungen vertritt als die Bewegung? Pflüger wiegelt ab. „Das steht im Moment nicht zur Debatte.“ Und er fügt hinzu: „Ich behalte meine Positionen.“
Anmerkung: Im ursprünglichen Text hieß es, Heilig sei Mitarbeiter des Abgeordneten Jan van Aken. Dies wurde korrigiert. Zudem lässt sich Caren Lay nicht so einfach dem Reformer-Lager zuordnen. Der Halbsatz wurde daher gestrichen.
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