Haben jetzt auch Union und SPD ein Herz für den Kommunismus? Die geschäftsführende Bundesregierung schlägt einen „kostenlosen öffentlichen Nahverkehr“ vor – als eine von acht Maßnahmen für bessere Luftqualität in deutschen Städten. Die Idee, in einem Papier an die EU-Kommission genannt, hat gleich eine öffentliche Debatte ausgelöst. Die Grünen nannten die Ankündigung unglaubwürdig, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen verweist auf das fehlende Geld. Und die Regierung räumt ein: Man wolle mit Ländern und Kommunen zwar über den Nahverkehr zum Nulltarif reden. Konkrete Pläne gebe es aber nicht.
Der Vorschlag war wohl eigentlich als Beruhigungspille gedacht – für die EU-Kommission, die eine Klage gegen Deutschland erwägt, weil hierzulande in zahlreichen Großstädten die Stickoxid-Grenzwerte überschritten werden und die Bundesregierung seit Jahren untätig bleibt. Eine Regierungsoffensive für kostenlose Busse und Bahnen wird es also vorerst nicht geben. Trotzdem ist es gut, dass zumindest in der breiteren Öffentlichkeit über das Thema diskutiert wird. Schließlich ist ein ÖPNV zum Nulltarif keine Spinnerei, sondern ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur sozial-ökologischen Stadt der Zukunft.
Die Idee klingt nach einem Traum der Linken: Alle Menschen dürfen fahren, so oft sie wollen, egal ob arm oder reich. Und umweltfreundlich ist es auch! Gleichzeitig ist der Vorschlag gar nicht so revolutionär, wie er auf den ersten Blick scheint: An zahlreichen Hochschulen gibt es ein Semesterticket für Studenten, das durchaus bezahlbar ist. Warum sollte das nicht für alle Menschen möglich sein?
Gib Geld, Bund!
Bedenken kommen allerdings vom ökologischen Verkehrsclub VCD. Der Vorschlag der Bundesregierung sei ein „aktionistischer Schnellschuss und wenig durchdacht“, erklärt der Verein. „Damit er funktioniert, brauchen die Kommunen Geld aus dem Bundeshaushalt.“ Und dieses Geld könnte man alternativ auch dafür nutzen, das ÖPNV-Angebot zu erweitern, um mehr Menschen zum Umstieg zu bewegen. Der VCD will daher die Fahrpreise halbieren und das Angebot verdoppeln. Sprich: mehr Linien, höherer Takt, kürzere Umstiegszeiten.
Dafür sprechen auch Umfrageergebnisse: Der Verkehrsclub hat Autofahrer befragt, was sich bei der Bahn ändern müsste, damit sie ihren Wagen stehen lassen. Ganz oben auf der Liste: Flexibilität, Zeitgewinn, Pünktlichkeit, Komfort, Verfügbarkeit. Erst an sechster Stelle kommt der Preis. Kein Wunder, schließlich ist das Auto heute schon deutlich teurer als Bus oder Bahn, auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird.
Aus Umweltperspektive setzt ein Nulltarif im Nahverkehr auch falsche Anreize. Zum einen würden nicht nur Autofahrer, sondern auch Fußgänger und Radfahrer umsteigen. Zum anderen müsste der motorisierte Verkehr eigentlich nicht billiger, sondern teurer werden, damit weniger CO2 ausgestoßen wird. Freilich funktioniert das nur, wenn auch Benzin für die Autos endlich so teuer wird, dass der Preis den Kosten für die Klimaschäden entspricht. Um weiterhin allen Menschen Mobilität zu ermöglichen, könnte der Staat im Gegenzug die Sozialleistungen anheben.
Fazit: Aus ökologischer Sicht gibt es bessere Maßnahmen als den Nahverkehr zum Nulltarif. Trotzdem wäre dieser Schritt – bei ausreichender Finanzierung – eine Verbesserung zum Status quo. Zudem schließen kostenlose Busse und Bahnen auch zusätzliche Maßnahmen zur ökologischen Verkehrswende nicht aus.
Stellt sich noch die Frage der Finanzierung. „Kostenlos“ ist der Nahverkehr nie, für Busse und Bahnen fallen immer Ausgaben an. Sollte man lieber von „öffentlich finanziertem“ Nahverkehr sprechen? Allerdings sind die Tickets schon heute massiv staatlich subventioniert. Einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge macht der Verkauf der Fahrscheine nur 37 Prozent der Einnahmen aus, 67 Prozent kommen aus öffentlichen Quellen. Kann der Staat dann nicht auch alles bezahlen?
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) erklärt, dass durch den Nulltarif etwa 12 Milliarden Euro pro Jahr fehlen würden. Das klingt viel, bedeutet aber, dass jeder Deutsche im Monat nur wenig mehr als zehn Euro zu zahlen hätte. Zu bedenken wäre allerdings, dass vermutlich auch mehr gefahren würde, der VDV rechnet mit einem Plus von einem Drittel. Auch dürfte es ein Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land geben: In Städten wird der ÖPNV mehr genutzt, also müssten Stadtbewohner entweder über Abgaben mehr zahlen, oder – falls der Nahverkehr über allgemeine Steuern finanziert wird – die Landbevölkerung subventioniert den vergleichsweise gut ausgebauten ÖPNV in den Städten.
In Berlin hat 2015 die damalige Piratenfraktion eine Machbarkeitsstudie erstellen lassen. Ergebnis: Selbst in einer Stadt mit gut ausgebautem S- und U-Bahn-Netz ist die Flatrate-Mobilität noch bezahlbar, beispielsweise über einen Beitrag. Die meisten Berliner müssten dann knapp 50 Euro im Monat zahlen, rund ein Drittel käme in den Genuss des ermäßigten Preises von 15 Euro. Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre müssten keinen Beitrag leisten. Das höhere Verkehrsaufkommen ist in der Kostenrechnung schon berücksichtigt – die wegfallenden Kosten für Fahrscheinkontrollen und Ticketautomaten ebenfalls.
Klar ist auch, dass ein Nahverkehr zum Nulltarif zunächst mit zusätzlichen Investitionen in die Infrastruktur verbunden ist. VDV-Präsident Jürgen Fenske warnt: „Schon heute drängeln sich die Fahrgäste überall in Bussen und Bahnen. Ein kurzfristiger, sprunghafter Fahrgastanstieg würde die vorhandenen Systeme vollständig überlasten.“
Unterm Strich ist ein gut ausgebauter, kostenloser Nahverkehr jedoch billiger als das ständige Herumgefahre mit dem Auto. Selbst ohne die Umweltkosten ist eine Pkw-Fahrt heute schon ungefähr fünf Mal so teuer wie die Fahrt mit Bus oder Bahn. Dass Autofahren so billig erscheint, liegt nur daran, dass viele Kosten, etwa für Werkstatt, Versicherung oder Wertverlust des Wagens, übersehen werden.
Für die Gesellschaft ist der Nulltarif im Nahverkehr ohnehin ein Gewinn. Das Leben wird angenehmer, wenn wir auf Ticketautomat und Fahrscheinkontrollen verzichten können. Wenn Geld keine Rolle mehr spielt. Wenn eine Welt vorstellbar wird, in der die Bedürfnisse von allen Menschen befriedigt werden. Zumindest ein Stück weit würde Kommunismus im wahrsten Sinne des Wortes erfahrbar.
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>>Auch dürfte es ein Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land geben: In Städten wird der ÖPNV mehr genutzt, also müssten Stadtbewohner entweder über Abgaben mehr zahlen, oder – falls der Nahverkehr über allgemeine Steuern finanziert wird – die Landbevölkerung subventioniert den vergleichsweise gut ausgebauten ÖPNV in den Städten.<<
Ich denke, dass sich das Problem „privilegierte Stadtbevölkerung / benachteiligte Landbevölkerung“ entschärfen lässt: Im Grossraum Karlsruhe hat sich gezeigt, dass umsteigefreie Verbindungen zum Beispiel aus Nordschwarzwaldgemeinden ins Stadtzentrum gut angenommen wurden. Prinzipiell besteht die Möglichkeit einer „Stadt/Umlandbahn“ auch für kleinere Städte. Wenn das System konsequent ausgebaut würde blieben in der dicht besiedelten BRD nur wenige „weisse Flecken“ übrig. Denen könnte die Finanzierung des ÖV in dichter besiedelten Gebieten problemlos erlassen werden.
Bei dieser Diskussion läuft es auf das Gleiche wie bei den Grünen mit den 5 DM für den Liter Kraftstoff hinaus. Um das zu vermeiden sollten die Preise für ÖPNV schrittweise reduziert und gleichzeitig das Angebot ausgebaut und verbessert werden. Wenn dann noch die Bedingungen für den Individualverkehr verschlechtert werden, könnte ein flächendeckendes Umdenken einsetzen. Jetzt werden die Leute nur verschreckt; Befürworter und Gegner stehen sich erbittert im Kampf gegenüber, ohne zu tragfähigen Kompromissen zu kommen.
"Der Verkehrsclub hat Autofahrer befragt, was sich bei der Bahn ändern müsste, damit sie ihren Wagen stehen lassen. Ganz oben auf der Liste: Flexibilität, Zeitgewinn, Pünktlichkeit, Komfort, Verfügbarkeit. Erst an sechster Stelle kommt der Preis. Kein Wunder, schließlich ist das Auto heute schon deutlich teurer als Bus oder Bahn, auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird."
Das ist ein absolut zentraler Punkt. In der Schweiz nutzt in den Städten die überwiegende Mehrheit die öffentlichen Verkehrsmittel und das obschon die meisten Menschen sagen, dass dieser teuer sei. Das liegt eben hauptsächlich daran, dass er extrem gut ausgebaut ist und zuverlässig funktioniert. In München als Gegenbeispiel wurde der ÖV privatisiert, mit dem Erfolg, dass Unpünktlichkeit zunahm und die dichte des Angebots zurückgefahren wurde. Natürlich haben viele darauf keine Lust und nehmen das Auto. Und dann ist der zweite Grund der, dass Parkplätze in der Stadt in der Schweiz sehr teuer sind. Und schließlich sind Ganzjahrestickets in der Schweiz vergleichsweise günstig, was teuer ist sind Einzelfahrten.
Deswegen denke ich, dass man in Zuverlässigkeit und Angenotsdichte investieren müsste und Jahrestickets bezuschussen. Auf dem Land denke ich, dass man mit wenig viel bewirken kann. Wenn zwei Mal in der Stunde ein Bus kommt, dann ist das gegenüber einmal alle 90 Minuten oder überhaupt nicht ein riesen Fortschritt, der dazu wenig kostet. Eine alternative wären bezuschusste Carsharingangebote, um den ÖV zu ergänzen.
Es gibt Sächelchen in Deutschland , die sind komplett sinnfrei und viel teuerer (gewesen) , warum also nicht den Nahverkehr umsonst anbieten. Finanzieren kann der Staat das mit einer Fülle von möglichen Einnahmen. Da ist er ja sonst auch nicht zimperlich. Billiger kann man kaum eine Maßnahme zum Umweltschutz bekommen.
Mit Kommunismus hat das alles nix zu tun , nur mit den Optionen, die realistisch noch zur Verfügung stehen ... obwohl man natürlich auch sagen kann: warum grundsätzlich für etwas bezahlen, das wir selber erschaffen, bearbeiten, bedienen und also benutzen? Geld hin und her schieben nutzt immer nur ein und derselben Sache, und die hilft uns nicht weiter, im Gegenteil.
Insofern ist die Idee kohärent: Die negativen Folgen des (Finanz)kapitalismus kann man nur beheben, indem man nichtkapitalistisch agiert. Ob das die CDU weiß, kann einem scheißegal sein. Nur eins ist sicher , wenn es so weitergeht wie bis jetzt, wird alles privatisiert, nach und nach, und dann sind in jeder Hinsicht alle Züge abgefahren.
Der Vorschlag und die Gespräche dazu sind für mich - Beruhigungspillen in Grösse- auch um die EU zu beruhigen und die BürgerInnen ebenso- die Lügen z.B. der Abgasskandal etc. - da brauchte es dringend eine großartige Aussage mit großartigem Vorschlag und ellenlangen Erörterungen,die Peu a Peu versanden.... und bis zur Versandung gibt es ja dann Wichtigeres und Das ist dann erst mal nebensächlich