Zwischen Kölner Dom und Berliner Museumsinsel ist noch viel Platz – zumindest auf der Liste der Weltkulturerbestätten. Das hat sich wohl der deutsche Trägerverein des Internetlexikons Wikipedia gedacht, als er vor kurzem eine Petition gestartet hat: „Wikipedia muss Weltkulturerbe werden!“ Auch Wikipedianer anderer Länder finden die Idee gut, bisher haben schon mehr als 13.000 Menschen unterschrieben.
„Es ist wie bei Wikipedia selbst: Je mehr Menschen mitmachen, desto größer die Chance, dass wir unser Ziel erreichen“, erklärt Wikipedia-Gründer Jimmy Wales in einem Werbeclip zur Unterschriftensammlung.
Doch das stimmt nicht ganz: Über die Aufnahme zum Weltkulturerbe entscheidet die Unesco, an die sich auch die Petition richtet. Vorschlagen dürfen allerdings nur die Länder. Deutschland müsste also beantragen, dass Wikipedia Kulturerbe wird. Oder doch die USA, wo Wikipedia ihren Hauptsitz hat?
Überhaupt gibt es ein paar Unklarheiten. Weltweit sind 704 Orte als Weltkulturerbe anerkannt, davon kein einziger aus dem Netz. Allerdings argumentieren die Organisatoren der Kampagne, das Internetlexikon sei „ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft“ – und das ist tatsächlich ein Kriterium, das ein Weltkulturerbe erfüllen muss. Dennoch: Besser aufgehoben wäre Wikipedia sicher beim „immateriellen Weltkulturerbe“, das es seit 2003 gibt. Nur ist das halt bloß zweite Liga.
Trotzdem gehört Wikipedia nicht in die Liste der Weltkulturerbestätten. Würde Wikipedia zum Kulturdenkmal, „verpflichten sich die zuständigen Regierungen, die Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen eigenständig zu finanzieren“, schreibt die Unesco. In Deutschland läuft das über den Denkmalschutz der Bundesländer. Im Fall Wikipedia wäre das absurd, schließlich lebt das Lexikon von seiner Dynamik.
Was genau überhaupt geschützt werden soll? „Die größte sich ständig weiter entwickelnde Wissenssammlung, an der jeder teilnehmen und mitarbeiten kann“, heißt es auf der Petitionsseite. „Und der freie Zugang dazu, frei von Werbung und die freie Nutzung.“ Den Zugang könnten jedoch nur zensurfreudige Regierungen gefährden – und dann könnte auch die Unesco nichts ausrichten. In Wirklichkeit ist die Petition vor allem ein Werbegag. Es geht darum, die Wikipedia stärker ins Gedächtnis zu rufen. Denn langsam gehen dem Lexikon die Autoren aus; auch die Spenden könnten mehr sein. Das Weltkulturerbe hat Wikipedia vielleicht nicht verdient. Genügend Geld und Autoren schon.
Die Botschaft von Wales:
Kommentare 3
"Das Weltkulturerbe hat Wikipedia vielleicht nicht verdient. Genügend Geld und Autoren schon."
Volle Zustimmung. Schon deshalb, weil ich - als häufiger Nutzer von Wikipedia - mehrfach feststellte, dass nicht jede Aussage "goldrichtig" ist. (Jetzt wird mir sicher um die Ohren gehauen, selbst für Wikipedia zu schreiben.)
M.E. ist Wikipedia vor allem Sekundärliteratur; ob es immer zum Lesen der Quellen verführt - auch wenn diese angegeben sind -, steht auf einem anderen Blatt. Und ein Trend zum vorrangigen Lesen von Sekundärliteratur muss keine kulturpolitische Würdigung erfahren.
Ansonsten - siehe den Anfang des Kommentars
sollte man nicht eine weile warten? unter erbe verstehe ich etwas, das eine weile überdauert hat und nicht etwas zum weltkulturerbe zu ernennen, damit es überdauert.
"Allerdings argumentieren die Organisatoren der Kampagne, das Internetlexikon sei „ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft“ "
So sehr ich Wikipedia schätze und selbst dort auch schreibe, ist dieses Argument doch Blödsinn! Auch wenn sich viele dort sehr viel Mühe geben, sehr gute Artikel entstehen, ist die Wiedergabe sogenannten gesicherten Wissens doch alles andere als ein "Meisterwerk der Schöpferkraft".
"Würde Wikipedia zum Kulturdenkmal, „verpflichten sich die zuständigen Regierungen, die Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen eigenständig zu finanzieren“, schreibt die Unesco. In Deutschland läuft das über den Denkmalschutz der Bundesländer. Im Fall Wikipedia wäre das absurd, schließlich lebt das Lexikon von seiner Dynamik."
Ja, es wird wohl in erster Linie ein Werbegag sein, wie der Autor bemerkt. Eine gesichterte Finanzierung staatlicherseits wäre zwar ein Luxus, aber eben auch dem Prinzip der Unabhängigkeit eines solchen Netzprojektes abträgig.
Das Paradoxon 'Denkmalschutz und dynamisches Weblexikon' ist vom Autor scharfsinnig bemerkt. Hier musste ich schmunzeln.