Wind aus den Segeln genommen

Energiewende Die Bundesregierung will das Wachstum der Erneuerbaren bremsen. Das passt nicht zu den Klimazielen
Ausgabe 21/2016

In der Zeitung steht es schwarz auf weiß: „Regenerative Energien wie Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 Prozent unseres Strombedarfs decken.“ Es ist eine Anzeige für die Atomkraft, geschaltet von den großen Stromversorgern im Jahr 1993. Die Geschichte hat die Energiekonzerne eines Besseren belehrt.

Heute wird in Deutschland ungefähr ein Drittel des verbrauchten Stroms aus umweltfreundlichen Quellen gewonnen. Die Erneuerbaren erleben einen Höhenflug, die fossile Energieindustrie fürchtet um ihre Profite. Inzwischen reden Politiker offen davon, dass der Ausbau von Wind, Sonne und Wasser zu schnell vorangehe. Die Energiewende soll politisch ausgebremst werden.

In sechseinhalb Jahren wird voraussichtlich das letzte deutsche Atomkraftwerk abgeschaltet. Zudem muss Deutschland aus der Kohlekraft aussteigen, wenn die Klimaschutzziele erreicht werden sollen. Beides zusammen geht nur, wenn der Anteil der regenerativen Energien an der Stromproduktion weiter wächst. Entscheidend dafür ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG. Im Herbst soll das Gesetz reformiert werden. Es ist wahnsinnig kompliziert, selbst Experten blicken kaum noch durch. Doch wer den Atom- und Kohleausstieg möchte, muss sich damit beschäftigen.

Gipfel der Unglaubwürdigkeit

Derzeit redet die Bundesregierung mit den Koalitionsfraktionen und den Ländern über die geplante Reform. Zwar muss das Gesetz nicht durch den Bundesrat, trotzdem wird ein Konsens gesucht. Vor wenigen Tagen hat sich Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten zu einem Gespräch getroffen – ohne Ergebnis. Nun ist für kommenden Dienstag ein weiterer Termin angesetzt, dort soll dann eine Entscheidung fallen.

Das Kampagnennetzwerk Campact warnt, die CDU wolle die Energiewende „abwürgen“. Mehr als 200.000 Bürger haben schon dagegen unterschrieben. Der Bundesverband Erneuerbare Energie fürchtet eine „Vollbremsung bei der Windenergie an Land“. Zehntausende Arbeitsplätze stünden „vor dem Aus“. Und die Grünen im Bundestag sprechen im Hinblick auf den Klimaschutz vom „Gipfel der Unglaubwürdigkeit“.

Problematisch ist vor allem der sogenannte Ausbaukorridor. Bisher steht im Gesetz, dass der Anteil der erneuerbaren Energien im Jahr 2025 zwischen 40 und 45 Prozent liegen soll. Es gibt also nicht nur ein Mindestziel, sondern auch eine Obergrenze. Bleiben diese Zahlen im Gesetz, würde der Ausbau deutlich behindert. Im vergangenen Jahr kamen 32,6 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen, im Vergleich zum Vorjahr ist das ein (ungewöhnlich starkes) Plus von mehr als fünf Prozentpunkten. Mit dem momentanen Korridor dürfte aber bloß noch ungefähr ein Prozentpunkt pro Jahr hinzukommen. Die Begriffe „abwürgen“ und „Vollbremsung“ beschreiben die Pläne also ziemlich treffend.

Wie absurd das Festhalten am bisherigen Ausbaukorridor ist, zeigt ein Blick in den geleakten Entwurf für einen „Klimaschutzplan 2050“, den das Umweltministerium momentan erarbeitet. Der Plan soll zeigen, wie Deutschland seine Klimaziele erreichen kann. Die Experten aus dem Umweltministerium widersprechen zwar nicht direkt den EEG-Plänen, doch wer sich die Zahlen im Entwurf genauer anschaut, kann leicht ausrechnen, dass im Jahr 2030 der Erneuerbaren-Anteil – auch wegen eines leichten Rückgang des Gesamtstrombedarfs – bei mehr als 60 Prozent liegen muss. Und dann soll er fünf Jahre vorher noch unter 45 Prozent sein?

Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) möchte trotzdem den aktuellen Korridor für erneuerbare Energien ins neue Gesetz übernehmen. „Wir dürfen uns nicht berauschen am Ausbau“, sagte er kürzlich bei einer Veranstaltung in Berlin. „Für die Verbraucher würde das sehr teuer werden.“ Schon jetzt koste es „Milliarden“, wenn überschüssiger Ökostrom nicht eingespeist werden kann, aber trotzdem von den Kunden über die EEG-Umlage bezahlt werden muss, weil die Vergütung des Ökostroms im Gesetz garantiert ist. Dieses Phänomen gibt es tatsächlich, allerdings ist es weitaus harmloser, als Gabriel behauptet. Im Jahr 2014 betraf das rund ein Prozent des EEG-geförderten Ökostroms, die Entschädigung betrug 82,7 Millionen Euro – also keinesfalls Milliarden. Pro Bürger ist das ein Euro im Jahr.

Ob daran die Akzeptanz der Energiewende hängt? Wohl eher an den Möglichkeiten, dass auch die Bürger direkt vom EEG profitieren können. Doch diese Möglichkeiten könnten mit der Reform deutlich eingeschränkt werden. Wenn Bürgergenossenschaften künftig Wind-, Biomasse- oder große Fotovoltaikanlagen bauen wollen, bekommen sie in der Regel keine feste Vergütung mehr, sondern sie müssen sich an Ausschreibungen beteiligen. Wer das billigste Angebot macht, erhält den Zuschlag. Die Regierung will zwar Ausnahmen für kleine Anlagen zulassen, insgesamt 80 Prozent der geförderten Strommenge soll jedoch ab kommendem Jahr über Ausschreibungen gefördert werden.

Prinzipiell kann ein solches System sinnvoll sein: Die Politik entscheidet nicht mehr über den Preis, sondern nur noch über die gewünschte Zubaumenge, der Markt regelt den Rest. Allerdings werden nicht unbedingt alle Projekte, die in der Ausschreibung gewinnen, auch umgesetzt, möglicherweise werden die Ausbauziele also verfehlt. Außerdem werden durch das neue System kleinere Akteure wie Bürgergenossenschaften abgeschreckt. Sie müssen schon für die Planung der Kraftwerke Geld investieren und wissen gar nicht, ob sie hinterher überhaupt eine Förderung bekommen. Große Konzerne haben kein Problem mit diesem Risiko, sie können hin und wieder ein Minusgeschäft verkraften. Doch für kleine Unternehmen kann das Risiko existenzbedrohlich werden.

Skeptische Genossenschaften

Es gibt bereits erste Erfahrungen: Für die Förderung von Fotovoltaik wurde das Ausschreibungssystem schon getestet. Die Bundesregierung argumentiert, dass dadurch Kosten gespart worden seien. In der Tat ist die Vergütung für den Sonnenstrom gesunken, allerdings werden die Anlagen auch erst später gebaut, in der Zeit fallen die Kosten voraussichtlich weiter. Vielleicht wurde also bei den Angeboten nur die erwartete Kostenentwicklung eingepreist.

Immerhin zwei Genossenschaften sind bei den Ausschreibungen zum Zug gekommen, doch der Genossenschaftsverband DGRV warnt: „Aus diesem Ergebnis kann nicht geschlussfolgert werden, dass Energiegenossenschaften auch bei zukünftigen Runden wieder Zuschläge erhalten.“ Schließlich seien die erfolgreichen Projekte zur Zeit der festen Vergütung begonnen, aber nicht rechtzeitig beendet worden. „Damit die Projektierungskosten nicht verloren sind, mussten die Projekte im Rahmen der Ausschreibungen geboten werden.“

Die Linksfraktion im Bundestag hält nicht viel vom Ausschreibungssystem im neuen EEG. Die energiepolitische Sprecherin Eva Bulling-Schröter spricht von einem „herben Schlag gegen die dezentrale und demokratische Entwicklung der Energiewende“. Wenn die Große Koalition jedoch so weitermacht, bleibt von der Energiewende bald gar nichts mehr übrig. Dabei müsste der Trend angesichts der Klimabeschlüsse von Paris umgekehrt werden: Der Umstieg auf Ökostrom gehört nicht gebremst, sondern beschleunigt.

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