Eigentlich ist das Wort Gentrifizierung oder englisch ausgesprochen gentrification gar kein Zungenbrecher. Und obwohl der Begriff derzeit eine unglaubliche Konjunktur erlebt – egal ob in der Presse, auf Plakaten oder im Kneipengespräch am Nebentisch – sagt er nicht jedem etwas. Manche bleiben dann schlicht an dem noch gewöhnungsbedürftigen Wort hängen und nennen es so wie Christoph Twickel sein gerade erschienenes Buch: Gentrifidingsbums.
Auf gerade einmal 120 Seiten bietet Twickels kleines Brevier der Gentrifizierung und der dagegen angetretenen Bewegung, mit einem Schwerpunkt auf Hamburg, die Möglichkeit, sich schnell und umfassend in das vergleichsweise komplexe Thema einzulesen. Was haben Szenekieze mit der globalisierten Image-City zu tun? Wie beeinflusst die sogenannte creative class die sozialen Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung? Warum mischen sich Kaffeepad-Hersteller in die Off-Kulturszene ein? Und wie nimmt der globalisierte Turbokapitalismus den Künstler in seine Dienste, um Standortmarketing zu betreiben?
Die Stärke an Twickels Buch ist der leichte, erzählende Stil. Berichtet wird mal feuilletonistisch, dann aber auch wieder recht locker aus der Perspektive eines Hamburger Kiezbewohners. Das reicht von der kleinteiligen Entwicklung auf der Meile nebenan bis hin zur wirtschaftlichen und politischen Makroebene. Das Ganze liest sich süffig und ist vor allem gut recherchiert. Christoph Twickel, Jahrgang 1966, ist Buchautor, Journalist und Mitinitiator der Kampagne „Not In Our Name, Marke Hamburg“. Diese richtet sich gegen den radikalen Imageaufwertungsprozess an der Elbe und hat zahlreiche Unterstützer in Kunst und Kultur, aber auch darüber hinaus gefunden. Das „Not In Our Name“-Manifest findet sich im Anhang des Buches, das außerdem Interviews bietet, etwa mit mehreren Aktivisten des von Kulturschaffenden besetzten Gängeviertels, das mittlerweile sogar von der Süddeutschen Zeitung und der FAZ wie ein lieb gewordenes Kind behandelt wird.
Glas- und Stahlghettos
Christoph Twickel erklärt nachvollziehbar, wie Investoren, Quartiersmanager und Politiker die Aufwertung ganzer Stadtteile betreiben. Die Stadt wird zur Marke und hört auf, ein Gemeinwesen zu sein. Denn es geht darum, in Konkurrenz mit anderen Metropolen zu treten und Geldgeber anzulocken. Wie in einer gut geschnittenen Kamerafahrt geht es dann mal in den Hamburger Überseeclub, wo von Dohnanyi oder Voscherau den versammelten oberen Zehntausend der Hansestadt ihre Strategien erklären, um dann beim Kurator einer Ausstellung im Hamburger Off zu landen. Die Marke Hamburg wird dabei zum profitablen Geschäft, das Menschen an den Rand drängt, die nicht ins Bild passen. Allen voran die vier A-Gruppen: Alte, Arme, Arbeitslose und Ausländer.
Twickel geht es in erster Linie um die Kieze und deren nicht homogene Bevölkerung, die von Stadtentwicklern entmischt werden, um munter aufzuwerten und die zuvor durch soziale und kulturelle Vielfältigkeit geprägten Gegenden in Ghettos voller Glas, Stahl und glatter Fassaden zu verwandeln. Wie solche Pläne umgesetzt werden, wird exemplarisch an der Großen Bergstraße in Altona gezeigt. Eine Fußgängerzone ohne großen Chic wird zum Schandfleck erklärt. Das Wahrzeichen der Gegend, der Frappant-Komplex, ein Betonriese aus den 70er Jahren, muss Ikea weichen, nachdem dort Künstler als Zwischennutzer fungierten. Genau diese Zwischennutzung hilft den Investoren, die Immobilie sowie den dazugehörigen Stadtteil attraktiver zu machen. Sobald der neue Käufer gefunden ist, in diesem Fall die schwedische Möbelkette, die endlich von der grünen Wiese in die Innenstadt will, gehen die Kulturschaffenden leer aus. Für die Investoren ist das Ganze auch noch vergleichsweise billig, denn Künstler sind magere Fördertöpfe und knappe Honorare gewöhnt.
Neidische Berliner
Als Berliner schaut man trotzdem geradezu neidisch nach Hamburg, wo die Anti-Gentrifizierungs-Bewegung auf deutlich breiteren Füßen steht und auch weit ins künstlerische und bürgerliche Lager hineinreicht. Das mag etwas mit der Größe der Stadt und der besseren Übersichtlichkeit Hamburgs zu tun haben. In der Hauptstadt sind die Akteure des Kampfes gegen den Ausverkauf vor allem Clubbetreiber, wie die Bar 25, oder die autonome Szene. Während die Clubs ein finanzielles Eigeninteresse antreibt, sind sie gleichzeitig auch Akteure der Gentrifizierung. Nach Meinung des Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm sind sie mit dem Slogan „Rette Deine Stadt“, mit dem eine Demoparade im Juli dieses Jahres überschrieben war, noch immer der Standortlogik verhaftet. Und genau die wird von der Hamburger „Not In Our Name“-Kampagne und den Besetzern des Gängeviertels in Frage gestellt.
Die linke und autonome Szene wiederum ist heute weit davon entfernt, maßgeblich auf die Stadtentwicklung Einfluss zu nehmen, wie sie dies in den 80ern in Kreuzberg oder in den 90ern in Friedrichshain noch konnte. Christoph Twickel schreibt in seinem Vorwort, es gehe darum, Schneisen in die unternehmerische Stadt zu schlagen, die Tools dazu müsse man aber noch erfinden. Sein Buch hat den Anspruch, genau so ein Tool zu sein und diesem Anspruch wird es auf ebenso kämpferische wie sympathische Art gerecht.
Gentrifidingsbums oder Eine Stadt für alleChristoph Twickel Edition Nautilus 2010, 126 S., 9,90
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