Nina Power machte 2011 mit ihrem Essay Die eindimensionale Frau reichlich Furore. Sie plädierte für einen politischen Feminismus jenseits neoliberaler Konsumversprechen. Weitaus sperriger kommt der Sammelband Das kollektive politische Subjekt daher. Es geht darin um grundlegende Fragen linker Philosophie, Power arbeitet sich an wichtigen Theoriegrößen unserer Zeit ab, vor allem an den Philosophen Alain Badiou und Jacques Rancière. Aber auch Klassiker wie Louis Althusser, Noam Chomsky und Jean-Paul Sartre kommen vor. In ihrem Fokus liegen die linken Theoretiker, die dem orthodoxen Marxismus und seinen politischen Organisierungen skeptisch, um nicht zu sagen feindselig gegenüberstehen.
Angesichts der Protestbewegungen, die gerade in Großbritannien in den let
oßbritannien in den letzten Jahren eine enorme Bandbreite aufwiesen, von Großdemonstrationen gegen Sparzwänge über militante studentische Proteste bis hin zu den subalternen Riots 2011, will Power wissen, wie sich heute kollektive Subjekte in diesen Kämpfen vorstellen lassen. Es geht darum, „theoretische und gleichzeitig praktische Mittel an der Hand zu haben, um zu verstehen, was geschieht, wenn Gruppen sich unter politischen Vorzeichen bilden“.Menschlichkeit und VernunftBegriffe wie Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit beziehen sich in der Philosophie meistens auf Individuen. Als zeitgenössische Marxistin weiß Nina Power um die Fallstricke, die ein Bezug auf das Erkenntnissubjekt der klassischen Philosophie mit sich bringt. In der marxistischen Theorie gibt es wenige konkrete Gegenmodelle zur subjekt- oder individuumzentrierten Philosophie, stellt Power fest. Das von Marx zum Ideal erhobene Bild der Arbeiterklasse, die keine oder wenn dann die universelle Klasse ist, deren Aufbegehren nicht in der Durchsetzung partikularer Interessen mündet, sondern in der Befreiung aller Menschen, geistert immer wieder als Bezugspunkt zum kollektiven Subjekt durch ihre Aufsätze. Wie können überhaupt politische Forderungen formuliert werden, die sich auf Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit beziehen, ohne sofort von der herrschenden politischen Rationalität aufgesogen zu werden? Andererseits kommt eine linke Gesellschaftskritik, die nicht einfach nur eine Negation der bestehenden Verhältnisse bleiben will, nicht ohne Begriffe wie Menschlichkeit und Vernunft aus. Wie also kann das Erkenntnissubjekt der klassischen Philosophie für linke Theorie nutzbar gemacht werden?Einfache Antworten darauf gibt es in Nina Powers Texten keine, dafür stellt die Autorin die richtigen Fragen.In den Texten beschäftigt sie sich mit dem Politikbegriff bei Alain Badiou und Jacques Rancière, mit der ethischen Dimension des Anarchismus bei Noam Chomsky und Simon Critchley, mit dem philosophischen Erbe der 68er, aber auch mit queerer Theorie und der Frage, inwieweit gesellschaftliche Reproduktion, die derzeit in feministischen Debatten hinterfragt wird, fester Bestandteil der kapitalistischen Herrschaftslogik ist.Recht auf die eigene StimmeIm Vorwort betont Nina Power, dass sie politisch, nicht akademisch, schreiben will. So ganz gelingt ihr das nicht. Ihre philosophischen Essays sind hermetisch geraten. Leser, die sich nicht mit den marxistischen Grundlagendebatten der Philosophie beschäftigt haben, dürften ihre Schwierigkeiten mit den anspruchsvollen Texten haben, die gleichwohl sehr politisch argumentieren und Fragen von hoher Aktualität stellen.Das wird zum Beispiel in dem Text über die Idee von Gleichheit bei Badiou und Rancière deutlich. Der stark vom Pariser Mai 1968 geprägte und von politischen Kämpfen inspirierte Alain Badiou setzt auf eine informelle Organisierung von illegalen Arbeitsmigranten und Aktivistinnen, die Politik weit von jeder Staatlichkeit entfernt denken. Bei Rancières Vorstellung einer „Gemeinschaft der Gleichen“, bei der es darum geht, wer überhaupt eine Stimme hat, um sich politisch zu artikulieren, und wie die Politik der Herrschaft subversiv durchkreuzt werden kann, fehlt eine so kämpferische Geste. Nina Power sieht in diesem Gegensatz ein Spannungsfeld, in dem unterschiedliche Strategien im Anschluss an ein Postulat der Gleichheit zum Tragen kommen.Am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis mag die Auffassung Rancières, das Recht auf eine eigene Stimme, angemessen sein, sagt Power. Im Moment sehen wir Flüchtlinge als neue politische Subjekte, die sich im Niemandsland der Autobahnen zu Demonstrationszügen vereinen und, „Open the border“ skandierend, mit Transparenten auf Ketten von Grenzpolizisten zumarschieren. In diesem Fall mag Badious Politikbegriff passender erscheinen. Ob es sich bei dieser Gruppe aber um die Bildung jener universellen, die ganze Gesellschaft befreienden Klasse handelt, bleibt angesichts der zahlreichen Spaltungsversuche seitens der Regierungen äußerst fraglich.Placeholder infobox-1