Kommt die Märzrevolution?

Buchmarkt Ein Blick in die Frühjahrsvorschauen zeigt: Die linken Verlage haben die Zeichen erkannt und bringen viel Kapitalismuskritik und Krisenanalyse

Die Kapitalismuskrise und die dazugehörigen Protestszenarien waren für viele Medien im vergangenen Jahr zentrale und hingebungsvoll bearbeitete Berichtsgebiete. In letzter Zeit ist es um diese Dauerbrennerthemen vergleichsweise ruhig geworden. Die meisten Occupy-Camps sind geräumt, Griechenland ist noch in der Eurozone, und revoltenartige Zustände wie zuletzt in London, Rom und Athen gab es schon monatelang nicht mehr. Mal sehen, was der Frühling bringt – dessen klimatische Bedingungen kommen den sozialen Bewegungen sowieso mehr entgegen als so ein verregneter Winter. Und vielleicht tun Bücher ihr Übriges: Der Bücherfrühling jedenfalls bringt zahlreiche Titel zu den Themenkomplexen Systemkrise und Protestbewegungen vor allem aus kleinen linken Verlagen mit Antikapitalismus-Fachkompetenz.

Verkürzte Kritik

Aufstand in den Städten – Krisen, Proteste und Strategien heißt ein Sammelband, der im Unrast-Verlag erscheint – herausgegeben von Wolf Wetzel, früher Autor der autonomen L.U.P.U.S.-Gruppe. Neben einer Übersicht der verschiedenen widerständigen Orte wird auch nach den Perspektiven der Proteste gefragt: „Was ist an den verschiedenen Orten der Unruhen gleich, was ist prägnant anders? Worin unterscheiden sich Riots (in den Banlieues/Frankreich oder in Tottenham/England) von Protestbewegungen?“, so der Pressetext in der Vorschau des Verlags. Gleich zwei weitere Bücher zum Thema bietet die noch relativ neue Edition Assemblage. In ihrer Reihe mit dem bezeichnenden Titel Systemfehler erscheint – ebenfalls von Wolf Wetzel herausgegeben – Krise des Kapitalismus und krisenhafte Proteste. Darin werden linke Krisen- und Kapitalismustheorien ebenso vorgestellt wie auch eine „verkürzte Kapitalismuskritik“, die sich ja leider in der Occupy-Bewegung, besonders aber bei Verschwörungstheoretikern und Sparbuch-Wutbürgern größter Beliebtheit erfreut. Ganz praktisch wird in dem Band aber auch die Protestwirklichkeit von Athen bis Frankfurt analysiert.

Der zweite Titel der Reihe Aufstände, Rassismus und die Krise des Kapitalismus – England im Ausnahmezustand ist ein Interventionstext zur britischen Debatte um die Unruhen im vergangenen Sommer. Moritz Altenrieds Text wendet sich explizit gegen eine Depolitisierung der Vorgänge durch die repressionsfreudige Cameron-Regierung. Auch der in Berlin-Kreuzberg ansässige Assoziation-A-Verlag hat einen Sammelband zum Thema mit dem schlichten Titel Krisen Proteste im Programm. Anhand von Fallstudien und Lokaluntersuchungen wird hier eine Zwischenbilanz der Proteste gezogen, wobei es keine voreilige Synthese geben soll, sondern vielmehr eine „Suchbewegung“, die der Logik der Revolten nachspürt.

Aber auch in der erzählenden Literatur halten die Krise und der Antikapitalismus Einzug, so im Ventil-Verlag. Happy Endstadium heißt Jan Offs neuer Roman über eine autonome Gruppe, die fleißig den Aufstand herbeizuführen versucht. Das Buchcover, ein brennendes Auto, vor dem ganz stylisch ein schwarz gekleideter Vermummter steht, ziert denn auch gleich die Frontseite des Verlags-Frühlingskatalogs.

Fast schon pastoral

Der Suhrkamp-Verlag, der in seiner neuen Digital-Taschenbuchreihe eine eher konventionell wirkende Reportage zur New Yorker Occupy-Bewegung veröffentlicht, schickt mit dem brasilianischen Roman Anleitung zum Guerilla-Krieg von Marcelo Ferroni auch noch einen laut Pressetext „gut gelaunten Agententhriller“ ins Rennen. Darin werden die beiden letzten Lebensjahre Che Guevaras erzählt. Und beim Tropen-Verlag dürfen im neuen Danielewski-Roman mit dem wohlklingenden Titel Only Revolutions zwei ewig Jugendliche durch zweihundert Jahre Geschichte rasen. Fast hat es den Anschein, als müsse jeder Verlag in seiner Vorschau mit protestaffinen Schlüsselbegriffen herumhantieren.

Neben den fiktiven und faktenorientierten Büchern zum Thema Revolte erscheinen auch gleich noch eine ganze Reihe linker Wirtschafts- und Gesellschaftsanalysen. In der Flugschrift-Reihe des Nautilus-Verlags, wo letztes Jahr noch Der kommende Aufstand erschien, erklärt Paul Mattick – Sohn des gleichnamigen Rätekommunisten – in Business as usual Krise und Scheitern des Kapitalismus – „jargonfrei“, wie der Verlag versichert. Im Laika-Verlag fordert der ägyptische Politologe Samir Amin in Das weltweite Wertgesetz, sich nach dem Zusammenbruch des Finanzsystems der Marx’schen Analyse zu nähern. Markus Metz und Georg Seeßlen rufen in der Theorie-Reihe dieses linksradikalen Hamburger Verlags mit dem fast schon pastoralen und auch ein bisschen sehr auf Stéphane Hessels Bucherfolg schielenden Titel Erhebt Euch! zu zivilem Ungehorsam gegen Postdemokratie und Neoliberalismus auf. Und bei Suhrkamp legt der französische Philosoph Miguel Abensour in Demokratie gegen den Staat in Karl Marx’ frühen Texten dessen Theorie einer „wahren Demokratie“ frei („Ware“ schreibt sich hier wirklich klein und mit h.)

Bekennender Anarchist

Den größten Werbe-Etat für linksradikale Propaganda hat in diesem Jahr offensichtlich der Klett-Cotta-Verlag lockergemacht. David Graebers großes Buch mit dem Titel Schulden, einer historischen Studie über den Zusammenhang von Schuldenkrisen und revolutionären Umbrüchen, wurde gar ein eigenes rotes Faltblatt gewidmet, das einem beim Blättern im reichhaltigen Verlagskatalog munter entgegensegelt.

Graeber, Ethnologe und bekennender Anarchist, der nach den Riots von Seattle in der New Left Review den Begriff des „New Anarchism“ prägte, wurde 2005 von der Elite-Universität Yale gefeuert – angeblich nicht wegen seiner politischen Überzeugungen, was über 4500 Unterzeichner einer Solidaritätspetition aber nicht so recht glauben wollten. Das Buch wurde unlängst in der FAS von Frank Schirrmacher über den grünen Klee gelobt; ein Zitat aus dieser Besprechung – und das ist wohl ein Novum auf dem Buchmarkt – ziert nun sogar das Cover (siehe Abb.). Schulden wird im Mai erscheinen.

In der FAZ konnte man sich im vergangenen Jahr ja sogar für das Theoriemanifest Der kommende Aufstand begeistern. Die Verfasser dieses Revolten-Bestsellers schrieben auch unter dem Pseudonym Tiqqun. Und von Tiqqun erscheint im Frühling eine Textsammlung im Hamburger Laika-Verlag. Nur dürfte hier allein der programmatische Titel eine lobende Erwähnung in der FAZ fast unmöglich machen: Alles ist gescheitert. Es lebe der Kommunismus!

Florian Schmid schreibt im Freitag regelmäßig über politische Literatur

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