Zentralbank

BLOSS KEINE PROGRAMME Frankfurt ist der Prototyp für ein neues Politikmodell

Eine nur hessliche Spezialität? Die christdemokratischen Nepper, Schlepper, Bauernfänger (und, nicht zu vergessen, Vermächtnisempfänger) werden von den Wählern nicht etwa abgestraft, sondern - wie jetzt in Hessen - schulterklopfend belohnt! Von der Subordination zur Komplizenschaft von Regierten und Regierenden, auch so lässt sich demokratischer Fortschritt beschreiben.

Zu der Stichwahl zum Posten des Frankfurter Oberbürgermeisters vergangenen Samstag schleppten sich nahezu ausschließlich Mumien und Krustenechsen. Diese Wohlsituiertheit ausstrahlenden älteren Herrschaften bildeten nicht nur den, wenn man so will, Vorschein der künftigen Altersgesellschaft, sie zeigten vor allem eines deutlich: Wählen, das ist ein Hobby von Leuten, die etwas zu verlieren haben. Und die kriegen viel, aber keine strukturelle Mehrheit zusammen. So ähnelt dann die demokratische Legitimation Petra Roths, der neuen wie alten Oberbürgermeisterin, einem Asta an einer x-beliebigen Universität: Die prozentuale Mehrheit an ausgezählten Wählerstimmen ist zwar für sie und ihre Partei und in welcher Koalition auch immer komfortabel, doch die erdrückende Mehrheit der Stimmberechtigten, der Wähler und der Nichtwähler zusammen, hat keineswegs für sie gestimmt. Im zweiten Frankfurter Wahlgang nahm das Nichtwählen in den traditionellen Arbeiterquartieren und in den einst stark politisierten grünen Hochburgen Dimensionen eines Wahlboykotts an, oder wie soll man Wahlbeteiligungen von unter 30 Prozent nennen?

Auch mit dieser Wahl setzt sich ein seit längerem zu beobachtender Prozess fort: die schleichende Preisgabe von Souveränität durch den Souverän. Haben schon - unter den sich immer häufiger neoliberal spreizenden Stichworten Effizienz und Transparenz der Verwaltung - die gewählten Kommunalpolitiker sich ihre Margarine vom Machtbrötchen zugunsten der Ämter nehmen lassen (man denke nur an den parlamentarischen Kontrollverlust, der sich hinter der Schimäre Budgetisierung verbirgt), so zeigt die in diesem Wahlkampf dezidiert zur Schau getragene Unlust, sich auf eine Programmdebatte einzulassen, dass als schlimmer Partykiller gilt, wer über Alternativen nachsinnt.

Von oben her wie auch von unten begibt sich der Souverän politischer Eingriffsmöglichkeiten. Die postmoderne Einsicht, nicht alles von einem Begriff ableiten zu können, bietet willkommenen geistigen Komfort: in der Sphäre des Politischen auf alle Arbeit am Begriff zu verzichten.

Was sich da abzeichnet, ist Politik nach Art einer Zentralbank - und dies passt ja nun wirklich nach Frankfurt. Der Chef soll schon rechtsstaatlich-demokratisch auf seinen Posten kommen, aber danach lenken ihn nur noch die Maßgaben des wirtschaftlichen Gedeihs. Alles Nähere regeln die Rechtsanwälte. Dass aber das Institut einer vermeintlich unabhängigen, den wirtschaftlichen Einzelinteressen enthobenen Zentralbank einer der Gründe für das gesellschaftlich verankerte Ungleichgewicht von Kapital und Arbeit sei, darauf freilich hat schon Max Weber verwiesen.

Dabei ist es gar nicht so lange her, als es einen Augenblick lang so aussah, die Erneuerung von kommunaler Politik könne von Frankfurt am Main ausgehen, hier werde geprüft und geübt, wie Bürger ihre Lebensumstände bestimmen, ohne shareholder sein zu müssen. So wenig weit liegt dies zurück, dass das damalige Personal immer noch aktiv in die Politik eingreift - oder sich von ihr distanziert. So wären die Asche auf ihr Haupt streuenden (auch darin scheiternd) Achtundsechziger mit ihrer Pose "Fast wären wir aber sowas von totalitär gewesen" weniger lustig, gäbe es nicht ihr Spiegelbild. Etwa den Altoberbürgermeister Walter Wallmann, der die Grünen im Wahlkampf wegen ihrer "Beteiligung an einem Angriffskrieg" nicht etwa lobte, sondern ihnen dies vorwarf. Oder der einstige Umweltdezernent, der heute das nachhaltig zerstörte Jugoslawien mitverwaltet; sie alle beweisen doch nur die geistige Regsamkeit, die von dieser Stadt ausgeht.

Es scheint so zu sein: Frankfurts geistige Regsamkeit lebt vom Vergessen, und wer den Eindruck hat, hier herrscht das ganze Jahr der tolle Tag, der hat so Unrecht nicht, weil sie alle das Gegenteil von Vorgestern sagen. Und in diesem Sinn ist Frau Roth wohl doch Frankfurts erste Wahl. An der vorbei kann man nämlich ganze Stadtviertel planen, ohne dass sie etwas merkt.

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